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Wer ist der Frischeste im Land?

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Wie leicht sich derzeit aus Unzufriedenheit Parlamentssitze gewinnen lassen, haben die Erfolge der Piraten deutlich gemacht. Damals noch trug die Piraten jene Euphorie, die nun die AfD-Anhänger beflügelt. Das zeigt: So schnell, wie der Protestwähler kommt, zieht er auch wieder weiter.

Wenn ein neues Kind sich zu den anderen in den Sandkasten setzt, gibt es schon mal Ärger. Kabbeln sich gleich zwei Neue ums Spielzeug, ist fast gewiss, dass der Ton rüde wird. "Geh kacken, AfD", hat ein Vorstandsmitglied der Piratenpartei kürzlich seinen Zorn darüber in eine fäkale Twitter-Nachricht gefasst, dass plötzlich noch jemand in die Rolle drängt, die eigentlich die Piraten sich selbst zugeschrieben haben. Denn auch die "Alternative für Deutschland" beansprucht für sich, eben jene neue, frische Kraft für die deutsche Politik zu sein.



Derzeit größter Konkurrent der Piraten im Kampf um Protestwähler: die AfD

Der Tonfall immerhin passt zu den Piraten. Sogar der eigene Bundesparteichef muss damit rechnen, dass ihm, wie eben geschehen, ein paar Führungspiraten per getwittertem Foto ausgestreckte Mittelfinger entgegenrecken. Die Botschaft dürfte das vertrauensvolle Miteinander auf dem Parteitag an diesem Wochenende nicht befördern. Dabei geht es dort um kaum weniger als ums Sein oder Nichtsein der Piraten. Gelingt es ihnen allen Umfragetendenzen zum Trotz noch, aus ihrem Tief herauszukommen? Oder versinken sie in Bedeutungslosigkeit und müssen die Anti-Euro-Alternativen der AfD vorbeiziehen lassen?

Vieles an der plötzlichen Aufmerksamkeit für die AfD erinnert ja an den rasanten Aufstieg der Piraten. Doch nicht nur der Umgangston, dessen sich die bisweilen rüpeligen Piraten hier und die sich bürgerlich-gediegen gebenden Professoral-Populisten der AfD dort befleißigen, markiert den Kontrast zwischen den beiden Neuankömmlingen im politischen Spiel. Tatsächlich könnten sie unterschiedlicher nicht sein - jedenfalls, was den Kern ihrer Anhängerschaft angeht.

Bei den Piraten haben sich vor allem junge Männer zusammengetan, die ihre vom Internet geprägte Lebenswelt von der Politik nicht mehr repräsentiert sehen. Natürlich haben sie politische Forderungen, konkret aber werden sie nur, wenn es um das Netz geht, jenseits davon bleiben sie vage links-libertär. Aber im Grunde halten nicht Standpunkte, sondern Computer und Club-Mate die Partei zusammen, kurz: das Lebensgefühl, das der Nerd-Generation gemeinsam ist. Sie wollen weniger die Ergebnisse von Politik ändern, sondern den politischen Prozess - und geben sich zukunftsgewiss, dass das mit netzbasierter Technik gelingen kann. Diesen Optimismus ändert nicht einmal die Erkenntnis, dass sich so bisher nicht mal die eigene Partei unfallfrei steuern lässt.

Die AfD macht es sich einfacher. Sie setzt auf genau eine einfache Formel: raus aus dem Euro. Hinter dieser Parole sammeln sich nun vor allem ältere Männer, die für ihre zumeist konservative Weltsicht keine Heimat in anderen Parteien sehen. Auch sie verbinden gemeinsame, allerdings weniger zuversichtliche Gefühle: Da ist die Angst, dass das Erreichte und Ersparte im Strudel der Euro-Krise versinken könnte. Und da ist der verklärte Blick zurück in eine Zeit, als die D-Mark hart, die Lira weich und ein Konto in der Schweiz vor dem Fiskus noch sicher war.

So grundverschieden Piraten und AfD also sind, so ziehen sie ihre unwägbare Stärke bei Wahlen dann aber doch wieder aus denselben Quellen - aus jenem, so eine Piraten-Studie, "elektoralen Schwemmsand", der mal bei den Linken anlandet, mal bei den Piraten, womöglich auch mal bei den Euro-Kritikern. Sie alle dienen als Projektionsflächen für einen eher diffusen Unmut vieler Wähler. Wie leicht sich derzeit aus dieser Unzufriedenheit Parlamentsmandate gewinnen lassen, haben die Erfolge der Piraten in den Ländern deutlich gemacht. Damals noch trug die Piraten jene Euphorie, die nun AfD-Anhänger beflügelt. Der tiefe Sturz der Piraten in die Depression zeigt aber auch: So schnell, wie der Protestwähler kommt, zieht er auch wieder weiter.

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