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Der schleichende Tod

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Die Europäische Union will den Einsatz von drei giftigen Pflanzenschutzmitteln großflächig verbieten. Sie werden für das Massensterben von Bienen verantwortlich gemacht. Die Industrie weist jede Verantwortung von sich.

Bienen sind mehr als nur Honigproduzenten. Sie sind wahre Bestäubungsmaschinen und das macht sie zu einem begehrten Wirtschaftsgut. Und genauso werden sie in der industrialisierten Agrarwirtschaft eingesetzt, als fleißige und billige Landarbeiterinnen. Ganze Bienenvölker werden teilweise über Hunderte und Tausende von Kilometern transportiert, um sie an ihre Arbeitsplätze in Obstplantagen, im Gemüseanbau oder auf Rapsfeldern zu transportieren. Wenn es sein muss, per Frachtkurier auf dem Luft- oder Landweg. So sieht der triste Arbeitsalltag vieler Bienen in Europa, den USA oder Asien aus - von Naturromantik keine Spur. Auch wenn wichtige Grundnahrungsmittel wie Weizen und Reis nicht auf Bienen angewiesen sind: Für drei Viertel aller Nutzpflanzen sind die Tiere die wichtigsten Bestäuber und Vermehrer. Ihr Ausfall hätte also weit reichende Folgen, nicht nur in ökologischer, sondern auch in ökonomischer Hinsicht.

Doch immer häufiger versagen die Bienen ihren Dienst. Sie sterben einfach weg. In den vergangenen Wintern lag die Sterberate der Honigbienenvölker in Europa im Schnitt bei 20 Prozent. Auch in anderen Regionen dieser Welt klagen Imker über zunehmende Verluste. Über die Ursachen streiten sich die Wissenschaftler. Im Verdacht stehen neben Parasiten wie die Varroamilbe giftige Pestizide, die in der Landwirtschaft eingesetzt werden, Insektizide aus der Wirkstoffgruppe der Neonikotinoide. Diese Mittel sollen Schädlinge von Mais, Sonnenblumen oder Rapspflanzen fernhalten. Unerwünschte Nebenwirkung: Die darin enthalten Chemikalien wirken wie Nervengift und schädigen offenbar auch die Bienen. Die Tiere werden orientierungslos und verenden. Das bestätigt unter anderem eine vor kurzem veröffentlichte Studie der University of Dundee. Hergestellt werden diese Mittel unter anderem vom Schweizer Konzern Syngenta und dem deutschen Produzenten Bayer.



Um das Bienensterben zu beenden, will die EU jetzt drei Pflanzenschutzmittel verbieten, die der Auslöser für das Phänomen sein könnten. Das fordern Umweltschützer und Imker schon seit Jahren.

Nicht nur Umweltschützer und Imker sind alarmiert. Sie fordern bereits seit einigen Jahren ein Verbot der umstrittenen Mittel. Das rätselhafte Bienensterben beschäftigt auch die EU-Regierung. Im Januar hat die EU-Kommission eine Studie vorgelegt, in der die Insektizide für das Massensterben der Bienen zumindest mitverantwortlich gemacht werden. Seitdem streiten sich die Europa-Abgeordneten über ein mögliches Verbot. Die EU-Länder haben nun am Montag in Brüssel den Weg freigemacht, um den Einsatz von drei umstrittenen Stoffen für den Anbau von Mais, Sonnenblumen, Raps und Baumwolle zu untersagen. Das Verbot soll möglicherweise vom 1. Dezember an für zunächst zwei Jahre gelten. Im einzelnen geht es dabei um die Stoffe Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam. Einen entsprechenden Verbotsvorschlag will die EU-Kommission nach eigenen Angaben in den nächsten Woche vorlegen.

Umweltverbände und Imker haben die Entscheidung mit Erleichterung aufgenommen. 'Ein Verbot ist vernünftig und folgerichtig, da diese Gifte am weltweit beobachteten Bienensterben zweifelsfrei beteiligt sind', sagt Martin Häusling, Agrarexperte der Grüne im EU-Parlament. Auch Bundesagrarministerin Ilse Aigner (CSU) hat sich in letzter Minute doch noch für ein Verbot ausgesprochen, nachdem sie sich bei einer Abstimmung im März noch der Stimme enthalten hatte. ' Glücklicherweise hat sich auch Deutschland doch noch eines Besseren belehren lassen', ergänzte Häusling. In Deutschland ist der Einsatz der umstrittenen Neonicotinoiden schon seit 2009 beim Anbau von Mais und Raps beschränkt. Bereits damals wurden die Mittel für ein Bienensterben am Oberrhein verantwortlich gemacht.

Für die Hersteller ist das Verbot ein herber Schlag. Die betroffenen Insektizide bringen hohe Umsätze. Ein Verbot werde in Europa 50000 Arbeitsplätze kosten und Verluste von 17 Milliarden Euro bringen, drohten die Unternehmen im Januar. Umweltschützer konterten. Das komplette Fehlen von bestäubenden Insekten würde weltweit Schäden von 190 bis 310 Milliarden Euro pro Jahr verursachen, heißt es etwa in einer Studie der Stiftung Mensch und Umwelt. Nachprüfen lassen sich solche Zahlen nur schwer. Wie lässt sich die Leistung eines Bienenvolkes sinnvoll bewerten? Für eine gesamtwirtschaftliche Beurteilung reicht es nicht zu berechnen, was ein professioneller Imker für das Bestäuben einer Obstplantage verlangt. Bienen sind entscheidend für den Erhalt der Artenvielfalt, also auch für viele Pflanzen, die nicht direkt der Ernährung dienen. Hier geht es um Werte, die sich mit simplen Kostenrechnungen nicht fassen lassen.

'Jeder dritte Bissen, den wir essen, ist von Bienen abhängig', stellt der Schweizer Filmregisseur Markus Imhoof fest. Er hat das unheimliche Sterben der Bienen in dem preisgekrönten Film 'More Than Honey - mehr als Honig' dokumentiert, mit Beispielen aus der ganzen Welt. Er zeigt, wie Bienen in riesigen amerikanischen Mandelbaum-Plantagen ausgebeutet werden, wie die Tiere unter Stress gesetzt und mit Spritzmitteln schleichend vergiftet werden. Er dokumentiert, wie Apfelplantagen in China von Arbeitern per Hand bestäubt werden müssen, weil es längst keine Bienen mehr gibt. Regisseur Imhoof und Umweltschützer warnen angesichts dieser Entwicklung vor einer drohendend Bestäubungskatastrophe.

Die Industrie weist unterdessen jede Verantwortung von sich. Der Pharmakonzern Bayer reagierte auf das EU-Verbot mit Schärfe. Dies sei ein Rückschlag für Technologie, Innovation und Nachhaltigkeit. Die europäische Landwirtschaft müsse mit mehr Pflanzenschäden, höheren Ernteausfällen, einer verminderten Lebensmittelqualität und einem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit rechnen, heißt es dort. Syngenta-Manager John Atkin fügte hinzu, ein Verbot der Neonikotinoide werde nicht einen einzigen Bienenstock retten. Die Mittel seien sicher, wenn die Produkte vorschriftsmäßig eingesetzt werden. In der Landwirtschaft werden die Pestizide genutzt, um Saatmittel zu beizen. Mais wird so etwa vor dem Schädling Maiswurzelbohrer geschützt. So soll der Einsatz anderer Pestizide reduziert werden.

Die Hauptursache für das Bienensterben sieht die Industrie vor allem im Befall durch schädliche Milben und die Ausbreitung von Viren. Dem halten Kritiker entgegen, dass die Tiere durch die Gifte so stark geschwächt würden, dass sie sich nicht mehr gegen Krankheiten und Schädlingen wehren können.

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