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Marx statt Mikroblog

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Chinas Zensoren schüchtern populäre Internet-Multiplikatoren ein

"Das Internet ist unkontrollierbar", schrieb der Pekinger Künstler und Bürgerrechtler Ai Weiwei einmal. "Und weil das so ist, wird die Freiheit gewinnen. So einfach ist das." Der Beweis dafür steht noch aus. Fakt ist, dass Chinas KP bis heute erstaunlich erfolgreich das Netz kontrolliert: Zensur, so schien es lange, funktioniert. Zumindest bis 2009 - da ging der Mikrobloggingdienst Weibo an den Start.

Man nennt Weibo oft Chinas Twitter, dabei ist es für China in nur vier Jahren viel wichtiger geworden, als es Twitter für Westler jemals sein wird: Es wurde zur einzigen Spielwiese der Meinungsfreiheit im Land. Weibo läuft auf Handys, alles passiert quasi live, es ist schwerer zu zensieren als das klassische Netz. Und so informieren sich die mehr als 500 Millionen Nutzer auf Weibo über giftige Lebensmittel und verschmutzte Luft. Zuletzt brachten sie im Schwarm gar korrupte Kader zur Strecke. Die Partei merkte bald, dass ihr die Kontrolle entglitt, schon 2011 rief sie dazu auf, die "Kommandohöhen" in der virtuellen Welt zurückzuerobern.



Das Logo von Weibo, dem chinesischen Pendant zu Twitter

Jetzt will sie Ernst machen. Offiziell fahren die Behörden nun eine Kampagne gegen "Gerüchte", von denen es im chinesischen Netz natürlich genauso wimmelt wie im westlichen. Als erstes Ziel guckte sich der Apparat dabei die "Großen V" aus, so heißt in China der Kreis prominenter Weibo-Multiplikatoren, die oft mehrere Millionen "Followers" haben, an die sie mit einem Klick ihre Nachrichten senden können. Dazu zählen Filmsternchen ebenso wie Immobilienunternehmer, viele sind kritisch-liberale Kommentatoren des Zeitgeschehens. Jüngst wurden sie zu einem Propagandaseminar in Peking einberufen, wo man ihnen klarmachte, sie hätten sich von nun an beim Bloggen an "sieben Mindeststandards" zu halten: "Akkurate Informationen" kommen dabei an letzter Stelle - ganz oben auf der Liste stehen das "sozialistische System" und das "nationale Interesse".

Erste Verhaftungen folgten, diese Woche dann ein Paukenschlag: Die Polizei nahm den Start-up-Investor und Weibo-Blogger Charles Xue fest, angeblich, weil er sich mit einer Prostituierten vergnügt hatte. Xue hat zwölf Millionen Follower, er schrieb viel zu Kinderhandel und Beamtenkorruption. Seine Festnahme erfolgte unter großer Anteilnahme der Staatsmedien, von denen sich viele gar nicht erst die Mühe machten, so zu tun, als habe die Polizeiaktion nichts mit Xues Hobby als Blogger zu tun: "Der Fall Xue ist eine Mahnung für die Meinungsführer", titelte die Global Times. In China nennt man so etwas "Das Huhn schlachten, um die Affen zu erschrecken". Das Vorgehen erntet auch Kritik. Die Behörden missbrauchten ihre Macht und übten "sozialen Terror" aus, warnt Cai Xia, eine liberale Professorin an der Zentralen Hochschule der Partei: "So drängen sie die Moderaten in die Radikalität und zwingen die Auseinandersetzung vom Internet auf die Straße."

Die Propaganda ficht das nicht an. Am Mittwoch kam das neueste Edikt: Die 307000 Journalisten des Landes werden zum mehrtägigen Studium des Marxismus befohlen. Man müsse sie, so ein Beamter laut Nachrichtenagentur Xinhua ideologisch rüsten für das "Schlachtfeld Internet". Die Reaktion des bekannten investigativen Reporters Lü Minghe auf Weibo: "Sprachlos".

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