US-Präsident Obama sucht für einen Angriff auf Syrien die Zustimmung von Parlament und Volk
Auch in unruhigen Zeiten pflegt der amerikanische Präsident Barack Obama seine Rituale. Eines davon ist es, aus dem Weißen Haus ins Freie zu treten und mit seinem Stabschef Denis McDonough im Garten spazieren zu gehen. Am Freitagnachmittag hatte die kleine Runde über den südlichen Rasen, mit Aussicht auf den Obelisken, mehr Bedeutung als sonst. Obama hatte eine Entscheidung getroffen über Krieg und Frieden, und sie lautete anders, als viele erwartet hatten. Der Präsident überraschte erst McDonough, dann sein Kabinett, dann sein Land und die Welt.
Barack Obama und Stabschef Denis McDonough
Zehn Tage lang hatten er und sein Kabinett nach einer Antwort gesucht auf den mutmaßlichen Giftgasangriff in Syrien. US-Außenminister John Kerry, ein besonnener Politiker und brillanter Redner, klang so, als würde er am liebsten selbst die erste Raketensalve abfeuern. Das Töten mit Chemiewaffen sei eine 'moralische Obszönität', zürnte er. Er bekannte sich dazu, kriegsmüde zu sein, wie alle Amerikaner, er mahnte aber, diese Müdigkeit könne man sich jetzt nicht leisten. Er sagte, die USA hätten genug Beweise gegen das Assad-Regime gesammelt, es sei also egal, was die Inspektoren der Vereinten Nationen bei ihren Erkundungen am Rande von Damaskus herausgefunden hätten.
So einsam und wild entschlossen klang die US-Regierung zuletzt im Jahr 2003, als Präsident George W. Bush in den Irak einmarschieren wollte. Der Ton und die Worte schienen auch jetzt wieder unmissverständlich zu sein: Beinahe alle Beobachter rechneten damit, dass Obama am Wochenende angreifen würde. Doch beim Spaziergang am Freitag sagte Obama, dass er vor einem Angriff das Parlament in die Pflicht nehmen wolle. Erstens sollten sich die Abgeordneten und Senatoren auf dem Kapitolshügel, die ihm so oft wahlweise Schwäche oder Rücksichtslosigkeit vorwerfen, eindeutig festlegen. Zweitens brauchte Obama - ganz schlicht - ein paar Verbündete, wenigstens zu Hause.
Beim Angriff in Libyen 2011 waren der UN-Sicherheitsrat und die Arabische Liga auf seiner Seite, da hatte er dann auf den Kongress verzichtet. Am Ende der vergangenen Woche hingegen hatte Obama niemanden für einen Angriff gewinnen können, nicht die UN, nicht die Araber, nicht die Nato, nicht einmal die Briten. Gut, er hatte Frankreich - das sogenannte alte Europa, und auch davon nur ein bisschen. Es war für die ganze Welt offensichtlich: Obama fehlte die Legitimation.
Erstens war sein Plan, Syrien mit ein paar Marschflugkörpern für den Giftgaseinsatz zu bestrafen und von weiteren Missetaten abzuschrecken, völkerrechtlich praktisch nicht zu rechtfertigen, weil die UN zwar eine Schutzverantwortung kennen, diese aber über den Sicherheitsrat führt. Zweitens war nicht klar, ob der Plan wirklich durchdacht war. Er änderte nichts am Bürgerkrieg. Und was würde passieren, wenn Syriens Präsident Assad nach dem Tomahawk-Beschuss abermals den Giftschrank öffnen lassen würde? Drittens hatten die meisten Beobachter den Eindruck, dass Obamas Motiv nicht so sehr die Sorge um Syrien war, sondern die eigene Glaubwürdigkeit zu retten, nachdem er sich im August 2012 mit improvisierten Bemerkungen über eine 'rote Linie' stärker festgelegt hatte, als er es wollte. Obama, so schien es zuletzt, musste mehr oder weniger aus Versehen einen Kleinkrieg führen, von dem er selbst nicht überzeugt war.
Ob der Angriff vertagt oder gestrichen ist, hängt nun vom Parlament ab. Es gilt als wahrscheinlich, dass der Senat zustimmt, aber es könnte zumindest aus heutiger Sicht sein, dass das Repräsentantenhaus Nein sagt. In beiden Parteien finden sich Gegner neuer Militärabenteuer - linke Friedensaktivisten, rechte Isolationisten. In der einflussreichen rechten Tea-Party-Fraktion ist der libertäre Gedanke äußerst populär, sich aus fremden Konflikten ganz herauszuhalten. Selbst die Falken könnten gegen Obamas Plan stimmen, weil er ihnen zu beschränkt ist - aus ihrer Sicht sollten die USA stattdessen mit massiven Luftschlägen das Assad-Regime stürzen.
Interventionisten und Neokonservative haben in Washington zuletzt stark an Einfluss verloren. Die verheerende Invasion im Irak wird ihnen in beiden politischen Lagern noch immer übel genommen. Seit der Finanzkrise messen die Amerikaner Politik außerdem noch stärker daran, was sie kostet. Im Herbst steht ein erbitterter Streit zwischen Präsident und Kongress über das Budget bevor, er könnte sogar mit der Zahlungsunfähigkeit der Regierung enden. Zwar dürften die Kosten für einen - wie Obama es nennt - 'maßgeschneiderten Angriff' überschaubar sein. Doch im Militär und im Parlament fragen sich viele: Was passiert, wenn die USA so richtig in den Bürgerkrieg hineingezogen werden?
Obama hat die Entscheidung über Angriff oder Nicht-Angriff für existenziell erklärt. Im Rosengarten sagte er am Samstag: 'Es geht darum, wer wir sind.' Es geht freilich auch darum, wer Obama ist. Natürlich hat Amerika ihn als Gegenentwurf zu George W. Bush gewählt, ihm den Auftrag erteilt, besonnener, friedlicher, multilateraler zu sein als sein Vorgänger.
Doch Obama ist es zuwider, mit Etiketten versehen zu werden. Sein Verhältnis zur Gewalt ist ambivalent, aber er hat Gewalt immer angewandt, wenn er es für richtig hielt - gegen Al-Qaida-Chef Osama bin Laden, gegen Terror-Verdächtige, gegen Libyen. Als ihm Ende 2009 - nach nur wenigen Monaten im Amt - der Friedens-Nobelpreis verliehen wurde, erschien Obama mit einer nüchternen Botschaft in Oslo: Ich bin Oberbefehlshaber, nicht Friedensaktivist. 'Ich glaube, dass Gewalt gerechtfertigt sein kann aus humanitären Gründen, wie einst auf dem Balkan', sagte er. 'Tatenlosigkeit zerrt an unserem Gewissen und kann eine spätere Intervention noch kostspieliger machen.'
Es entspricht auch durchaus Obamas Überzeugung, die 'rote Linie' beim Einsatz von Massenvernichtungswaffen zu ziehen. Er hat früh in seiner Amtszeit für eine Welt ohne Atomwaffen geworben, und wie viele Völkerrechtler ist er der Meinung, dass bestimmte Verbrechen besonders geahndet werden müssen, weil sie schlicht nicht mehr als zivilisiert durchgehen können. Um solche Untaten zu ahnden, haben etliche Länder allerdings den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag geschaffen, nicht aber die Institution amerikanischer Vergeltungsschläge.
Wie der Kongress auch entscheidet - die Drohkulisse Obamas bleibt erst einmal stehen. Die US-Zerstörer kreuzen im Mittelmeer, und der Präsident hat am Wochenende bekräftigt, dass er sich rechtlich befugt sehe, notfalls auch ohne das Parlament anzugreifen. Sollten Amerikas Spione von einer bevorstehenden Giftgasattacke in Syrien erfahren, könnte Obama in starke Versuchung geraten, doch noch ein eigenmächtiges Zeichen zu setzen.
Auch in unruhigen Zeiten pflegt der amerikanische Präsident Barack Obama seine Rituale. Eines davon ist es, aus dem Weißen Haus ins Freie zu treten und mit seinem Stabschef Denis McDonough im Garten spazieren zu gehen. Am Freitagnachmittag hatte die kleine Runde über den südlichen Rasen, mit Aussicht auf den Obelisken, mehr Bedeutung als sonst. Obama hatte eine Entscheidung getroffen über Krieg und Frieden, und sie lautete anders, als viele erwartet hatten. Der Präsident überraschte erst McDonough, dann sein Kabinett, dann sein Land und die Welt.
Barack Obama und Stabschef Denis McDonough
Zehn Tage lang hatten er und sein Kabinett nach einer Antwort gesucht auf den mutmaßlichen Giftgasangriff in Syrien. US-Außenminister John Kerry, ein besonnener Politiker und brillanter Redner, klang so, als würde er am liebsten selbst die erste Raketensalve abfeuern. Das Töten mit Chemiewaffen sei eine 'moralische Obszönität', zürnte er. Er bekannte sich dazu, kriegsmüde zu sein, wie alle Amerikaner, er mahnte aber, diese Müdigkeit könne man sich jetzt nicht leisten. Er sagte, die USA hätten genug Beweise gegen das Assad-Regime gesammelt, es sei also egal, was die Inspektoren der Vereinten Nationen bei ihren Erkundungen am Rande von Damaskus herausgefunden hätten.
So einsam und wild entschlossen klang die US-Regierung zuletzt im Jahr 2003, als Präsident George W. Bush in den Irak einmarschieren wollte. Der Ton und die Worte schienen auch jetzt wieder unmissverständlich zu sein: Beinahe alle Beobachter rechneten damit, dass Obama am Wochenende angreifen würde. Doch beim Spaziergang am Freitag sagte Obama, dass er vor einem Angriff das Parlament in die Pflicht nehmen wolle. Erstens sollten sich die Abgeordneten und Senatoren auf dem Kapitolshügel, die ihm so oft wahlweise Schwäche oder Rücksichtslosigkeit vorwerfen, eindeutig festlegen. Zweitens brauchte Obama - ganz schlicht - ein paar Verbündete, wenigstens zu Hause.
Beim Angriff in Libyen 2011 waren der UN-Sicherheitsrat und die Arabische Liga auf seiner Seite, da hatte er dann auf den Kongress verzichtet. Am Ende der vergangenen Woche hingegen hatte Obama niemanden für einen Angriff gewinnen können, nicht die UN, nicht die Araber, nicht die Nato, nicht einmal die Briten. Gut, er hatte Frankreich - das sogenannte alte Europa, und auch davon nur ein bisschen. Es war für die ganze Welt offensichtlich: Obama fehlte die Legitimation.
Erstens war sein Plan, Syrien mit ein paar Marschflugkörpern für den Giftgaseinsatz zu bestrafen und von weiteren Missetaten abzuschrecken, völkerrechtlich praktisch nicht zu rechtfertigen, weil die UN zwar eine Schutzverantwortung kennen, diese aber über den Sicherheitsrat führt. Zweitens war nicht klar, ob der Plan wirklich durchdacht war. Er änderte nichts am Bürgerkrieg. Und was würde passieren, wenn Syriens Präsident Assad nach dem Tomahawk-Beschuss abermals den Giftschrank öffnen lassen würde? Drittens hatten die meisten Beobachter den Eindruck, dass Obamas Motiv nicht so sehr die Sorge um Syrien war, sondern die eigene Glaubwürdigkeit zu retten, nachdem er sich im August 2012 mit improvisierten Bemerkungen über eine 'rote Linie' stärker festgelegt hatte, als er es wollte. Obama, so schien es zuletzt, musste mehr oder weniger aus Versehen einen Kleinkrieg führen, von dem er selbst nicht überzeugt war.
Ob der Angriff vertagt oder gestrichen ist, hängt nun vom Parlament ab. Es gilt als wahrscheinlich, dass der Senat zustimmt, aber es könnte zumindest aus heutiger Sicht sein, dass das Repräsentantenhaus Nein sagt. In beiden Parteien finden sich Gegner neuer Militärabenteuer - linke Friedensaktivisten, rechte Isolationisten. In der einflussreichen rechten Tea-Party-Fraktion ist der libertäre Gedanke äußerst populär, sich aus fremden Konflikten ganz herauszuhalten. Selbst die Falken könnten gegen Obamas Plan stimmen, weil er ihnen zu beschränkt ist - aus ihrer Sicht sollten die USA stattdessen mit massiven Luftschlägen das Assad-Regime stürzen.
Interventionisten und Neokonservative haben in Washington zuletzt stark an Einfluss verloren. Die verheerende Invasion im Irak wird ihnen in beiden politischen Lagern noch immer übel genommen. Seit der Finanzkrise messen die Amerikaner Politik außerdem noch stärker daran, was sie kostet. Im Herbst steht ein erbitterter Streit zwischen Präsident und Kongress über das Budget bevor, er könnte sogar mit der Zahlungsunfähigkeit der Regierung enden. Zwar dürften die Kosten für einen - wie Obama es nennt - 'maßgeschneiderten Angriff' überschaubar sein. Doch im Militär und im Parlament fragen sich viele: Was passiert, wenn die USA so richtig in den Bürgerkrieg hineingezogen werden?
Obama hat die Entscheidung über Angriff oder Nicht-Angriff für existenziell erklärt. Im Rosengarten sagte er am Samstag: 'Es geht darum, wer wir sind.' Es geht freilich auch darum, wer Obama ist. Natürlich hat Amerika ihn als Gegenentwurf zu George W. Bush gewählt, ihm den Auftrag erteilt, besonnener, friedlicher, multilateraler zu sein als sein Vorgänger.
Doch Obama ist es zuwider, mit Etiketten versehen zu werden. Sein Verhältnis zur Gewalt ist ambivalent, aber er hat Gewalt immer angewandt, wenn er es für richtig hielt - gegen Al-Qaida-Chef Osama bin Laden, gegen Terror-Verdächtige, gegen Libyen. Als ihm Ende 2009 - nach nur wenigen Monaten im Amt - der Friedens-Nobelpreis verliehen wurde, erschien Obama mit einer nüchternen Botschaft in Oslo: Ich bin Oberbefehlshaber, nicht Friedensaktivist. 'Ich glaube, dass Gewalt gerechtfertigt sein kann aus humanitären Gründen, wie einst auf dem Balkan', sagte er. 'Tatenlosigkeit zerrt an unserem Gewissen und kann eine spätere Intervention noch kostspieliger machen.'
Es entspricht auch durchaus Obamas Überzeugung, die 'rote Linie' beim Einsatz von Massenvernichtungswaffen zu ziehen. Er hat früh in seiner Amtszeit für eine Welt ohne Atomwaffen geworben, und wie viele Völkerrechtler ist er der Meinung, dass bestimmte Verbrechen besonders geahndet werden müssen, weil sie schlicht nicht mehr als zivilisiert durchgehen können. Um solche Untaten zu ahnden, haben etliche Länder allerdings den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag geschaffen, nicht aber die Institution amerikanischer Vergeltungsschläge.
Wie der Kongress auch entscheidet - die Drohkulisse Obamas bleibt erst einmal stehen. Die US-Zerstörer kreuzen im Mittelmeer, und der Präsident hat am Wochenende bekräftigt, dass er sich rechtlich befugt sehe, notfalls auch ohne das Parlament anzugreifen. Sollten Amerikas Spione von einer bevorstehenden Giftgasattacke in Syrien erfahren, könnte Obama in starke Versuchung geraten, doch noch ein eigenmächtiges Zeichen zu setzen.