Die zweite Staffel der HBO-Serie 'The Newsroom' gewährt Einblicke in die Ängste, Lügen und Süchte einer Branche, die sich für unantastbar hält
Seit Wochen starrt der Mann mittleren Alters auf diesem Plakat am Sunset Boulevard in einen kaputten Fernseher. Beide - der Mann und der Fernseher - sehen aus, als ob ihre Zeit bald abgelaufen ist. Das Plakat bewirbt die neue Staffel von Newsroom. Amerika, Politik, State of the Art, betrachtet aus der Sicht eines Nachrichtensenders.
Doch im Prinzip geht es um den Umgang mit Adrenalin - einer Nation und des Einzelnen. Den Umgang damit, wenn man live spricht, wenn in Ägypten live geschossen wird. Nachrichten, CNN-Gefühl. Herzinfarktgefahr, ständig. Der Sender, um den es in der HBO-Serie geht, trägt den Fantasiename ACN und bildet die ganze Welt in der Größe eines Newsrooms ab. The Newsroom, geschrieben von Starautor Aaron Sorkin (The Social Network, The West Wing), erzählt von der Fabrikation von Realität, davon, welchen Einfluss republikanische Milliardäre auf die 'Wahrheit' haben, all diese harten Themen. Das könnte sehr schnell sehr beschwerlich sein.
Doch ACN verfügt über ein herzinfarktgefährdetes Gesicht, einen Anchorman, der alles rausreißt und alles beleidigt. Will McAvoy (Jeff Daniels) moderiert jeden Abend die News und findet sich Wahnsinn. Will gehört zu der Generation, die mit Internet nicht viel am Hut hat und das Fernsehen noch für eine starke Waffe hält. Er schläft nachts schlecht, ist jähzornig und hört mit Zigarre in der Hand traurigen Rock auf seiner Dachterrasse in Manhattan. Mitleid hat man nicht mit ihm. Will ist das Gesicht, die Stimmung im Sender.
Die Schauspieler Alison Pill und John Gallagher bei der Premiere der 2. Staffel von "The Newsroom"
Sein Umfeld: junge, ehrgeizige Männer auf der Suche nach Geschichte, die 'Karrieren machen und Präsidentschaften beenden', wie man das bei ACN sagt. Und Frauen. Da ist MacKenzie McHale (Emily Mortimer) die Chef-Produzentin, englische Kodderschnauze und eine Frau, die 'alles reparieren will, was ihr in den Weg kommt', sagt die Schauspielerin bei der Staffelpräsentation in Los Angeles. Da ist Sloan Sabbith (Olivia Munn), hammerharte TV-Ökonomin mit Stahlwangenknochen, die von MacKenzie wegen ihres Gehirns und ihrer Wahnsinnsbeine eingestellt wird.
Da ist Maggie Jordan (Alison Pill), Kindergesicht, Bambiaugen, die gleich zwei Jungs an den Schreibtischen neben sich verrückt macht und so ist, wie man als Anfängerin in den Medien eben ist: Sie will es wissen, alles richtig machen. Das 'Richtige' gibt es aber nicht, beziehungsweise es wird von jedem anders ausgelegt. Sorkin hat eine gute Crew. Jeder Charakter spielt mindestens eine Lüge aus der Medienwelt.
Für die erste Newsroom-Staffel im vergangenen Jahr musste Sorkin eine Menge Prügel einstecken. Zu viele liberale Reden, der konservative Sender Fox News schimpft die Serie eine 'liberale Fiktion', was Sorkin nicht als Kompliment begriff. Und das, obwohl 'es wahrscheinlich eine liberale Fiktion ist', wie Sorkin zugibt. Außerdem: zu lange Reden von einem Mann. Und dann die Sexismusvorwürfe wegen der Frauenrollen, worüber sich die Frauen in der Serie am meisten wunderten. Sorkins Newsroom besteht sogar die Bechdel-Prüfung, einen Kurztest, der in Hollywood besagt, wann ein Film oder eine Serie feministisch ist: Erstens müssen zwei Frauen namentlich vorkommen. Zweitens müssen sie miteinander reden. Drittens über ein Thema, das nichts mit 'Mann' zu tun hat. All das schafft Newsroom locker. Frauen reden hier über Drohnen, nicht über Strümpfe, oder eben Männer.
Für die neue Staffel, die seit Sonntag in den USA läuft und in Deutschland im On-Demand-Angebot von Sky, nahm sich Sorkin die Sache wirklich zu Herzen und schrieb vergangenes Jahr dreiviertel der neuen Folgen um. 'Er wünschte uns schöne Weihnachten, und dann verschwand er', sagt Jeff Daniels in Los Angeles. Dann ging es sofort los. Proben kennt Aaron Sorkin nicht, alle sollen auf Adrenalin sein, genauso wie er, sein Ziel: die Schauspieler in eine ähnliche Stimmung bringen, in der er selber ist, quasi co-abhängig.
Sorkin gilt laut Hollywood Reporter als 'angsty', besessen. Er dusche sechsmal am Tag, jedes Mal, bevor er eine neue Szene schreibt. Früher habe er seine Angst mit Kokain bekämpft, doch seit einer Festnahme 2001 auf dem Flughafen Burbank wegen des Angstkillers hat er seine Angst lieber wieder ins Schreiben gelegt. Jeff Daniels schwärmt: 'Es ist, als hätte ein Jazzpianist die zweite Staffel geschrieben.' Für die hat sich Sorkin sogar die Nase gebrochen, als er eine Szene vor seinem Badezimmer ein wenig zu heftig spielte. Das muss ihn anschließend zu den richtigen Fragen für die zweite Staffel geführt haben: Was ist, wenn du glaubst, dein Job in den Medien macht dich unantastbar, doch in Wahrheit wird er dich tiefer stürzen als du je geahnt hast?
Wir befinden uns im Jahr 2012, im Wahlkampf zwischen Barack Obama und seinem republikanischen Herausforderer Mitt Romney. Will behauptet on air 'die Tea Party sind die Taliban der USA', woraufhin ihm der Senderchef die 9/11-Sondersendung entzieht und Will eine Kettenreaktion im Sender auslöst. In Wills Augen ist sein Kommentar eine salontaugliche Provokation, eine, die er sich verdient habe nach all den Jahren der Zurückhaltung. Er ist doch wer. Will ist die Art Mann, die Provokationen immer ohne Konsequenzen vermutet. Um Will steht es nicht gut.
'Er fängt an, sich nachts zu googeln und mehr zu trinken. Ich kenne Wills Angst des Versagens. In jedem fünften Auto in Los Angeles sitzt ein arbeitsloser Schauspieler in meinem Alter', sagt Daniels. Als nächstes wird der Sohn der Senderbesitzerin (gespielt von einer genial machohaften Jane Fonda) aus der Aufsichtsratssitzung ausgeladen, Anwälte müssen Überstunden machen, um den Sender zu retten. Natürlich wird das Newsroom-Gefüge davon betroffen, die Belegschaft sucht nach neuem Adrenalin, das mit der alten Ordnung verloren gegangen ist. Am härtesten trifft es Maggie. Sie kehrt mit roten, kurzen Haaren und Psychoblick aus Afrika zurück.
Von der Anwältin auf die roten, extrem unvorteilhaften Haare angesprochen sagt Will diesen Will-Satz: 'Frauen probieren Dinge aus.' Doch wir wissen, dass Maggies Suche nach Adrenalin ihren Angsthaushalt für immer zerstört hat. Sie wird süchtig bleiben, nach Erlebnissen, die sie umbringen könnten. Das ist Sorkins eigentliches Talent in der zweiten Staffel: zeigen, wie aus Journalisten irgendwann Junkies werden, die ihren Adrenalinhaushalt nicht mehr kontrollieren können und alles tun, um sich das Zeug zu besorgen.
Man muss sich klarmachen, dass diese Leute versuchen, uns die Welt zu erklären. Doch Aaron Sorkin weiß, dass Entzug von einem bestimmten Punkt an nicht mehr möglich ist.
Seit Wochen starrt der Mann mittleren Alters auf diesem Plakat am Sunset Boulevard in einen kaputten Fernseher. Beide - der Mann und der Fernseher - sehen aus, als ob ihre Zeit bald abgelaufen ist. Das Plakat bewirbt die neue Staffel von Newsroom. Amerika, Politik, State of the Art, betrachtet aus der Sicht eines Nachrichtensenders.
Doch im Prinzip geht es um den Umgang mit Adrenalin - einer Nation und des Einzelnen. Den Umgang damit, wenn man live spricht, wenn in Ägypten live geschossen wird. Nachrichten, CNN-Gefühl. Herzinfarktgefahr, ständig. Der Sender, um den es in der HBO-Serie geht, trägt den Fantasiename ACN und bildet die ganze Welt in der Größe eines Newsrooms ab. The Newsroom, geschrieben von Starautor Aaron Sorkin (The Social Network, The West Wing), erzählt von der Fabrikation von Realität, davon, welchen Einfluss republikanische Milliardäre auf die 'Wahrheit' haben, all diese harten Themen. Das könnte sehr schnell sehr beschwerlich sein.
Doch ACN verfügt über ein herzinfarktgefährdetes Gesicht, einen Anchorman, der alles rausreißt und alles beleidigt. Will McAvoy (Jeff Daniels) moderiert jeden Abend die News und findet sich Wahnsinn. Will gehört zu der Generation, die mit Internet nicht viel am Hut hat und das Fernsehen noch für eine starke Waffe hält. Er schläft nachts schlecht, ist jähzornig und hört mit Zigarre in der Hand traurigen Rock auf seiner Dachterrasse in Manhattan. Mitleid hat man nicht mit ihm. Will ist das Gesicht, die Stimmung im Sender.
Die Schauspieler Alison Pill und John Gallagher bei der Premiere der 2. Staffel von "The Newsroom"
Sein Umfeld: junge, ehrgeizige Männer auf der Suche nach Geschichte, die 'Karrieren machen und Präsidentschaften beenden', wie man das bei ACN sagt. Und Frauen. Da ist MacKenzie McHale (Emily Mortimer) die Chef-Produzentin, englische Kodderschnauze und eine Frau, die 'alles reparieren will, was ihr in den Weg kommt', sagt die Schauspielerin bei der Staffelpräsentation in Los Angeles. Da ist Sloan Sabbith (Olivia Munn), hammerharte TV-Ökonomin mit Stahlwangenknochen, die von MacKenzie wegen ihres Gehirns und ihrer Wahnsinnsbeine eingestellt wird.
Da ist Maggie Jordan (Alison Pill), Kindergesicht, Bambiaugen, die gleich zwei Jungs an den Schreibtischen neben sich verrückt macht und so ist, wie man als Anfängerin in den Medien eben ist: Sie will es wissen, alles richtig machen. Das 'Richtige' gibt es aber nicht, beziehungsweise es wird von jedem anders ausgelegt. Sorkin hat eine gute Crew. Jeder Charakter spielt mindestens eine Lüge aus der Medienwelt.
Für die erste Newsroom-Staffel im vergangenen Jahr musste Sorkin eine Menge Prügel einstecken. Zu viele liberale Reden, der konservative Sender Fox News schimpft die Serie eine 'liberale Fiktion', was Sorkin nicht als Kompliment begriff. Und das, obwohl 'es wahrscheinlich eine liberale Fiktion ist', wie Sorkin zugibt. Außerdem: zu lange Reden von einem Mann. Und dann die Sexismusvorwürfe wegen der Frauenrollen, worüber sich die Frauen in der Serie am meisten wunderten. Sorkins Newsroom besteht sogar die Bechdel-Prüfung, einen Kurztest, der in Hollywood besagt, wann ein Film oder eine Serie feministisch ist: Erstens müssen zwei Frauen namentlich vorkommen. Zweitens müssen sie miteinander reden. Drittens über ein Thema, das nichts mit 'Mann' zu tun hat. All das schafft Newsroom locker. Frauen reden hier über Drohnen, nicht über Strümpfe, oder eben Männer.
Für die neue Staffel, die seit Sonntag in den USA läuft und in Deutschland im On-Demand-Angebot von Sky, nahm sich Sorkin die Sache wirklich zu Herzen und schrieb vergangenes Jahr dreiviertel der neuen Folgen um. 'Er wünschte uns schöne Weihnachten, und dann verschwand er', sagt Jeff Daniels in Los Angeles. Dann ging es sofort los. Proben kennt Aaron Sorkin nicht, alle sollen auf Adrenalin sein, genauso wie er, sein Ziel: die Schauspieler in eine ähnliche Stimmung bringen, in der er selber ist, quasi co-abhängig.
Sorkin gilt laut Hollywood Reporter als 'angsty', besessen. Er dusche sechsmal am Tag, jedes Mal, bevor er eine neue Szene schreibt. Früher habe er seine Angst mit Kokain bekämpft, doch seit einer Festnahme 2001 auf dem Flughafen Burbank wegen des Angstkillers hat er seine Angst lieber wieder ins Schreiben gelegt. Jeff Daniels schwärmt: 'Es ist, als hätte ein Jazzpianist die zweite Staffel geschrieben.' Für die hat sich Sorkin sogar die Nase gebrochen, als er eine Szene vor seinem Badezimmer ein wenig zu heftig spielte. Das muss ihn anschließend zu den richtigen Fragen für die zweite Staffel geführt haben: Was ist, wenn du glaubst, dein Job in den Medien macht dich unantastbar, doch in Wahrheit wird er dich tiefer stürzen als du je geahnt hast?
Wir befinden uns im Jahr 2012, im Wahlkampf zwischen Barack Obama und seinem republikanischen Herausforderer Mitt Romney. Will behauptet on air 'die Tea Party sind die Taliban der USA', woraufhin ihm der Senderchef die 9/11-Sondersendung entzieht und Will eine Kettenreaktion im Sender auslöst. In Wills Augen ist sein Kommentar eine salontaugliche Provokation, eine, die er sich verdient habe nach all den Jahren der Zurückhaltung. Er ist doch wer. Will ist die Art Mann, die Provokationen immer ohne Konsequenzen vermutet. Um Will steht es nicht gut.
'Er fängt an, sich nachts zu googeln und mehr zu trinken. Ich kenne Wills Angst des Versagens. In jedem fünften Auto in Los Angeles sitzt ein arbeitsloser Schauspieler in meinem Alter', sagt Daniels. Als nächstes wird der Sohn der Senderbesitzerin (gespielt von einer genial machohaften Jane Fonda) aus der Aufsichtsratssitzung ausgeladen, Anwälte müssen Überstunden machen, um den Sender zu retten. Natürlich wird das Newsroom-Gefüge davon betroffen, die Belegschaft sucht nach neuem Adrenalin, das mit der alten Ordnung verloren gegangen ist. Am härtesten trifft es Maggie. Sie kehrt mit roten, kurzen Haaren und Psychoblick aus Afrika zurück.
Von der Anwältin auf die roten, extrem unvorteilhaften Haare angesprochen sagt Will diesen Will-Satz: 'Frauen probieren Dinge aus.' Doch wir wissen, dass Maggies Suche nach Adrenalin ihren Angsthaushalt für immer zerstört hat. Sie wird süchtig bleiben, nach Erlebnissen, die sie umbringen könnten. Das ist Sorkins eigentliches Talent in der zweiten Staffel: zeigen, wie aus Journalisten irgendwann Junkies werden, die ihren Adrenalinhaushalt nicht mehr kontrollieren können und alles tun, um sich das Zeug zu besorgen.
Man muss sich klarmachen, dass diese Leute versuchen, uns die Welt zu erklären. Doch Aaron Sorkin weiß, dass Entzug von einem bestimmten Punkt an nicht mehr möglich ist.