Was es bedeutet, wenn der Papst persönlich anruft.
Ein Anruf vom Papst: 'Gehen Sie sofort in die Vatikandruckerei, sehen Sie die Dokumente durch anhand der Druckbogen - dass da kein Fehler drin ist!' Wenn Paul VI., der Heilige Vater, am Abend selbst zum Telefon greift, um einen Auftrag zu übermitteln, muss es dringend sein. Dann folgt man. 'Wir saßen dann die ganze Nacht in der Libreria Vaticana. Und wir haben Fehler gefunden', erzählt Pater Peter Gumpel. Er spürte Fehler in Texten auf, die zu den wichtigsten des Zweiten Vatikanischen Konzils zählen wie die dogmatische Konstitution Lumen Gentium. Die Konzilsväter hatten sie in letzten Abstimmungen verabschiedet, der Papst hatte sie bestätigt. Und irgendwer hatte sie nachträglich geändert. Wer war das? Ob er es weiß, verrät Peter Gumpel nicht. Aber damals, als junger Theologie-Professor, fragte er sich das auch.
Papst Benedikt XVI segnet nicht nur
Der Jesuit Peter Gumpel hat das Konzil in Rom in allen Facetten und Sitzungsperioden zwischen 1962 bis 1965 erlebt. Er stand in der zweiten Reihe, denn er durfte nicht mitreden. Dennoch war er mittendrin: Er bekam mit, wie der Papst dachte, und er wurde Zeuge bischöflicher Debatten.
In eine neue Zeit wollte die Kirche aufbrechen. Und Gumpel zögert nicht zu sagen: 'Theologisch gesehen ist das Konzil ohne jede Frage ein großer Fortschritt' - in der Lehre über die Kirche, über Stellung und Kollegialität der Bischöfe, für die Interpretation der Heiligen Schrift, für die Liturgie. 'Es wurde sehr viel erreicht, das muss unbedingt positiv bewertet werden.' Etwa die Anerkennung der Religionsfreiheit, eine der am kontroversesten diskutierten Fragen im Konzil. Doch Gumpel sieht auch Mängel am Konzil und seiner Verwirklichung. Wurden die Beschlüsse 'wirklich systematisch den Gläubigen mitgeteilt?', fragt er. 'Da hätte man sich vielleicht mehr Informationen gewünscht.' Und dass Fehler vermieden worden wären in der nachkonziliaren Gesetzgebung. Vom Konzil selbst habe man das aber nicht mehr erwarten können, sagt Gumpel. Er sitzt in seinem spartanischen Zimmer im Jesuitenhaus unweit dem Petersplatz. Überraschend jung klingt seine Stimme. Er ist fast 89 Jahre alt, dünn wie ein Strich, intellektuell weiter stark.
Schon mit 23 Jahren war Gumpel, der gebürtige Berliner, Professor. Er lehrte Dogmengeschichte an der päpstlichen Universität Gregoriana. Obwohl er längst emeritiert ist, wird er als Wissenschaftler heute noch konsultiert, er ist auch Untersuchungsrichter der Kongregation für Selig- und Heiligsprechungen. Beim Konzil hatte Gumpel formal eine Hilfsfunktion, die ihn aber zum Insider des zentralen Geschehens machte. Sein Professoren-Kollege an der Gregoriana, Paolo Molinari, ebenfalls Jesuit und bis heute ein Freund, hatte von Papst Johannes XXIII. den Auftrag, zum Konzil einen Text vorzubereiten. Dieser Pontifex hatte das Konzil einberufen.
Der Text Molinaris, den Gumpel mitformulierte, ging ein in Lumen Gentium. Und als der Papst Molinari als Berater in die theologische Konzilskommission rief, wünschte er, dass Gumpel einbezogen werde. Nach Johannes" Tod im Juni 1963 wollte das auch Papst Paul VI. So bekam Gumpel das Ringen der Konzilsväter hautnah mit. Von Ringkämpfen spricht er nicht, aber in manchen Momenten ging es wohl nahe an Handgreiflichkeiten. Gumpel drückt sich aristokratisch aus: 'Es gab mitunter große Spannungen. Hier und da äußerte sich das in nicht gerade diplomatisch tragbaren Formen.' Aber das seien Ausnahmen gewesen. Die Konzilsväter seien sich trotz Meinungskonflikten kollegial begegnet.
Die Diskussionen um das Konzil verfolgt er - oft mit Unverständnis. Manche Theologen 'bekämpfen das Konzil', sagt er. 'Entweder ging es ihnen nicht weit genug, oder es ging ihnen zu weit.' Er staune gelegentlich über das Selbstverständnis von Theologen, die sich überhebliche Urteile anmaßten. 'Sie haben die Stimmung nicht miterlebt. Sie wissen nicht, wie gestritten wurde. Wie man versuchen musste, in den Kommissionen und Beratungen eine Einheit zu erreichen, damit jeder mit gutem Gewissen unterschreiben konnte.' Wissenschaftlich sei es nicht korrekt, wenn Kritiker einzelne Äußerungen aus dem Kontext rissen, 'manche berufen sich auf diesen, andere auf jenen. Das Konzil muss in der Gesamtheit beurteilt werden.'
Dass es Raum lässt für unterschiedliche Interpretationen, sieht Gumpel kritisch ist - aus seiner Sicht wäre das zumindest teilweise vermeidbar gewesen. Schon bei der Vorbereitung. Da habe der Vatikan den Einfluss von Medien und Öffentlichkeit unterschätzt. Es gab keine professionellen Pressesprecher für das Konzil. Von Anfang an sei daher Falsches berichtet und nicht korrigiert worden. Und vielleicht hätte man die Teilnehmer auch in der ersten Phase nicht zum Stillschweigen verpflichten sollen. Die Berichterstatter zapften anonyme Quellen an: 'Journalisten bekamen zum Teil gezielte Informationen aus bestimmten Kreisen. Man konnte natürlich wissen, aus welcher Ecke, wenn man wusste, was die Leute im Konzil gesagt haben.' Aber beweisen ließ sich nicht, wer da über die Medien auf das Konzil einwirken wollte. Die mangelhafte Kommunikationspolitik, sagt Gumpel, könne zu tun haben mit dem großen Irrtum von Johannes XXIII.: Der dachte, in sechs Wochen sei alles vorbei. 'Am Ende der ersten Konzilsperiode 1962 war noch kein einziges Dokument verabschiedet.' Gumpel erinnert sich an das Lamento des Papstes: 'Warum dieses endlose Reden, wir haben alle das Credo gebetet. Und dann wird geredet, geredet, geredet.' Johannes sei sehr unzufrieden gewesen. Andererseits, sagt Gumpel, habe sich als grundsätzliches Problem erwiesen, dass die Konzilsväter kaum Zeit hatten, ihre Argumente vorzutragen: Bei mehr als 2000 Teilnehmern war die Redezeit im Plenum auf zehn Minuten begrenzt. Schließlich wuchs der Zeitdruck insgesamt, das Konzil musste zu Ende kommen, schon weil es dem Vatikan zu teuer wurde.
Am stärksten aber seien die Beschlüsse geprägt von der Notwendigkeit großer Zustimmung. 'Moralische Mehrheit bedeutet im Kirchenlatein mindestens Zweidrittel', sagt Gumpel, möglichst sollten es 90, 95 Prozent sein. So entstanden 'Kompromissdokumente'. Einige wirkten, als sei 'mit der rechten Hand etwas gegeben und mit der linken wieder zurückgenommen'.
'In den Wein der Transalpinen ist doch eine Menge Wasser geschüttet worden.' Die Transalpinen, das war die besonders gut vorbereitete Gruppe der Deutschen - unter ihnen der Münchner Kardinal Julius Döpfner und Kölns Kardinal Josef Frings - und der Bischöfe aus Österreich, der Schweiz, aus Belgien, Holland und Skandinavien. Andere Synodenväter fühlten sich unter Druck gesetzt von diesen modernen Theologen. Ein Konfliktstoff war die Stellung der Bischöfe in der Kirche. 'Bei den Transalpinen war darüber schon viel geschrieben worden. In den anderen Ländern war das aber nicht ohne Weiteres rezipiert, nicht gelesen und studiert. Da haben die Transalpinen sehr gut gearbeitet. Hier und da aber auch übertrieben.' Es ging um die Fragen: 'Gibt es ein Bischofskollegium? Sind alle gleichberechtigt, ist der Papst Mitglied dieses Kollegiums oder steht er darüber?' An der im ersten Vatikanum festgestellen höchsten Autorität des Papstes jurisdiktionell und in Lehramts-Fragen wollte niemand rütteln, sagt Gumpel. Auch nicht am Recht des Papstes, gegen die Mehrheit eines Konzils zu entscheiden. 'Aber es musste geklärt werden, was dann die Stellung der Bischöfe ist.' Wochenlang redeten sie darüber. Jedes Wort wogen sie ab, missverständliche Formeln stehen zu lassen, wäre gefährlich gewesen. Manchmal gab es Absprachen unter einigen Bischöfen. Ihr Kalkül : 'Lassen wir diese Formel stehen, dann können wir sie nach dem Konzil maximalistisch auslegen.' Gumpel, der von solchen Abprachen ebenso wie Molinari und der Papst Wind bekam, sagt: 'Das ist unsauber, betrügerisch.' Papst Paul VI., hielt es für nötig, mit der Nota praevia den päpstlichen Primat nochmals festzuschreiben.
Zu einem Eklat kam es wegen der Dokumente zur Rolle der Ordensleute. Ein belgischer Bischof behauptete, sie gehörten nicht zur Struktur der Kirche, ihre Funktion als Verbreiter des Glaubens ignorierte er. Merkwürdiges sei da passiert, erzählt Gumpel. Bei der Neuformulierung des Entwurfs von Lumen Gentium verschwand das Kapitel Ordensleute einfach, die zuständige Kommission war nicht informiert. Der General der Jesuiten durfte nicht als Redner auftreten, die Sitzung zum Thema endete ohne ordentliche Abstimmung. Da formierte sich Protest. Gumpel war dabei, als eine Abordnung dem Vorsitzenden der Theologischen Kommission, Kardinal Döpfner, klar machte, dieser Vorgang werde nicht hingenommen. Am Ende waren 800 Konzilsväter auf ihrer Seite, Döpfner musste sich entschuldigen.
Unterschiedlich waren nicht nur Meinungen, die zutage traten, sondern auch die Mentalitäten der Konzilsväter aus aller Welt. Die Professoren Molinari und Gumpel hatten mehr Arbeit als erwartet. Da waren etwa die vielbeschäftigten Missionsbischöfe: 'Hatten die in 20, 30 Jahren jemals ein Theologiebuch geöffnet? Wussten sie etwas von den neuen Entwicklungen?' Paul VI. sagte Gumpel, die Afrikaner hätten große Schwierigkeiten, 'können Sie bitte einmal pro Woche 60 englischsprachige, afrikanische Bischöfe empfangen?' So wurde Gumpel Nachhilfe-Lehrer: 'Wir trafen uns immer im Hotel Columbus in der Via della Conciliazione. Ich machte eine kurze Einleitung, dann stellten sie Fragen, haufenweise.' Mit dem gesprochenen Latein stand es nicht bei allen Bischöfen und Kardinälen zum Besten.
Einer von ihnen bat Gumpel um Hilfe für seine Rede. Offenbar schrieb der Jesuit ausgezeichnet in der Konzilssprache, 'das sprach sich herum'. 100 lateinische Reden hatte er am Ende formuliert. Doch es wurde auch jedem klar: Noch ein Konzil auf Latein wäre nicht mehr möglich. Und die Probleme, die höchste Kirchenvertreter damit hatten, hätten wesentlich dazu beigetragen, dass sie im Dokument Sacrosanctum Concilium andere Liturgie-Sprachen erlaubten. Es ist einer der Punkte, der dann die Traditionalisten von Rom getrennt hat. Für Gumpel ist es vor allem einer der Beschlüsse, der am öftesten falsch ausgelegt wird: als Latein-Verbot.
Was hat das Konzil gebracht? Gumpel klingt nicht gerade optimistisch, wenn er Fragen zitiert, die der Theologe Joseph Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation in einem Aufsatz stellte. Hat das Zweite Vatikanische Konzil zum Glaubensleben der Katholiken beigetragen und bleibend beigetragen - ja oder nein? Gehen nach dem Konzil mehr Leute zur Kirche oder weniger? Gehen mehr Menschen zur Beichte oder weniger? Gibt es mehr Ehescheidungen oder weniger? Die Antworten sind bekannt. Dass Enttäuschung gewachsen ist seit dem Konzil, erklärt Peter Gumpel auch mit der Hochstimmung danach: 'Es hieß, die alte Zeit sei vorbei, alles werde besser. Um Gottes Willen, sagten wir, man weckt Erwartungen, die sich hoffentlich bewahrheiten - aber sicher sind wir nicht.' Seine Zuversicht hat der weise Pater Peter Gumpel noch nicht eingebüßt: 'Ein Konzil ist ein Anfangspunkt, kein Endpunkt.'
Ein Anruf vom Papst: 'Gehen Sie sofort in die Vatikandruckerei, sehen Sie die Dokumente durch anhand der Druckbogen - dass da kein Fehler drin ist!' Wenn Paul VI., der Heilige Vater, am Abend selbst zum Telefon greift, um einen Auftrag zu übermitteln, muss es dringend sein. Dann folgt man. 'Wir saßen dann die ganze Nacht in der Libreria Vaticana. Und wir haben Fehler gefunden', erzählt Pater Peter Gumpel. Er spürte Fehler in Texten auf, die zu den wichtigsten des Zweiten Vatikanischen Konzils zählen wie die dogmatische Konstitution Lumen Gentium. Die Konzilsväter hatten sie in letzten Abstimmungen verabschiedet, der Papst hatte sie bestätigt. Und irgendwer hatte sie nachträglich geändert. Wer war das? Ob er es weiß, verrät Peter Gumpel nicht. Aber damals, als junger Theologie-Professor, fragte er sich das auch.
Papst Benedikt XVI segnet nicht nur
Der Jesuit Peter Gumpel hat das Konzil in Rom in allen Facetten und Sitzungsperioden zwischen 1962 bis 1965 erlebt. Er stand in der zweiten Reihe, denn er durfte nicht mitreden. Dennoch war er mittendrin: Er bekam mit, wie der Papst dachte, und er wurde Zeuge bischöflicher Debatten.
In eine neue Zeit wollte die Kirche aufbrechen. Und Gumpel zögert nicht zu sagen: 'Theologisch gesehen ist das Konzil ohne jede Frage ein großer Fortschritt' - in der Lehre über die Kirche, über Stellung und Kollegialität der Bischöfe, für die Interpretation der Heiligen Schrift, für die Liturgie. 'Es wurde sehr viel erreicht, das muss unbedingt positiv bewertet werden.' Etwa die Anerkennung der Religionsfreiheit, eine der am kontroversesten diskutierten Fragen im Konzil. Doch Gumpel sieht auch Mängel am Konzil und seiner Verwirklichung. Wurden die Beschlüsse 'wirklich systematisch den Gläubigen mitgeteilt?', fragt er. 'Da hätte man sich vielleicht mehr Informationen gewünscht.' Und dass Fehler vermieden worden wären in der nachkonziliaren Gesetzgebung. Vom Konzil selbst habe man das aber nicht mehr erwarten können, sagt Gumpel. Er sitzt in seinem spartanischen Zimmer im Jesuitenhaus unweit dem Petersplatz. Überraschend jung klingt seine Stimme. Er ist fast 89 Jahre alt, dünn wie ein Strich, intellektuell weiter stark.
Schon mit 23 Jahren war Gumpel, der gebürtige Berliner, Professor. Er lehrte Dogmengeschichte an der päpstlichen Universität Gregoriana. Obwohl er längst emeritiert ist, wird er als Wissenschaftler heute noch konsultiert, er ist auch Untersuchungsrichter der Kongregation für Selig- und Heiligsprechungen. Beim Konzil hatte Gumpel formal eine Hilfsfunktion, die ihn aber zum Insider des zentralen Geschehens machte. Sein Professoren-Kollege an der Gregoriana, Paolo Molinari, ebenfalls Jesuit und bis heute ein Freund, hatte von Papst Johannes XXIII. den Auftrag, zum Konzil einen Text vorzubereiten. Dieser Pontifex hatte das Konzil einberufen.
Der Text Molinaris, den Gumpel mitformulierte, ging ein in Lumen Gentium. Und als der Papst Molinari als Berater in die theologische Konzilskommission rief, wünschte er, dass Gumpel einbezogen werde. Nach Johannes" Tod im Juni 1963 wollte das auch Papst Paul VI. So bekam Gumpel das Ringen der Konzilsväter hautnah mit. Von Ringkämpfen spricht er nicht, aber in manchen Momenten ging es wohl nahe an Handgreiflichkeiten. Gumpel drückt sich aristokratisch aus: 'Es gab mitunter große Spannungen. Hier und da äußerte sich das in nicht gerade diplomatisch tragbaren Formen.' Aber das seien Ausnahmen gewesen. Die Konzilsväter seien sich trotz Meinungskonflikten kollegial begegnet.
Die Diskussionen um das Konzil verfolgt er - oft mit Unverständnis. Manche Theologen 'bekämpfen das Konzil', sagt er. 'Entweder ging es ihnen nicht weit genug, oder es ging ihnen zu weit.' Er staune gelegentlich über das Selbstverständnis von Theologen, die sich überhebliche Urteile anmaßten. 'Sie haben die Stimmung nicht miterlebt. Sie wissen nicht, wie gestritten wurde. Wie man versuchen musste, in den Kommissionen und Beratungen eine Einheit zu erreichen, damit jeder mit gutem Gewissen unterschreiben konnte.' Wissenschaftlich sei es nicht korrekt, wenn Kritiker einzelne Äußerungen aus dem Kontext rissen, 'manche berufen sich auf diesen, andere auf jenen. Das Konzil muss in der Gesamtheit beurteilt werden.'
Dass es Raum lässt für unterschiedliche Interpretationen, sieht Gumpel kritisch ist - aus seiner Sicht wäre das zumindest teilweise vermeidbar gewesen. Schon bei der Vorbereitung. Da habe der Vatikan den Einfluss von Medien und Öffentlichkeit unterschätzt. Es gab keine professionellen Pressesprecher für das Konzil. Von Anfang an sei daher Falsches berichtet und nicht korrigiert worden. Und vielleicht hätte man die Teilnehmer auch in der ersten Phase nicht zum Stillschweigen verpflichten sollen. Die Berichterstatter zapften anonyme Quellen an: 'Journalisten bekamen zum Teil gezielte Informationen aus bestimmten Kreisen. Man konnte natürlich wissen, aus welcher Ecke, wenn man wusste, was die Leute im Konzil gesagt haben.' Aber beweisen ließ sich nicht, wer da über die Medien auf das Konzil einwirken wollte. Die mangelhafte Kommunikationspolitik, sagt Gumpel, könne zu tun haben mit dem großen Irrtum von Johannes XXIII.: Der dachte, in sechs Wochen sei alles vorbei. 'Am Ende der ersten Konzilsperiode 1962 war noch kein einziges Dokument verabschiedet.' Gumpel erinnert sich an das Lamento des Papstes: 'Warum dieses endlose Reden, wir haben alle das Credo gebetet. Und dann wird geredet, geredet, geredet.' Johannes sei sehr unzufrieden gewesen. Andererseits, sagt Gumpel, habe sich als grundsätzliches Problem erwiesen, dass die Konzilsväter kaum Zeit hatten, ihre Argumente vorzutragen: Bei mehr als 2000 Teilnehmern war die Redezeit im Plenum auf zehn Minuten begrenzt. Schließlich wuchs der Zeitdruck insgesamt, das Konzil musste zu Ende kommen, schon weil es dem Vatikan zu teuer wurde.
Am stärksten aber seien die Beschlüsse geprägt von der Notwendigkeit großer Zustimmung. 'Moralische Mehrheit bedeutet im Kirchenlatein mindestens Zweidrittel', sagt Gumpel, möglichst sollten es 90, 95 Prozent sein. So entstanden 'Kompromissdokumente'. Einige wirkten, als sei 'mit der rechten Hand etwas gegeben und mit der linken wieder zurückgenommen'.
'In den Wein der Transalpinen ist doch eine Menge Wasser geschüttet worden.' Die Transalpinen, das war die besonders gut vorbereitete Gruppe der Deutschen - unter ihnen der Münchner Kardinal Julius Döpfner und Kölns Kardinal Josef Frings - und der Bischöfe aus Österreich, der Schweiz, aus Belgien, Holland und Skandinavien. Andere Synodenväter fühlten sich unter Druck gesetzt von diesen modernen Theologen. Ein Konfliktstoff war die Stellung der Bischöfe in der Kirche. 'Bei den Transalpinen war darüber schon viel geschrieben worden. In den anderen Ländern war das aber nicht ohne Weiteres rezipiert, nicht gelesen und studiert. Da haben die Transalpinen sehr gut gearbeitet. Hier und da aber auch übertrieben.' Es ging um die Fragen: 'Gibt es ein Bischofskollegium? Sind alle gleichberechtigt, ist der Papst Mitglied dieses Kollegiums oder steht er darüber?' An der im ersten Vatikanum festgestellen höchsten Autorität des Papstes jurisdiktionell und in Lehramts-Fragen wollte niemand rütteln, sagt Gumpel. Auch nicht am Recht des Papstes, gegen die Mehrheit eines Konzils zu entscheiden. 'Aber es musste geklärt werden, was dann die Stellung der Bischöfe ist.' Wochenlang redeten sie darüber. Jedes Wort wogen sie ab, missverständliche Formeln stehen zu lassen, wäre gefährlich gewesen. Manchmal gab es Absprachen unter einigen Bischöfen. Ihr Kalkül : 'Lassen wir diese Formel stehen, dann können wir sie nach dem Konzil maximalistisch auslegen.' Gumpel, der von solchen Abprachen ebenso wie Molinari und der Papst Wind bekam, sagt: 'Das ist unsauber, betrügerisch.' Papst Paul VI., hielt es für nötig, mit der Nota praevia den päpstlichen Primat nochmals festzuschreiben.
Zu einem Eklat kam es wegen der Dokumente zur Rolle der Ordensleute. Ein belgischer Bischof behauptete, sie gehörten nicht zur Struktur der Kirche, ihre Funktion als Verbreiter des Glaubens ignorierte er. Merkwürdiges sei da passiert, erzählt Gumpel. Bei der Neuformulierung des Entwurfs von Lumen Gentium verschwand das Kapitel Ordensleute einfach, die zuständige Kommission war nicht informiert. Der General der Jesuiten durfte nicht als Redner auftreten, die Sitzung zum Thema endete ohne ordentliche Abstimmung. Da formierte sich Protest. Gumpel war dabei, als eine Abordnung dem Vorsitzenden der Theologischen Kommission, Kardinal Döpfner, klar machte, dieser Vorgang werde nicht hingenommen. Am Ende waren 800 Konzilsväter auf ihrer Seite, Döpfner musste sich entschuldigen.
Unterschiedlich waren nicht nur Meinungen, die zutage traten, sondern auch die Mentalitäten der Konzilsväter aus aller Welt. Die Professoren Molinari und Gumpel hatten mehr Arbeit als erwartet. Da waren etwa die vielbeschäftigten Missionsbischöfe: 'Hatten die in 20, 30 Jahren jemals ein Theologiebuch geöffnet? Wussten sie etwas von den neuen Entwicklungen?' Paul VI. sagte Gumpel, die Afrikaner hätten große Schwierigkeiten, 'können Sie bitte einmal pro Woche 60 englischsprachige, afrikanische Bischöfe empfangen?' So wurde Gumpel Nachhilfe-Lehrer: 'Wir trafen uns immer im Hotel Columbus in der Via della Conciliazione. Ich machte eine kurze Einleitung, dann stellten sie Fragen, haufenweise.' Mit dem gesprochenen Latein stand es nicht bei allen Bischöfen und Kardinälen zum Besten.
Einer von ihnen bat Gumpel um Hilfe für seine Rede. Offenbar schrieb der Jesuit ausgezeichnet in der Konzilssprache, 'das sprach sich herum'. 100 lateinische Reden hatte er am Ende formuliert. Doch es wurde auch jedem klar: Noch ein Konzil auf Latein wäre nicht mehr möglich. Und die Probleme, die höchste Kirchenvertreter damit hatten, hätten wesentlich dazu beigetragen, dass sie im Dokument Sacrosanctum Concilium andere Liturgie-Sprachen erlaubten. Es ist einer der Punkte, der dann die Traditionalisten von Rom getrennt hat. Für Gumpel ist es vor allem einer der Beschlüsse, der am öftesten falsch ausgelegt wird: als Latein-Verbot.
Was hat das Konzil gebracht? Gumpel klingt nicht gerade optimistisch, wenn er Fragen zitiert, die der Theologe Joseph Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation in einem Aufsatz stellte. Hat das Zweite Vatikanische Konzil zum Glaubensleben der Katholiken beigetragen und bleibend beigetragen - ja oder nein? Gehen nach dem Konzil mehr Leute zur Kirche oder weniger? Gehen mehr Menschen zur Beichte oder weniger? Gibt es mehr Ehescheidungen oder weniger? Die Antworten sind bekannt. Dass Enttäuschung gewachsen ist seit dem Konzil, erklärt Peter Gumpel auch mit der Hochstimmung danach: 'Es hieß, die alte Zeit sei vorbei, alles werde besser. Um Gottes Willen, sagten wir, man weckt Erwartungen, die sich hoffentlich bewahrheiten - aber sicher sind wir nicht.' Seine Zuversicht hat der weise Pater Peter Gumpel noch nicht eingebüßt: 'Ein Konzil ist ein Anfangspunkt, kein Endpunkt.'