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Brust raus

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Früher war pubertäres Gebaren ein Privileg der Männer. Jetzt gibt es die Femenfrauen, die sich ausziehen, um es allen zu zeigen. Politisch ist das nicht, feministisch auch nicht, doch es bringt eine neue Rolle ins Spiel: die jugendliche Madonna.


Eine nackte Brust kann alles Mögliche bedeuten. Im spätmittelalterlichen Madonnenbild zeigt sie mütterliche Fürsorge an; wenn dagegen die Sängerin Madonna auf einem Konzert in Istanbul den Busen entblößt, mag es ihr um die rigide Abtreibungspolitik der Türkei gehen. Auf Eugène Delacroix" französischem Revolutionsgemälde von 1830 emanzipiert eine kaum Bekleidete als Allegorie der Freiheit gleich das ganze Volk von der Knechtschaft eines überholten Systems. Als sich dagegen einige Engländerinnen im Falklandkrieg für die britischen Soldaten die Blusen aufrissen, war das als imperialer Siegesgestus gemeint. Und natürlich gibt es noch all die blanken Busen der Jetztzeit, die von Hochglanzmagazinen bis Autos irgendetwas Körperfremdes verkaufen sollen.

Nackte weibliche Oberkörper sind also längst Teil der visuellen Kultur zumindest des Westens; die Idee, sie für anderes als Liebesspiele und Babynahrung einzusetzen, ist nicht neu. Wie sind die Aktionen von Femen zu verstehen, jener Organisation aus der Ukraine, deren Mitglieder sich mit dem Slogan "Go topless and win" vor Staatschefs und Moscheen, in Kirchen und bei Schönheitswettbewerben entkleiden, aus Protest gegen Sexismus, Diktaturen, oder, recht diffus, religiöse Übermacht? Gerade wurden eine junge Deutsche und zwei Französinnen in Tunesien zu vier Monaten Haft verurteilt, weil sie für die Freilassung einer Mitstreiterin die Wäsche abwarfen. Angela Merkel hatte sich beim tunesischen Staatschef für die Bergedorferin eingesetzt, während in Sichtweite des Kanzleramts Femenfrauen halbnackt demonstrierten. Zuvor war Merkel im April in Begleitung von Putin mit bemalten Brüsten konfrontiert worden.



Femen-Aktivistinnen protestieren vor dem EU Parlament in Brüssel gegen die Inhaftierung ihrer Kameradinnen in Tunesien.

Medial funktioniert das bestens, sogar die Bild-Zeitung führte ein einfühlsames Interview mit einer Aktionistin darüber, wie es sich anfühlt, in der Kälte von den Sicherheitskräften vor dem Kanzleramt abgeführt zu werden. Wer solche Beschützer hat, der braucht keine Feinde mehr, er oder vielmehr sie ist angekommen im visuellen Mainstream des Westens, und liefert nolens volens, was die Maschine will: nacktes Fleisch, gleichgültig, zu welchem Zweck.

Eine befreiende Provokation, die Diskussionen anregt? Nicht wirklich. Zu gewohnt ist das Heer der Akte an jeder Litfaßsäule, diese bedürfnisfreien weiblichen Wesen, die nicht einmal im tiefsten Winter zu frieren scheinen. In U-Bahnen, auf Partys und in Büros eine gesellschaftliche Debatte anzuzetteln, das haben statt Femen bekleidete junge Frauen erreicht, die zu Beginn des Jahres unter dem Stichwort #aufschrei im Kurznachrichtendienst Twitter Berichte von sexistischen Übergriffen sammelten. Warum? Weil sie wissen, wie man Geschichten aus dem Leben erzählt, während die Femen-Demonstrantinnen immer ein bisschen wie Kunstfiguren aussehen mit ihren Blumen im Haar und den bemalten Taillen. Die alte Annahme, ein Foto wirke per se realistisch, ein Bericht dagegen nicht, kehrt sich ins Gegenteil.

Bei #aufschrei ging es zumindest am Anfang um eine neue Art des Gesprächs, zwischen Männern und Frauen, Frauen und Frauen, Männern und Männern. Die Femen-Frauen dagegen reden nicht lange, schon gar nicht mit den Kopftuchträgerinnen von der Gegenaktion #MuslimahPride, die sich nicht von oben herab als willige Sklavinnen bezeichnen lassen möchten. Ohne jedes Mandat muslimischer Frauen ziehen die selbsternannten Amazonen bis in deren Heimatländer. Das ist wagemutig angesichts möglicher Konsequenzen. Mutig im Sinne von solidarischer Zivilcourage ist es nicht.

Aber vielleicht geht es gar nicht darum, ernsthaft etwas zu verändern, den Menschenhandel einzudämmen, aus Russland eine Demokratie zu machen, Freier zu bestrafen, öde-perfektionistische Körperideale zu korrigieren oder Zwangsehen zu stoppen.

Vielleicht sind die Femen-Aktionen vielmehr das, was es scheint: ein Spiel mit Gesten der Macht. Exhibitionismus lebt davon, dass ein Publikum nicht gefragt wird, ob es soviel Information auch wünscht. Putin startete keine Umfrage bei internationalen Medienkonsumentinnen, bevor er beim Angeln für die Kamera seine Brust bis auf das Kreuzkettchen entblößte. Keiner der nächtlichen Straßenrandpinkler in deutschen Städten holt die Erlaubnis von Spaziergängerinnen ein, die modebewussten Jungs, die eine Zeitlang zu tief hängende Hosen trugen, taten das schon gar nicht. Und im Gegensatz zum hochgezogenen T-Shirt vor den Augen des Liebhabers ist eine in der Öffentlichkeit ohne Vorwarnung entblößte Brust: eine Attacke.

Sie gehört zu jenen Attacken, die nicht an den Grundfesten sozialer Verhältnisse rütteln, sondern lediglich mit dem Protest als Ausdrucksform spielen. Denn Femen liefert Medien und Konsumenten genau jene Bilder, die sie gewohnt sind, toll und normal zu finden. So normal, dass kaum noch jemand den doppelten Übergriff bemerkt, den der übliche Ausverkauf des weiblichen Körpers auf jeder zweiten Plakatwand bedeutet: Er richtet sich gegen Passantinnen, die sich zu Hause mit viel Aufwand gekleidet und geschminkt haben, nur um sich nach zwei Schritten auf die Straße hinausschon wieder nackt zu fühlen. Und er richtet sich gegen das männliche Publikum, das für dumm verkauft wird und für blöd genug, sexuellen Erfolg für eine Frage des Geldes zu halten.

Diesem Bildervolk hemdloser Mädchen gesellen sich nun die Femenfrauen zu, und stärken damit nur jene Prinzipien, die sie bloßstellen wollen. Ihr Protest bleibt Selbstzweck; er ist ein Scheinwiderstand gegen das große Ganze, in das die Femenfrauen sich eingliedern, wie es alle anderen auch tun.

Damit ist diese Spaßguerilla Pop, ein Fall nicht für Politikwissenschaftler, sondern für die Kulturkritik. Ihre Geste mag sagen: Wir sind so stark, wir nehmen es mit jedem Kerl auf und mit jeder Kamera sowieso. Doch sie bleibt Behauptung, wie es auch in der Pubertät der Fall ist, wenn Jugendliche die Welt mit aller Kraft aus den Angeln hebeln wollen, aber nur sie selbst glauben, sie könnten es auch.

So gesehen haben die Aktionen einen Sinn: Die Aktivistinnen bringen die weibliche Pubertät ins gesellschaftliche Spiel und lassen, auch wenn sie längst erwachsen sind, das Triumphgefühl junger Mädchen aufleben, die gerade entdecken, was man mit einem ausgewachsenen Körper anstellen kann.

Und warum auch nicht. Die Gegenwartskultur ist voll von pubertärem Gehabe, in der Musik, im Regietheater, der Kunst, im Film und in der Fankurve des Stadions sowieso. Nur sind es fast immer Männer, vom Studenten- bis zum Rentneralter, die den großen Rotzlöffel-Auftritt auskosten. Das funktioniert nur, solange jemand anderes vernünftig bleibt. Wenn der Künstler Jonathan Meese die Hand zum Hitlergruß erhebt oder Größenwahnsinniges plappert, sitzt im Zweifelsfall seine Managerin Mama im Publikum. Und der Rapper Bushido bekam den Bambipreis für Integration von der Bunte-Chefin Patricia Riekel verliehen - die kurz darauf, nach Protesten, eine Homestory ins Blatt hob über Bushidos "sensible Seite", nämlich seine Liebe zu seiner deutschen Oma und Mama.

Der Bengel und die pflichtbewusste Mutter - was für ein langweiliges Typenrepertoire für eine ganze Gesellschaft. Was ist aus den Rollenmodellen jenseits von Philipp Rösler und Angela Merkel geworden? Es braucht ebenso den gestandenen älteren Landesvater, der immer die richtigen Worte findet und nicht in der erstbesten Krise zurücktritt. Oder eine 29-jährige Junge Union-Funktionärin und Notariatsangestellte wie Zana Ramadani, die in ihrer Freizeit bei Femen völlig sorglos blankzieht.

Das ist ja das Schöne an der Pubertät: Wann sonst kann man es einmal allen zeigen und dem Elend der Welt gleich mit? Und wenn das "Get topless and win"-Gebrüll nur dazu dient, Büroarbeiterinnen zu verwirren, die halbstündig kontrollieren, ob der BH-Träger noch schön unsichtbar sitzt - damit sie auch optisch als das durchgehen, was sie im allzu maskulinen Umfeld nur sein dürfen: Männer zweiter Wahl.

Wie sich allerdings mit der Maxime von der ewigen Pubertät das Land und die Welt von heute und morgen gestalten lassen, bleibt fraglich. Vielleicht sollte man einfach Protestformen und Habitus der Jugend den echten Teenagern überlassen, Jungen wie Mädchen, anstatt ihnen ständig auch noch das Letzte streitig zu machen, was nur ihnen gehört.

Und sich stattdessen um Politik jenseits der Kraftgesten kümmern und Impulse erfinden, die Veränderungen in Gang setzen. Das gelingt Femen nicht: Islamisten fühlen sich in ihrem Weltbild bestätigt, muslimische Feministinnen sind beleidigt, die westliche Öffentlichkeit konsumiert achselzuckend einige Oben-Ohne-Bilder mehr. Alles bleibt wie es ist und der Busen darf einmal wieder kein Selbstzweck sein.

Eine fruchtbarere Provokation wäre es, im deutschen Fernsehen eine kopftuchtragende Nachrichtenmoderatorin oder Chefredakteurin einzustellen. Die könnte sich dann all die routinierten Bildermacher und Klischeeschleuderer einmal zur Brust nehmen.

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