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Bad News

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Die Idee klang herrlich absurd: Zwei Dutzend Leute schließen sich bei den Wiener Festwochen als "Kommune der Wahrheit" für fünf Tage in die große Halle des Museumsquartiers ein, um sich dort ganz ungestört den Nachrichten aus aller Welt auszusetzen. Das Ziel: Die Wirklichkeit da draußen soll tagesaktuell auf die Bühne gebracht werden. Jeden Abend öffnen sich die Tore für das Publikum. Dass ein solches Unterfangen scheitern musste, war klar. Die Frage war also nur, wie es scheitern würde.

Die an zwei Seiten von Zuschauertribünen begrenzte Bühne im Museumsquartier sieht aus wie die Kulisse für einen billigen Science-Fiction-Film oder das Studio einer Kika-Sendung. Der Boden der "Wirklichkeitsmaschine" (Untertitel) ist mit Alufolie ausgelegt, von der Decke hängen lächerliche Datenhelme, technisches Equipment türmt sich neben Musikinstrumenten, es gibt eine Wand mit Zeitungsausschnitten und jede Menge Monitore. Die Mitglieder der Kommune tragen beige Overalls; neben sechs Schauspielern, drei Musikern, Live-Zeichnern, Technikern und anderen Kommunarden ist auch Regisseur Nicolas Stemann auf der Bühne.

Anfangs ähnelt die Aufführung - eine Koproduktion der Festwochen mit dem Hamburger Thalia Theater - tatsächlich einer Nachrichtensendung. Schauspieler referieren aktuelle Meldungen: Spionageverdacht gegen den österreichischen Ex-Kanzler Gusenbauer. Ganz Wien feiert den Weltmilchtag. UN fordert Maßnahmen gegen Gewalt im Irak. Die Siegerin von "Germany"s Next Top Model" im Interview. Syrischer Raketenangriff auf den Libanon. Tiertransporter auf der A10 verunglückt. Und weiß jemand, wie es bei Bayern gegen Stuttgart steht?

Nach und nach kommt Kunst ins Spiel. FAZ-Artikel werden chorisch gesprochen oder als Gute-Nacht-Geschichte erzählt, aus Bild-Schlagzeilen wird ein hübscher Folk-Song gebastelt (Refrain: "Busenprotest gegen Heidi!"), einmal marschiert sogar eine echte Blaskapelle über die Bühne. Auch aus der räumlichen Situation wird szenisches Kapital geschlagen. Einmal werden beide Tribünen simultan bespielt, und Stemann dreht der einen Hälfte des Publikums eine lange Nase: "Auf der anderen Seite spielt der Schauspieler des Jahres, ganz toll!"

Der damit gemeinte Sebastian Rudolph zieht mitten in der Aufführung schon mal eine erste Bilanz, die sich nach einer Entschuldigung anhört: "Na ja, wir hatten ja auch kein Stück ..." Überhaupt spielt die Metaebene an diesem Abend, logisch, eine Hauptrolle. Es gibt einen Theorieblock ("Was ist eine Nachricht?") und ein Making-of-Video, in dem die Beteiligten das eigene Projekt kommentieren. Fazit: "Wir wollten die Nachrichten transformieren. Stattdessen haben die Nachrichten uns transformiert!"

Am Ende, nach knapp zwei Stunden, sitzen alle um ein virtuelles Lagerfeuer, als "Außenexperte" ist der ORF-Nachrichtensprecher Eugen Freund dazugestoßen. Stemann will von ihm wissen, wie das nun ist mit der Wahrheit und den Nachrichten. Viel hat der dazu nicht zu sagen, die Szene erinnert jetzt an eine verunglückte Talkshow. Dass man das, was die Medien als Realität vermitteln, nicht mit der Wirklichkeit verwechseln darf, wissen alle Beteiligten natürlich. Um das Thema trotzdem auf die Bühne zu bringen, muss sich das Theater an diesem Abend dümmer stellen, als es ist. Ein charmanter, aber auch durchschaubarer Trick.

Mit der "Kommune der Wahrheit" schließt Nicolas Stemann an seine Elfriede-Jelinek-Textperformances an (zuletzt: "Rein Gold"), für die er sogar eine "schnelle theatrale Eingreiftruppe" gegründet hat. Spätestens seit Jelinek weiß man, dass man auch ohne Stücke tolles Theater machen kann. Aber dazu braucht"s dann halt doch so etwas wie Jelineks Textflächen.

Nicht nur das Nachrichtenbusiness, auch das Theater ist eine Wirklichkeitsmaschine. Nur leider ist umgekehrt die Wirklichkeit keine Theatermaschine.

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