Quantcast
Channel: jetzt.de - SZ
Viewing all articles
Browse latest Browse all 3345

Girls am Rande des Zusammenbruchs

$
0
0
Laut, bunt und niemals erwachsen: Nach den Erfolgen des Korea-Pop wollen nun asiatische Popbands wie Perfume den Westen erobern. Dazu gehören, neben Musik und viel Fashion, Disziplin und harte Arbeit

Fast eine halbe Stunde nach Ende des Konzerts in Köln stehen immer noch Fans vor der Bühne - in der Hoffnung, die japanische Girlband Perfume nach eineinhalb Stunden hochenergetischer, bestens gelaunter Performance aus Gesang und Roboter-Tanz zu einer letzten Zugabe motivieren zu können. Doch es hilft nichts. In den Katakomben hinter der Bühne befinden sich die drei Sängerinnen am Rande der Erschöpfung. Man kennt das Phänomen aus dem Fitnessstudio - eben ist man noch glücklich rumgehüpft, schon knicken Arme und Beine weg wie abgebrannte Streichhölzer. Jetlag, Aufregung, Übermüdung fordern ihren Preis von den Perfume-Damen, doch zum Ausruhen ist keine Zeit. Sie haben noch Interviews vor sich. Deswegen ist höchstens eine kleine Verschnaufpause drin.



Japanische Musikfans in Saitana

Popstars sind Trendmaschinen in Asien. Wer wissen will, was in der Mode gerade passiert, sollte mal einen Blick auf die Bühnen der Pop-Arenen in Tokio und Seoul werfen. In diesen Hallen sind Perfume zu Hause. Mit mehr als drei Millionen verkauften Tonträgern gehört die Band um Aa-Chan (eigentlich: Ayaka Nishiwaki), Nocchi (Ayano Omoto) und Kashiyuka (Yuka Kashino) aus Hiroshima zu den erfolgreichsten Popbands ihrer Heimat. Die Fans kommen aus allen Altersklassen und Gesellschaftsschichten Japans.

In Asien funktioniert das Fan-Sein etwas anders als hierzulande. Verglichen mit Perfume-Fans sind Justin Biebers Fans zahme Kätzchen. Die Begeisterung, mit der Popidole in Ostasien verehrt und gefeiert werden, kennt man in Europa nicht. Einfach alles wird kopiert: der Gesang, die Choreografie und natürlich der Look - bis ins kleinste Detail. Der Stil von Perfume kann als retro-futuristische Version der Schuluniform zusammengefasst werden: kurze Röcke mit großflächigen grafischen Mustern, dazu passenden engen Oberteilen und hohen Schuhen. Zuletzt waren Perfume in der japanischen Vogue in kurzen Blümchenkleidern von Dolce&Gabbana, mit aufwendigen Blümchen-Haarreifen, in schwarzen Pumps und schwarzen Söckchen zu bestaunen.

In diesem Sommer eröffnet die Band mit einer Blitztour durch Europa ihre ambitionierte internationale Karrierephase. Das ist harte Arbeit. Da wäre zunächst die Sprachbarriere: Asiatische Künstler sprechen kaum Englisch, auch die Lieder werden in japanischer Sprache gesungen. Popkultur spricht aber im hiesigen Mainstream immer noch überwiegend Englisch. Entsprechend engagiert preist die internationale Crew hinter der Band das Talent der drei an. Innerhalb kürzester Zeit hat man zehn verschiedene Visitenkarten in der Tasche - alle mit dem größenwahnsinnigen Weltkugel-Logo des Unterhaltungsriesen Universal, der Perfume im vergangenen Jahr unter seine Fittiche genommen hat. Aus der lokalen Sensation Perfume sollen jetzt echte Weltstars werden.

Die Erfolgsaussichten einer japanischen Band im europäischen Mainstream ist mit dem Aufstieg eines Herren namens Psy deutlich gestiegen. Im hellblauen Anzug, mit Vivienne-Westwood-Hemd und nietenbesetzten Slippern schoss der Rapper mit seinem Ohrwurm "Gangnam Style" im vergangenen Jahr an die Spitze der internationalen Charts.

Das frühe 21. Jahrhundert erlebt gerade eine massive Erfolgswelle koreanischer Popmusik, kurz "K-Pop". Allein in der ersten Jahreshälfte 2012 spielten K-Popbands weltweit 3,4 Milliarden Dollar ein. Bands und Solokünstler aus Südkorea dominieren die Charts im gesamten asiatischen Raum. Das Time Magazine spricht vom "größten Exportschlager Südkoreas".

All dies wäre undenkbar ohne die Raffinesse der koreanischen Popkulturbeauftragten. Korrekt, in Südkorea werden Steuergelder in Girl- und Boygroups gebuttert. Über Jahre hat die Regierung einheimische Musiker großzügig subventioniert. Die berühmtesten Bands heißen Girls Generation oder Big Bang, bestehen aus Frauen oder Männern im Alter von 17 bis 25 Jahren, die uhrwerksgenau tanzen, generische Pophits singen und dabei Klamotten anhaben, die irgendwo zwischen Eighties-Revival-Party und flamboyantem Gegenwartsdesign anzusiedeln sind. Die Jungs ziehen mit bunten Haaren, in Seidenblousons aus Hermès-Stoffen und mit Metallic-Nagellack los, während die Mädels neben Leggins, Kleidchen oder auch mal Militäruniformen vor allem auf hohen Absätzen rumhopsen. Die Auftritte sind laut, bunt, ultra-androgyn und niemals erwachsen.

Für die Modewelt ist so eine Welle populärer und modisch experimentierfreudiger Wesen natürlich ein Sechser im Lotto. Das Outfit eines Popstars ist ohnehin extravaganter und expressiver als das des Normalsterblichen. Dazu kommt die enorme Werbewirksamkeit durch eine große Bandbreite an Outfits - für die Bühne, Fernsehauftritte, Flughafenschleusen und CD-Cover - mit maximaler medialer Verbreitung. Man denke etwa an die legendären Kollaborationen zwischen Jean Paul Gaultier und Madonna in den Neunzigerjahren, Dior Homme und Franz Ferdinand zur Jahrtausendwende oder auch die gegenwärtige Zusammenarbeit von Rapper/Designer Kanye West mit sich selbst. Gemeinsam prägen Musiker und Designer, wenn"s gut läuft, den Stil einer ganzen Generation. Und die Generation K-Pop ist jetzt schon riesig.

Mithilfe der K-Pop-Ikonen öffnet sich Modemachern eine Tür zu kauflustigen Heerscharen von Fans in ganz Asien. Der amerikanische Designer Jeremy Scott stellte jüngst eine Dame namens CL, Sängerin der K-Pop Band 2NE1, als seine neue Muse vor. Die 21-jährige Seouler Vorzeigediva (bürgerlicher Name: Chae Lin Lee) hat eine Schwäche für Untragbares aus den Häusern Balmain und Alexander McQueen. Was sie anzieht, findet sofort reißenden Absatz. Und sie erfüllt ja auch alle Merkmale eines modernen K-Popstars: perfekter Körper, lange blond gefärbte Haare, Auglidfalten und spitzes Kinn. All das gehört zum K-Pop wie Synchrontanz und Mitsing-Hits. War Mutter Natur nicht großzügig genug, hilft der Schönheitschirurg eben nach.

Laut einer Studie der International Society of Aesthetic Plastic Surgery hat jede fünfte koreanische Frau bereits einen chirurgischen Eingriff machen lassen. Operationen an den Augen, der Nase und den Wangenknochen sind in Korea so alltäglich geworden, dass man sie als "Basics" bezeichnet, als optische Grundversorgung halt. Eine koreanische Schülerin sagte dem US-Magazin The Atlantic: "Ich mag die Gruppe Girls Generation. Sie haben sichtbare Augenlider, schmale Gesichter und eine runde Stirn. Das ist ein Implantat. Sie geben es nicht zu, aber ich weiß, dass es wahr ist." Wie neunzig Prozent aller koreanischen Frauen unter 25 will auch die Schülerin bald das Basisprogramm absolvieren.

Die Eingriffe werden inzwischen allerdings immer radikaler. Im Trend liegt der "V-Kiefer", eine Reduktion des Kieferknochens in V-Form für eine herzförmige Gesichtsform. Dazu wird der Unterkiefer gebrochen und an den Seiten abgefeilt. "Die Frauen kommen mit Fotos von Starlets in meine Praxis", berichtet ein Seouler Schönheitschirurg in der New York Times: "Koreanische Frauen wollen ihr Gesicht revolutionieren."

Im Gegensatz zum extravaganten Stil vieler K-Popstars bemühen sich Perfume um einen glamourösen, aber in erster Linie wiedererkennbaren und einigermaßen zugänglichen Look. In Köln kommen Nocchi, Aa-Chan und Kashiyuka eine Stunde nach dem Konzert zum Gespräch, sie tragen jetzt adrette Blusen, Shorts - und identische Hausschuhe. Die Erschöpfung ist ihnen auf den Leib geschrieben, aber ohne Interviews kein internationaler Durchbruch, so ist es nun mal. Das Leben eines asiatischen Popstars besteht schätzungsweise zu zehn Prozent aus Ruhm und zu 90 Prozent aus Disziplin. "Harte Arbeit gehört nun mal zu unserem Job", sagt Aa-Chan achselzuckend. Und: "Es macht Spaß, ans Limit zu gehen."

Die drei Perfume-Ladys wirken wie alterslose Kindfrauen, mädchenhaft, zart, zurückhaltend und angepasst. Unter dem Augen-Make-up ist schwer zu erkennen, ob ihre Lidfalten gemacht sind oder nicht. Außer Frage steht, dass die müden Blicke aus perfekt geformten Mandelaugen kommen. Wie echt ist die Schönheit von Perfume? Die drei kichern, alles sei "ganz natürlich", übersetzt die Dolmetscherin, das sei Teil des Konzepts der Band. Wie sehen sie ihre Rollen als Modeikonen in Japan? "Wir haben seit zehn Jahren die gleichen Frisuren", erzählt Sängerin Nocci und fährt mit der Hand durch ihren kindlichen Pagenkopf. Es gebe feste Regeln für die Bühne: keine gefärbten Haare, nicht zu viel Make-up, kurze Röcke, hohe Schuhe.

Ist das nicht langweilig? "Man kennt uns eben so", sagt Aa-Chan. "Eigentlich wollen wir unsere Frisuren ändern, wenn wir erwachsen und berühmt sind. Aber wer weiß, wann dieser Punkt erreicht ist?"

Viewing all articles
Browse latest Browse all 3345