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Entscheidungsschlacht um Berlusconi

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Italiens oberstes Gericht befindet über das Urteil im Fall Mediaset - und damit über das politische Schicksal des ehemaligen Premierministers. In Rom wächst die Nervosität, manche sehen schon das Ende der Koalition kommen.

Die Sicherheitsmaßnahmen für den Justizpalast an Roms Piazza Cavour wurden am Dienstag verschärft. Was dort in der großen Aula im zweiten Stock verhandelt wird, kann aber vor allem auf der anderen Seite des Tiber gefährlich werden, wo Parlament und Regierung Italiens ihre Sitze haben. Das oberste Gericht des Landes, der Kassationshof, entscheidet, ob das im Mai in Mailand gefallene Urteil rechtlich korrekt ist, das in zweiter Instanz gegen Silvio Berlusconi verhängt wurde. Der ehemalige Premier erhielt vier Jahre Haft - drei von ihnen fallen unter eine automatische Amnestieregelung - und fünf Jahre Amtsverbot wegen Steuerbetrugs im Fall Mediaset. Der Kassationsspruch könnte den Mann aus der aktiven Politik eliminieren, die er zwei Jahrzehnte dominiert hat.



Kommt es in Itailien zu einem Konflikt der Verfassungsorgane?

Premierminister Enrico Letta beschwichtigt. Er sei gelassen, auf seine Regierung komme kein Erdbeben zu, sagte er am Montag in Athen. Auch die Minister des Koalitionskabinetts aus Lettas sozialdemokratischer PD und Berlusconis PDL wiederholen seit Tagen, eine Justizentscheidung über eine einzelne Person werde keinen Einfluss auf die Regierung des Landes haben. Auch Berlusconi selbst sagte mehrmals, die Koalition werde fortgesetzt, und mahnte seine Partei zur Ruhe. Die "Falken" in seiner Partei ignorieren den Appell, sie drohen, die Parlamentsarbeit zu boykottieren; von "Massen-Rücktritten" der PDL-Parlamentarier ist die Rede und von Demonstrationen vor dem Präsidentenpalast.

Alle wissen, dass sie damit den Bruch der Koalition provozieren, denn Senatoren und Abgeordnete der PD, die die Allianz mit den Rechtspopulisten ohnehin nur unter Schmerzen ertragen, haben bereits erklärt, dass sie spektakuläre Aktionen für unzumutbar hielten. Es wäre für ihn sehr schwierig, weiterhin mit einer Partei zu kooperieren, deren Führer rechtmäßig verurteilt sei, sagte der PD-Fraktionschef im Senat, Luigi Zanda. Die PD-Senatorin Laura Puppato sagte zu La Stampa: "Mir kommt es irre vor, dass das Schicksal des Landes an einer einzelnen Person hängen soll." Ein Massenrücktritt wäre sehr schwerwiegend, dann "wären wir in einem Demokratie-Notstand".

Das wichtigste Argument der radikalen PDL-Politiker fasste die Abgeordnete Daniela Santanchè so zusammen: "Wenn er verurteilt würde, würde ein Volk verurteilt und ins Gefängnis gesteckt. Wir werden nicht zulassen, dass die Demokratie entstellt wird und man zehn Millionen Italienern ihre politische Führungsgestalt entzieht." Inwieweit Santanchè und andere Scharfmacher im Namen Berlusconis sprechen, ist nicht immer klar. Auf Anweisung seiner Verteidiger hält sich der Ex-Premier zurück. Angeblich wusste er auch nicht, dass die ihm freundlich gesonnene Zeitung Libero am Wochenende mehrere Passagen aus einem Gespräch mit ihm veröffentlichen würde. "Ich werde nicht abhauen", sagte der fast 77-Jährige da, "ich gehe in die Zelle." Er werde keinen Hausarrest und keine Sozialarbeit annehmen.

Dass er je in Haft muss für die Hinterziehung von 7,3 Millionen Euro Steuern aus dem Handel seines Mediaset-Konzerns mit Fernsehrechten 2002/2003, ist angesichts seines Alters so gut wie ausgeschlossen. Erst recht, weil die Haftstrafe faktisch nur ein Jahr beträgt, wie der Jura-Professor Francesco Pizzetti von der römischen Luiss-Universität bestätigt. In Italien würden Verurteilte im Alter von mehr als 70 Jahren nur inhaftiert, wenn es um Kapitalverbrechen gehe oder um gefährliche Mafiosi. Was Berlusconi jedoch vor allem schreckt, ist das fünfjährige Verbot, öffentliche Ämter auszuüben. Er müsste seinen Sitz im Senat aufgeben und könnte bei Neuwahlen nicht kandidieren. Die Blamage für die PDL wäre gewaltig, ohne Berlusconi droht ihr ohnehin der Zerfall.

Der fünfköpfige, im Sommer zuständige "Feriensenat" des Kassationsgerichts prüft nur die Rechtmäßigkeit des Urteils und hat drei Möglichkeiten: Er verwirft das Mailänder Urteil ganz und folgt der Verteidiger-Argumentation, dass Berlusconi schon seit 1994 nicht mehr die Unternehmensbilanzen unterschrieben hat. Er verweist den Fall zurück zur Neuverhandlung in die zweite Instanz. Oder, drittens, er bestätigt den Spruch vom 9. Mai. Dann würde das Urteil sofort wirksam.

Für das, was dann geschehen wird, gibt es keinen Präzedenzfall. Italiens Senat müsste sich eigentlich an die Kassationsentscheidung halten, sagt Verfassungsrechtler Pizzetti, sonst käme es zum Konflikt von Verfassungsorganen. Zunächst müsste der Immunitätsausschuss formal Kenntnis nehmen vom Urteil und den Amtsausschluss beschließen, was das Plenum in geheimer Abstimmung bestätigen müsste. All dies geschähe voraussichtlich erst im September, nach der Sommerpause. Die höchsten Richter prüfen in dem Fall nicht nur Berlusconis Verurteilung, sondern auch jene zweier Manager von Mediaset sowie des amerikanisch-ägyptischen Filmproduzenten und Rechtehändlers Frank Agrama. Der Spruch des Kassationshofes wurde für Mittwochabend oder Donnerstagvormittag erwartet.



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