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Kind des Jahrhunderts

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Pete Doherty, Kate-Moss-Verführer und Englands letzter Borderline-Rockstar, hat im Heroinrausch einen Kinofilm gedreht. Sylvie Verheydes 'Confession' zeigt ihn als Karikatur seiner selbst

Wir haben alles versucht. Wir haben aus seinen dunklen, ungesunden Augenringen die Zukunft gelesen, an seinen Rippen die verstreichenden Tage nachgezählt. Wir haben ihm Durchhalteparolen geschickt, ihn angefleht: Sei stark, stirb nicht! Ihm, Pete Doherty, dem letzten Londoner Borderline-Rockstar, dem Schmerzensmann und Heroinkasper.

Er hielt durch, er überlebte. Und, tja, jetzt hocken wir da mit ihm.

Kurz zur Erinnerung, ist ja auch schon wieder fünf, sechs Jahre her, also eine Ewigkeit: Doherty, das war der dürre, blasse Musiker, der meistens einen Hut trug. Der tatsächlich mal visionären, erdbebenden Neo-Beatnik-Punkrock spielte, in den Nullerjahren, erst als Sänger, Gitarrist und Gefahrenherd der Band The Libertines. Dann mit der Nachfolgegruppe Babyshambles oder allein mit der Gitarre, als zerkratzter Baudelaire, der mit Spritzenblut lustige Gedichte schrieb und 17-jährige Mädchen mit ihren eigenen Muttergefühlen bekannt machte. Beim restlichen Publikum gelang ihm der Durchbruch, als er und das Model Kate Moss 2005 ein Liebespaar und ein toller Boulevard-Roman wurden. Als sich die Gerichtstermine häuften, weil Doherty immer öfter mit den Drogen erwischt wurde, von denen er ständig sprach. Ein B-Prominenter, aber mit A-Talent und einem furchtbar echt aussehenden Todestrieb. Man zitterte, wie lange er es noch machen würde.



Er hielt durch, er überlebte.

Wie gesagt, im Jahr 2013 ist Pete Doherty noch da. Kommt sogar ins Kino, mit "Confession", seinem Debüt als Schauspieler. Der Film ist eine ziemliche Katastrophe. Was auch an Doherty liegt, aber nicht nur. Wie konnte das passieren?

Es muss sich für die Pariser Regisseurin Sylvie Verheyde ja wie ein irrer Coup angefühlt haben, als sie den Star bekam. Ende 2010 wurde darüber berichtet, das Hin und Her hatte sicher länger gedauert. Von Verheyde kennt man höchstens das kleine Jugenddrama "Stella", ihr "Confession"- Drehbuch basiert auf dem autobiografischen Roman "Bekenntnis eines jungen Zeitgenossen": 1836 erschienen, kurz nach der französischen Julirevolution und rund sechzig Jahre nach Goethes "Werther". Verfasst vom damals 26-jährigen Alfred de Musset, einem romantischen Sohn aus armem Adel, selbstverständlich Lebemann, dessen Affäre mit der Schriftstellerin George Sand gerade zu Ende gegangen war, nachdem sie ihn mit seinem Arzt betrogen hatte. Die Schnupftabak-Kokain-Parallele braucht man gar nicht mehr, um festzustellen, was für ein traumhafter Doherty-Part das ist.

Denn so identisch wie möglich mit der eigenen Rolle zu sein, das war es ja, was ihn auf dem Gitarrenbubi-Marktplatz so speziell gemacht hatte. Er spielte für Teenager, die längst nicht mehr an das Authentische glauben konnten, an Punk oder den Weihnachtsmann, aufgeklärt durch all die Casting-Shows und Making-of-Dokumentationen. Und denen Doherty eben doch irgendwie weismachen konnte, dass es bei ihm, seinen Liedern und Kapriolen um mehr ging, um Leben oder Tod, um Reinigung, Risiko und so weiter. Der Rattenfänger von Hammelbein, der naseblutend durch die Kulisse stolperte. Ihm ging"s schlecht. Aber es fühlte sich gut an.

Auch bei den Dreharbeiten zu "Confession" fielen Dinge vor, ordnungsgemäß. In Regensburg warfen der mittlerweile 34-jährige Doherty und Filmpartner August Diehl zur Faschingszeit das Schaufenster eines Plattenladens ein, stahlen eine Gitarre und eine Schallplatte (was braucht man mehr?), blieben aber straffrei. Außerdem habe er am Filmset regelmäßig Heroin genommen, mit Wissen der Regisseurin, erzählte Doherty kürzlich dem Guardian: "Es war ihr eigentlich egal. Die Frage war immer nur: Wie schnell finde ich eine Vene, damit wir weiterdrehen können?"

Wie egal Verheyde das war, darüber kann man nur spekulieren. Gut, dass "Confession" überhaupt fertig geworden ist. Schlecht, dass ihr Zugpferd seit vier Jahren keine Platte mehr gemacht hat, zuletzt schon eher krampfhaft in die Schlagzeilen gehoben werden musste. Und so gerne man ihn gegen die Buhrufe in Schutz nehmen würde, die es in Cannes gegen "Confession" gab: Wenn die Libertines 2002 Rock "n" Roll waren, dann ist Pete Dohertys Schauspieldebüt eher eine knapp zwei Stunden lange, einhändige Improvisation auf dem Gemeindehausklavier.

Die Geschichte, wie im Buch von 1836: Als junger Pariser Edelmann wird Doherty (der in den Credits förmlich "Peter" heißt) von der Freundin betrogen, rutscht in Exzess und Hedonismus, findet dann bei einer Landpartie die große, wahre, brave Liebe. Erschwerend kommt hinzu, dass diese von Charlotte Gainsbourg gespielt wird, die bei der ersten Begegnung auf einem verschneiten Waldweg eine kleine weiße Ziege streichelt. In dieser Szene steckt auch schon das komplette Problem des Films. Gainsbourg, eine der besten, Lars-von-Trier-gestählten europäischen Schauspielerinnen - als Sparringspartnerin für den Junkie-Debütanten. Kann es gut sein, dass wir sofort an Kate Moss denken? Und, nun ja, ein Zicklein im Schnee. Der Engländer würde energisch rufen: Come on!

An anderer Stelle muss Doherty Sätze sagen wie: "Ich habe zu erzählen, bei welcher Gelegenheit mich die Krankheit des Jahrhunderts befiehl." Muss dazu pausbäckig, triefäugig und ungekämmt in Zimmern umhergehen, starrend, laut atmend. Dass der Künstler beim großen Leinwanddebüt oft wie ein krankes Kind im Arztwartezimmer wirkt, liegt nicht bloß an mangelndem Spieltalent, sondern daran, dass "Confession" überhaupt eine gewaltige Schlagseite hat. Lasche Dramaturgie, Schultheater-Dialoge, teilweise konfuse Kameraführung. Verheyde will aus dem De-Musset-Buch unbedingt eine Art Fieberkurve der Gegenwartsjugend machen, baut umständlich Bezüge zur Finanzkrise ein. Vergisst aber, ihrem wertvollen, hilflosen Star die Hand zu reichen, die er als Kinodebütant gebraucht hätte.

Und so wird die Hauptfigur in "Confession" die erste Rolle, an der Pete Doherty scheitert. An der er scheitern muss. Nicht etwa, weil er sich selbst spielt, das hat er ja lange genug geübt, nach eigenen Regeln, mit einer streng privaten Version von Authentizität. Viel schlimmer: In Sylvie Verheydes Film muss er der Doherty sein, den die anderen zu sehen glauben. Eine Karikatur in Gehrock und Rüschenhemd, ein Clown, der sich in einer Szene ernsthaft als "der größte Libertin von Paris" bezeichnen muss. Libertin wie in Libertines.

Mike Leigh hätte ihn einen Supermarktverkäufer spielen lassen. Werner Herzog einen Engel oder Vampir, Judd Apatow einen trotteligen Polizisten. Das hätte Spaß gemacht, vielleicht eine neue Ebene eröffnet. Aber dass Pete Doherty, der Risikokünstler und romantische Punk-Eulenspiegel, noch mal einen Film drehen wird, das ist nach dieser Pleite eher unwahrscheinlich.

La confession d"un enfant du siècle, F/D/GB 2012 - Regie und Buch: Sylvie Verheyde. Kamera: Nicolas Gaurin. Mit Pete Doherty, Charlotte Gainsbourg, August Diehl. Verleih: Farbfilm, 120 Min.



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