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Dein Bauch gehört dir

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Türkei diskutiert, ob Schwangere die Öffentlichkeit meiden sollen.

Jetzt gibt es auch ein Gezi-Baby. Tugfe Tufan Tasan hat einen gesunden Jungen geboren. Die junge Türkin war bekannt geworden, weil sie hochschwanger, mit nacktem Bauch vor Kameras posiert hatte. Auf ihren gewölbten Leib hatte sie die Worte #direngeziparki geliyorum geschrieben: Leiste Widerstand Gezi Park. Ich komme. Vielleicht war es dieser offenherzige Protest, der den islamischen Mystiker und Rechtsanwalt Ömer Tugrul Inancer dazu bewegt hat, die Türkinnen im Staatsfernsehen TRT dazu aufzufordern, ihre Schwangerschaften künftig in der Öffentlichkeit zu verbergen.



"Schlendernd werden wir gebären", schrieben protestierende Frauen auf ihre Plakate.

"Unästhetisch", ja unsittlich sei es, mit einem so großen Bauch "auf der Straße herumzugehen", so der Muslim. Frauen im siebten oder achten Monat sollten sich stattdessen "von ihren Männern" abends zum Luftschnappen "im Auto" herumfahren lassen, ließ Inancer wissen. Der Moderator des Programms bedankte sich: "Gott sei mit Ihnen." Die TRT-Sendung sollte eine beschauliche Plauderstunde zum Fastenmonat Ramadan sein. Doch mit dem Frieden ist es nun vorbei.

Vor dem TV-Gebäude in Istanbul gab es sofort Proteste. In der zentralen Fußgängerzone - der Istiklal, die zum Taksim-Platz führt - trugen Frauen Plakate mit den Worten "Schlendernd werden wir gebären". In der Parole kommt im Türkischen das Wort "Gezi" (Spaziergang) vor, eine Anspielung auf die Proteste für die Rettung des kleinen Gezi-Parks, die sich auf die ganze Türkei ausgedehnt hatten. Ein paar Männer banden sich aus Solidarität Kissen um den Körper und demonstrierten mit den Frauen. Auch einige der Frauen machten sich künstliche Bäuche - mit Bauhelmen unter der Bluse. Seit den Gezi-Protesten besitzen viele Istanbuler solche stoßfesten Helme.

"Sollen wir unsere Kinder vielleicht durch Telekinese zur Welt bringen?" fragte die Journalistin Belgin Akaltan in der Zeitung Turkish Daily News. Ein Berater von Regierungschef Tayyip Erdogan hatte jüngst davor gewarnt, der Premier könnte durch "Telekinese" - Ferneinwirkung - von unbekannten Mächten getötet werden, worauf zumindest eine neue Verschwörungstheorie in Ankara geboren wurde. Erdogan wiederum hat sich gewünscht, Türkinnen sollten mindestens drei Kinder gebären. Daran erinnern Kritikerinnen des TV-Theologen und des Premiers nun auch. "So werden Frauen zu jahrelangem Hausarrest verurteilt", schimpfte eine Türkin über Twitter, wo sich seit Tagen Hohn und Spott über Inancer ergießen. Der blieb auf Nachfrage der Nachrichtenagentur Anatolia dabei: "Zu intim" sei der Anblick von Schwangeren.

Auch das staatliche Religionsamt sah sich gezwungen, eine Erklärung zum Thema abzugeben. Es gebe im Islam keine Forderung nach einer "Isolierung" von Schwangeren, versicherte die Behörde. "Im Gegenteil: Eine Mutter zu sein, ist ein Geschenk." Jedoch, so schränkten die islamischen Aufpasser ein, schwangere Frauen sollten sich "noch sorgfältiger kleiden" als Frauen ohnehin. "Sie sollten keine Kleider tragen, die ihre Bäuche" und weiblichen Formen betonten. "Es ist die Mentalität", kommentierte eine Kolumnistin in der Zeitung Radikal, "wenn es um Frauen geht, dann sind wir noch immer nicht in diesem Jahrhundert angekommen."


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