Hat fast jeder zweite Bayer tatsächlich für die CSU gestimmt? So behauptet es ihr Vorsitzender. Ganz so war es zwar nicht. Aber die CSU hat gewonnen - anders als beim Pseudo-Triumph von 2003
Welcher Versuchung konnte Horst Seehofer nicht widerstehen, als er seine Siegesrede hielt? Er stoiberte. "Jede zweite Bayerin und jeder zweite Bayer hat uns gewählt", sagte er. Der Satz war falsch, aber die ihm zugrunde liegende Denkweise wurde bereits vom Vorvorgänger in Anspruch genommen.
Horst Seehofer - der strahlende Sieger der Landtagswahlen in Bayern
9,4 Millionen Wahlberechtigte gibt es im Freistaat, und in jeder Schule, die unter Aufsicht der Staatsregierung steht, wird gelehrt: Die Hälfte davon, das sind 4,7 Millionen. So viele Bayerinnen und Bayern haben aber nicht CSU gewählt. Seehofer ignorierte in seiner Formulierung den Unterschied zwischen Wahlberechtigten und Wählern. Gut sechs Millionen Wahlberechtigte haben tatsächlich gewählt. Bei ihnen kam die CSU auf 47,7 Prozent.
Es ist alles andere als Zahlenhuberei, auf derlei hinzuweisen. Der CSU-Einbruch vor fünf Jahren kam ja auch dadurch zustande, dass der einstmalige Ministerpräsident Stoiber sich 2003 etwas auf seine "Zweidrittelmehrheit" eingebildet hatte. In halb Europa erzählte er herum, für wie sagenhaft er das hielt - und leitete daraus das Mandat für jene Turbo-Politik ab, die zuerst ihn das Amt und schließlich seiner Partei die Alleinregierung kostete. In Wahrheit hatte die CSU 2003 Stimmen verloren: fast 230000. Ihre Zweidrittelmehrheit kam exklusiv so zustande, dass die SPD wegen der Agenda 2010 noch viel stärker verlor: 1,5 Millionen Stimmen. Die Wahlbeteiligung war eingebrochen, von fast 70 auf 57Prozent. Der Ministerpräsident predigte einen Triumph, der keiner war.
Horst Seehofer hatte am Sonntag immerhin tatsächlich Grund, sich zu freuen. Wenn die Wahlbeteiligung zunimmt, drückt ein gestiegener Prozentwert auch gestiegene Zustimmung aus. Zwar analysieren nicht alle Demoskopen die Wanderungen von Wählern - sie trauen deren Angaben nicht, wen man beim vergangenen Mal angekreuzt habe. Aber die Zahlen von Infratest dimap spiegeln eine plausible Tendenz wider: 320000 Bürger, die vor fünf Jahren nicht wählten, haben demnach diesmal für die CSU gestimmt. 120000 Bürger wanderten von der FDP zur CSU; und immerhin jeweils 20000 frühere Wähler von Grünen und Linken haben den Sprung gemacht. Zwischen CSU und SPD hingegen gab es keinen Austausch.
Zwei Drittel der Wähler wollen sich bei ihrer Entscheidung an der Landespolitik orientiert haben; das hat die Forschungsgruppe Wahlen ermittelt. Für ein Drittel war die Bundespolitik entscheidend. Die Wähler hielten die CSU durchgehend für kompetenter als die SPD: nicht nur in der Bildungs- und Familienpolitik, sondern sogar bei Arbeit und Sozialem. Und mag die Partei auch derart viele Affären geliefert haben, dass die kaum noch zu überblicken sind - ihrem Ansehen haben die nicht geschadet. Im Gegenteil. Imagewert der CSU laut Forschungsgruppe: 2,3. Vor fünf Jahren betrug er 1,6. Imagewert der SPD: 0,6. Heißt das was für nächsten Sonntag? Nein, sagt die Forschungsgruppe. Dominante Regierungspartei, Freie Wähler als relevante Größe plus "eigene Mentalitäten" - das seien Besonderheiten, die zu einem besonderen Ergebnis führten.
Die Wahlbeteiligung war um exakt sechs Prozentpunkte auf 63,9 Prozent gestiegen. Keiner Partei ist es annähernd so gut gelungen wie der CSU, jene Menschen wieder an die Urne zu bekommen, die sich vor fünf Jahren enthalten hatten. Am zweitbesten gelang dies noch der SPD, die aus dem Lager 110000 Stimmen gewann. Die FDP aber gab an fast alle ab: auch an SPD, Grüne sowie Kleinparteien. 10000 Wahlberechtigte blieben sogar lieber daheim, als nochmals diese Partei zu wählen. Lediglich an die Linke verlor die FDP nichts. Ihre Ex-Wähler wollten es wenigstens nicht zum Äußersten treiben.
Bei der Wahlbeteiligung liegt Bayern nun wieder im oberen Mittelfeld der Bundesländer. 63,9 Prozent, das bedeutet: Nur in Baden-Württemberg, Brandenburg, im Saarland und in Schleswig-Holstein war sie zuletzt höher. Für Bayern bleibt der Wert jedoch niedrig: Nur bei den zwei zurückliegenden Wahlen war er niedriger.
Immerhin, er scheint sich zu erholen. Ob das aber an den Briefwählern liegt? Könnte sein, aber die Wahlforscher haben darauf noch keine Antwort. Richtig ist, dass der Anteil der Briefwähler bei allen Wahlen seit Jahren steigt. Ein Grund dafür dürfte sein, dass der Staat es seinen Bürgern inzwischen einfacher macht: Früher musste man begründen, warum man per Brief abstimmen wollte (Krankheit, Alter, Umzug oder Abwesenheit "aus wichtigem Grund", und ob der wirklich wichtig war, dazu traute sich manch eifriger Beamte im Wahlamt ein Urteil zu). Heutzutage beantragt man Briefwahl, und gut ist. Auch am kommenden Sonntag dürfte es mehr Briefwähler geben als früher, darauf deutet die Zahl der Anträge in Großstädten hin.
Eine Hoffnung respektive Sorge kann man jedoch allen Kandidaten nehmen: Für die landläufige These, Briefwähler seien eher konservativ, gibt es in der Wahlforschung keine Belege. Allerdings: Sie wählen überdurchschnittlich häufig entweder Union und SPD. Bei den Volksparteien ist der Anteil älterer Wähler höher als bei den anderen. Und mehr ältere als jüngere Wähler bevorzugen Briefwahl.
Welcher Versuchung konnte Horst Seehofer nicht widerstehen, als er seine Siegesrede hielt? Er stoiberte. "Jede zweite Bayerin und jeder zweite Bayer hat uns gewählt", sagte er. Der Satz war falsch, aber die ihm zugrunde liegende Denkweise wurde bereits vom Vorvorgänger in Anspruch genommen.
Horst Seehofer - der strahlende Sieger der Landtagswahlen in Bayern
9,4 Millionen Wahlberechtigte gibt es im Freistaat, und in jeder Schule, die unter Aufsicht der Staatsregierung steht, wird gelehrt: Die Hälfte davon, das sind 4,7 Millionen. So viele Bayerinnen und Bayern haben aber nicht CSU gewählt. Seehofer ignorierte in seiner Formulierung den Unterschied zwischen Wahlberechtigten und Wählern. Gut sechs Millionen Wahlberechtigte haben tatsächlich gewählt. Bei ihnen kam die CSU auf 47,7 Prozent.
Es ist alles andere als Zahlenhuberei, auf derlei hinzuweisen. Der CSU-Einbruch vor fünf Jahren kam ja auch dadurch zustande, dass der einstmalige Ministerpräsident Stoiber sich 2003 etwas auf seine "Zweidrittelmehrheit" eingebildet hatte. In halb Europa erzählte er herum, für wie sagenhaft er das hielt - und leitete daraus das Mandat für jene Turbo-Politik ab, die zuerst ihn das Amt und schließlich seiner Partei die Alleinregierung kostete. In Wahrheit hatte die CSU 2003 Stimmen verloren: fast 230000. Ihre Zweidrittelmehrheit kam exklusiv so zustande, dass die SPD wegen der Agenda 2010 noch viel stärker verlor: 1,5 Millionen Stimmen. Die Wahlbeteiligung war eingebrochen, von fast 70 auf 57Prozent. Der Ministerpräsident predigte einen Triumph, der keiner war.
Horst Seehofer hatte am Sonntag immerhin tatsächlich Grund, sich zu freuen. Wenn die Wahlbeteiligung zunimmt, drückt ein gestiegener Prozentwert auch gestiegene Zustimmung aus. Zwar analysieren nicht alle Demoskopen die Wanderungen von Wählern - sie trauen deren Angaben nicht, wen man beim vergangenen Mal angekreuzt habe. Aber die Zahlen von Infratest dimap spiegeln eine plausible Tendenz wider: 320000 Bürger, die vor fünf Jahren nicht wählten, haben demnach diesmal für die CSU gestimmt. 120000 Bürger wanderten von der FDP zur CSU; und immerhin jeweils 20000 frühere Wähler von Grünen und Linken haben den Sprung gemacht. Zwischen CSU und SPD hingegen gab es keinen Austausch.
Zwei Drittel der Wähler wollen sich bei ihrer Entscheidung an der Landespolitik orientiert haben; das hat die Forschungsgruppe Wahlen ermittelt. Für ein Drittel war die Bundespolitik entscheidend. Die Wähler hielten die CSU durchgehend für kompetenter als die SPD: nicht nur in der Bildungs- und Familienpolitik, sondern sogar bei Arbeit und Sozialem. Und mag die Partei auch derart viele Affären geliefert haben, dass die kaum noch zu überblicken sind - ihrem Ansehen haben die nicht geschadet. Im Gegenteil. Imagewert der CSU laut Forschungsgruppe: 2,3. Vor fünf Jahren betrug er 1,6. Imagewert der SPD: 0,6. Heißt das was für nächsten Sonntag? Nein, sagt die Forschungsgruppe. Dominante Regierungspartei, Freie Wähler als relevante Größe plus "eigene Mentalitäten" - das seien Besonderheiten, die zu einem besonderen Ergebnis führten.
Die Wahlbeteiligung war um exakt sechs Prozentpunkte auf 63,9 Prozent gestiegen. Keiner Partei ist es annähernd so gut gelungen wie der CSU, jene Menschen wieder an die Urne zu bekommen, die sich vor fünf Jahren enthalten hatten. Am zweitbesten gelang dies noch der SPD, die aus dem Lager 110000 Stimmen gewann. Die FDP aber gab an fast alle ab: auch an SPD, Grüne sowie Kleinparteien. 10000 Wahlberechtigte blieben sogar lieber daheim, als nochmals diese Partei zu wählen. Lediglich an die Linke verlor die FDP nichts. Ihre Ex-Wähler wollten es wenigstens nicht zum Äußersten treiben.
Bei der Wahlbeteiligung liegt Bayern nun wieder im oberen Mittelfeld der Bundesländer. 63,9 Prozent, das bedeutet: Nur in Baden-Württemberg, Brandenburg, im Saarland und in Schleswig-Holstein war sie zuletzt höher. Für Bayern bleibt der Wert jedoch niedrig: Nur bei den zwei zurückliegenden Wahlen war er niedriger.
Immerhin, er scheint sich zu erholen. Ob das aber an den Briefwählern liegt? Könnte sein, aber die Wahlforscher haben darauf noch keine Antwort. Richtig ist, dass der Anteil der Briefwähler bei allen Wahlen seit Jahren steigt. Ein Grund dafür dürfte sein, dass der Staat es seinen Bürgern inzwischen einfacher macht: Früher musste man begründen, warum man per Brief abstimmen wollte (Krankheit, Alter, Umzug oder Abwesenheit "aus wichtigem Grund", und ob der wirklich wichtig war, dazu traute sich manch eifriger Beamte im Wahlamt ein Urteil zu). Heutzutage beantragt man Briefwahl, und gut ist. Auch am kommenden Sonntag dürfte es mehr Briefwähler geben als früher, darauf deutet die Zahl der Anträge in Großstädten hin.
Eine Hoffnung respektive Sorge kann man jedoch allen Kandidaten nehmen: Für die landläufige These, Briefwähler seien eher konservativ, gibt es in der Wahlforschung keine Belege. Allerdings: Sie wählen überdurchschnittlich häufig entweder Union und SPD. Bei den Volksparteien ist der Anteil älterer Wähler höher als bei den anderen. Und mehr ältere als jüngere Wähler bevorzugen Briefwahl.