Jedes Lied, zu jeder Zeit, an jedem Ort: Streamingdienste wie Spotify sind für Musikliebhaber praktisch. Doch bei vielen Künstlern wachsen die Zweifel
Reimer Bustorff mag die Vorstellung, immer und überall eine gigantische Musiksammlung dabei zu haben. Sich durch all die Songs zu klicken, deren Titel ihm zwar bekannt vorkommen, die er aber nie ganz gehört hat. Sich durch all die Genres zu hören, die auf einmal nur einen Klick voneinander entfernt sind. Doch Bustorff, Bassist bei der Hamburger Band Kettcar und Mitbegründer des Indie-Labels Grand Hotel van Cleef, weiß auch: "Rumkommen tut da nicht viel."
Spotify verdient viel Geld, doch die Musiker bekommen davon wenig
Wenn er und seine Kollegen des Labels neue Platten von Kettcar oder Tomte auf Streamingdienste wie Spotify stellen, dann der eigenen Werbung wegen. Die Einnahmen sind so gering, dass das Label sie vor Veröffentlichung einer CD nicht einmal mit einkalkuliert. "Geld allein macht auch nicht glücklich. Aber irgendwie schon besser im Taxi zu weinen als im HVV-Bus, oder nicht?", sang Bustorffs Band Kettcar schon auf ihrem ersten Album. Das ist elf Jahre her. Seitdem ist es für Musiker nicht einfacher geworden, Bus gegen Taxi zu tauschen. Auch wenn Künstler durch Streamingdienste mit wenig Aufwand schnell ein großes Publikum erreichen können. Das große Geld machen sie deshalb noch lange nicht.
Streamingdienste verraten nicht, wie viel von den Einnahmen tatsächlich bei den Künstlern landet. Doch die sprechen selbst darüber: Die kanadische Cellistin Zoõ Keating veröffentlicht ihre Einkünfte zum Beispiel in Statistiken im Netz. Von Oktober 2011 bis März vergangenen Jahres verdiente sie mit ihren Liedern auf Spotify insgesamt gerade einmal 246 Euro. 72800 Mal wurden ihre Songs in dieser Zeit abgerufen. Pro Stream blieben ihr nur 0,0034 Euro - die Abgaben an CD Baby, einem Online-Musikhändler für Künstler ohne Plattenvertrag, schon berücksichtigt. Das heißt, ein Lied muss bei Spotify fast 300 Mal gehört werden, bis es Keating einen Euro einbringt. Dabei ist die Cellistin keine unbekannte Musikerin, ihr Album stand mehrmals in den Klassikcharts. Aber in der Welt der Streamingdienste gilt das nicht viel. Hier profitieren nicht die Künstler, sondern die Hörer. Wer sich bei Spotify anmeldet, braucht keinen Cent zu zahlen, um aus mehr als 20 Millionen Songs wählen zu können. Nur wer die Musik ohne zwischengeschaltete Werbung oder auch ohne Verbindung zum Internet hören will, muss bis zu zehn Euro im Monat abgeben. Das macht bisher aber nur ein Viertel der weltweit 24 Millionen Menschen, die sich bei Spotify angemeldet haben.
Deutschlandchef Stefan Zilch betont, dass dies viel mehr seien als anderswo: Beim Videotelefonieanbieter Skype, der auch kostenlos ist und Geld nur für Zusatzleistungen verlangt, zahlten "weniger als fünf Prozent aller Nutzer für zusätzliche Leistungen. 25 Prozent wie bei Spotify gibt es sonst kaum." Neben den Einkünften durch die Abonnements verdient Spotify zudem an Werbung, die zum Beispiel zwischen den Songs abgespielt wird. Trotz allem macht die vor fünf Jahren gegründete Firma aus Schweden noch keinen Gewinn. Obwohl sich der Umsatz im vergangenen Jahr auf 576,5 Millionen mehr als verdoppelte, stieg auch der Verlust - auf 77 Millionen Dollar. Spotify rechtfertigt die roten Zahlen damit, dass es viel Geld koste, den Dienst in weitere Länder zu bringen. Chef und Mitgründer David Ek sagt immer wieder, dass es ihm vor allem um Wachstum geht: Das sei "Priorität eins, zwei, drei, vier und fünf."
In Deutschland ist Spotify bereits der beliebteste Streamingdienst. Auch die anderen Anbieter haben mittlerweile ein großes Repertoire an Liedern, unterscheiden sich in Nuancen im Bezahlmodell - oder darin, für welche Smartphones sie verfügbar sind. Neben Spotify und dem deutschen Konkurrenten Simfy aus Berlin gibt es zum Beispiel Deezer, ein Dienst der sich vor allem in Frankreich etabliert hat, oder Napster, das Urgestein unter den Plattformen. Vor kurzem ist der Internetkonzern Google mit einem eigenen Streamingdienst in den USA gestartet, Apple will bald nachziehen. Das ist kein Zufall: Die Nachfrage wächst - und damit auch die Chance für die Konzerne, das große Geld zu verdienen. Dem Bundesverband Musikindustrie zufolge wurden allein in Deutschland im vergangenen Jahr 36 Millionen Euro umgesetzt. Ein Plus von 38,7 Prozent.
Im Streaming sehen viele die Zukunft, immer wieder werden Spotify als die Retter der Musikindustrie beschworen. Und das, nachdem der Musikbranche bereits der Untergang prophezeit wurde. Manch einer wünschte sich die guten alten Zeiten herbei, in denen man während der Radiosendung einfach auf den roten Knopf des Kassettenrekorders drückte und wie Sänger Olli Schulz zu Freund oder Freundin sagte "Nimm mein Mixtape, Babe". Doch die Kassetten wurden von der CD abgelöst, statt Mixtapes gab es auf einen Rohling gebrannte Songlisten, dann kamen Mp3-Dateien, die Playlisten wurden länger - und heute teilt man seine Lieblingslieder auf Facebook. Ohne Aufnehmen, ohne Brennen.
Jutta Emes von der Universität Weimar hat bereits vor der Einführung von Apples digitalem Plattenladen iTunes im Jahr 2003 in einer Studie festgestellt, dass Studenten sich schon damals beim Kauf ihrer Musik am liebsten für eine Flatrate entschieden hätten. Dass die Streamingdienste noch keinen Gewinn machen, findet sie nicht problematisch: "Die müssen jetzt erst einmal wachsen und eine kritische Masse erreichen."
Viele Künstler sehen das natürlich anders. Um gegen das Billigmodell von Anbietern wie Spotify zu protestieren, haben Radiohead-Frontmann Thom Yorke und sein Produzent Nigel Godrich erst vor wenigen Wochen zum Boykott aufgerufen. "Jemand ergreift gerade die Macht über die Musikindustrie, unbemerkt, durch die Hintertür. Die Kunst wird leiden", schrieb Godrich auf der Kurznachrichtenplattform Twitter. Yorke und Gordich haben ihr gemeinsames aktuelles Album Spotify wieder entzogen.
Deutschlandchef Zilch schiebt die Verantwortung den Plattenfirmen zu. Der Streamingdienst würde seine Verträge mit den Labels schließen, "wie viel die und die Verwertungsgesellschaften an die Künstler abgeben, ist nicht unser Zuständigkeitsbereich", sagt er. Außerdem solle man nicht vergessen, dass Spotify letztendlich auch eine große "Promotion-Maschine" sei. Das haben auch viele Künstler längt erkannt. Das große Geld kommt zwar nicht über das Streaming, doch die Dienste sind neben Facebook oder Youtube wichtige Kanäle, um neue Zuhörer zu gewinnen. Vielleicht kauft jemand, dem die Lieder gefallen, dann doch eine Vinylplatte oder ein Konzertticket.
Das hofft auch Reimer Bustorff von Kettcar und dem Label Grand Hotel van Cleef. Er glaubt daran, dass es irgendwann einmal die Bereitschaft gibt, für Streaming zu zahlen. "Früher in der Stadtbibliothek hat man sich doch auch seinen Ausweis gekauft und trotzdem nichts von all dem besessen, sondern nur geliehen." Den Streamingdiensten die eigenen Platten wieder zu entziehen, wie es andere Musiker machen, sei keine Lösung. Nicht nur, weil seinem Label dann eine Werbeplattform fehlt. Sondern vor allem aus einem ganz simplen Grund: "Wenn die Leute heute so Musik hören wollen, kann ich als Künstler doch nicht sagen: Ich mach" weiter wie bisher."
Reimer Bustorff mag die Vorstellung, immer und überall eine gigantische Musiksammlung dabei zu haben. Sich durch all die Songs zu klicken, deren Titel ihm zwar bekannt vorkommen, die er aber nie ganz gehört hat. Sich durch all die Genres zu hören, die auf einmal nur einen Klick voneinander entfernt sind. Doch Bustorff, Bassist bei der Hamburger Band Kettcar und Mitbegründer des Indie-Labels Grand Hotel van Cleef, weiß auch: "Rumkommen tut da nicht viel."
Spotify verdient viel Geld, doch die Musiker bekommen davon wenig
Wenn er und seine Kollegen des Labels neue Platten von Kettcar oder Tomte auf Streamingdienste wie Spotify stellen, dann der eigenen Werbung wegen. Die Einnahmen sind so gering, dass das Label sie vor Veröffentlichung einer CD nicht einmal mit einkalkuliert. "Geld allein macht auch nicht glücklich. Aber irgendwie schon besser im Taxi zu weinen als im HVV-Bus, oder nicht?", sang Bustorffs Band Kettcar schon auf ihrem ersten Album. Das ist elf Jahre her. Seitdem ist es für Musiker nicht einfacher geworden, Bus gegen Taxi zu tauschen. Auch wenn Künstler durch Streamingdienste mit wenig Aufwand schnell ein großes Publikum erreichen können. Das große Geld machen sie deshalb noch lange nicht.
Streamingdienste verraten nicht, wie viel von den Einnahmen tatsächlich bei den Künstlern landet. Doch die sprechen selbst darüber: Die kanadische Cellistin Zoõ Keating veröffentlicht ihre Einkünfte zum Beispiel in Statistiken im Netz. Von Oktober 2011 bis März vergangenen Jahres verdiente sie mit ihren Liedern auf Spotify insgesamt gerade einmal 246 Euro. 72800 Mal wurden ihre Songs in dieser Zeit abgerufen. Pro Stream blieben ihr nur 0,0034 Euro - die Abgaben an CD Baby, einem Online-Musikhändler für Künstler ohne Plattenvertrag, schon berücksichtigt. Das heißt, ein Lied muss bei Spotify fast 300 Mal gehört werden, bis es Keating einen Euro einbringt. Dabei ist die Cellistin keine unbekannte Musikerin, ihr Album stand mehrmals in den Klassikcharts. Aber in der Welt der Streamingdienste gilt das nicht viel. Hier profitieren nicht die Künstler, sondern die Hörer. Wer sich bei Spotify anmeldet, braucht keinen Cent zu zahlen, um aus mehr als 20 Millionen Songs wählen zu können. Nur wer die Musik ohne zwischengeschaltete Werbung oder auch ohne Verbindung zum Internet hören will, muss bis zu zehn Euro im Monat abgeben. Das macht bisher aber nur ein Viertel der weltweit 24 Millionen Menschen, die sich bei Spotify angemeldet haben.
Deutschlandchef Stefan Zilch betont, dass dies viel mehr seien als anderswo: Beim Videotelefonieanbieter Skype, der auch kostenlos ist und Geld nur für Zusatzleistungen verlangt, zahlten "weniger als fünf Prozent aller Nutzer für zusätzliche Leistungen. 25 Prozent wie bei Spotify gibt es sonst kaum." Neben den Einkünften durch die Abonnements verdient Spotify zudem an Werbung, die zum Beispiel zwischen den Songs abgespielt wird. Trotz allem macht die vor fünf Jahren gegründete Firma aus Schweden noch keinen Gewinn. Obwohl sich der Umsatz im vergangenen Jahr auf 576,5 Millionen mehr als verdoppelte, stieg auch der Verlust - auf 77 Millionen Dollar. Spotify rechtfertigt die roten Zahlen damit, dass es viel Geld koste, den Dienst in weitere Länder zu bringen. Chef und Mitgründer David Ek sagt immer wieder, dass es ihm vor allem um Wachstum geht: Das sei "Priorität eins, zwei, drei, vier und fünf."
In Deutschland ist Spotify bereits der beliebteste Streamingdienst. Auch die anderen Anbieter haben mittlerweile ein großes Repertoire an Liedern, unterscheiden sich in Nuancen im Bezahlmodell - oder darin, für welche Smartphones sie verfügbar sind. Neben Spotify und dem deutschen Konkurrenten Simfy aus Berlin gibt es zum Beispiel Deezer, ein Dienst der sich vor allem in Frankreich etabliert hat, oder Napster, das Urgestein unter den Plattformen. Vor kurzem ist der Internetkonzern Google mit einem eigenen Streamingdienst in den USA gestartet, Apple will bald nachziehen. Das ist kein Zufall: Die Nachfrage wächst - und damit auch die Chance für die Konzerne, das große Geld zu verdienen. Dem Bundesverband Musikindustrie zufolge wurden allein in Deutschland im vergangenen Jahr 36 Millionen Euro umgesetzt. Ein Plus von 38,7 Prozent.
Im Streaming sehen viele die Zukunft, immer wieder werden Spotify als die Retter der Musikindustrie beschworen. Und das, nachdem der Musikbranche bereits der Untergang prophezeit wurde. Manch einer wünschte sich die guten alten Zeiten herbei, in denen man während der Radiosendung einfach auf den roten Knopf des Kassettenrekorders drückte und wie Sänger Olli Schulz zu Freund oder Freundin sagte "Nimm mein Mixtape, Babe". Doch die Kassetten wurden von der CD abgelöst, statt Mixtapes gab es auf einen Rohling gebrannte Songlisten, dann kamen Mp3-Dateien, die Playlisten wurden länger - und heute teilt man seine Lieblingslieder auf Facebook. Ohne Aufnehmen, ohne Brennen.
Jutta Emes von der Universität Weimar hat bereits vor der Einführung von Apples digitalem Plattenladen iTunes im Jahr 2003 in einer Studie festgestellt, dass Studenten sich schon damals beim Kauf ihrer Musik am liebsten für eine Flatrate entschieden hätten. Dass die Streamingdienste noch keinen Gewinn machen, findet sie nicht problematisch: "Die müssen jetzt erst einmal wachsen und eine kritische Masse erreichen."
Viele Künstler sehen das natürlich anders. Um gegen das Billigmodell von Anbietern wie Spotify zu protestieren, haben Radiohead-Frontmann Thom Yorke und sein Produzent Nigel Godrich erst vor wenigen Wochen zum Boykott aufgerufen. "Jemand ergreift gerade die Macht über die Musikindustrie, unbemerkt, durch die Hintertür. Die Kunst wird leiden", schrieb Godrich auf der Kurznachrichtenplattform Twitter. Yorke und Gordich haben ihr gemeinsames aktuelles Album Spotify wieder entzogen.
Deutschlandchef Zilch schiebt die Verantwortung den Plattenfirmen zu. Der Streamingdienst würde seine Verträge mit den Labels schließen, "wie viel die und die Verwertungsgesellschaften an die Künstler abgeben, ist nicht unser Zuständigkeitsbereich", sagt er. Außerdem solle man nicht vergessen, dass Spotify letztendlich auch eine große "Promotion-Maschine" sei. Das haben auch viele Künstler längt erkannt. Das große Geld kommt zwar nicht über das Streaming, doch die Dienste sind neben Facebook oder Youtube wichtige Kanäle, um neue Zuhörer zu gewinnen. Vielleicht kauft jemand, dem die Lieder gefallen, dann doch eine Vinylplatte oder ein Konzertticket.
Das hofft auch Reimer Bustorff von Kettcar und dem Label Grand Hotel van Cleef. Er glaubt daran, dass es irgendwann einmal die Bereitschaft gibt, für Streaming zu zahlen. "Früher in der Stadtbibliothek hat man sich doch auch seinen Ausweis gekauft und trotzdem nichts von all dem besessen, sondern nur geliehen." Den Streamingdiensten die eigenen Platten wieder zu entziehen, wie es andere Musiker machen, sei keine Lösung. Nicht nur, weil seinem Label dann eine Werbeplattform fehlt. Sondern vor allem aus einem ganz simplen Grund: "Wenn die Leute heute so Musik hören wollen, kann ich als Künstler doch nicht sagen: Ich mach" weiter wie bisher."