Ob Neuseeland weiterhin die Heimat der Film-Hobbite sein wird ist unklar. Regisseur Peter Jackson will seine Dreharbeiten nach Osteuropa verlegen.
Es ging um die Identität der neuseeländischen Nation. Deshalb war der Aufschrei groß, als Peter Jackson 2010 infolge eines Streits mit der Gewerkschaft drohte, den Dreh seiner Tolkien-Verfilmung "Der Hobbit" nach Osteuropa zu verlegen. Auf dem Spiel stand nicht nur ein wirtschaftlicher Gewinn von geschätzten 1,5 Milliarden Dollar, sondern auch das Image Neuseelands als "Heimat von Mittelerde". Deshalb schaltete sich Premierminister John Key ein und sicherte nicht bloß großzügige Subventionen zu. Um die Produktion im Land zu halten, veranlasste er das Parlament sogar zu einer Änderung der Arbeitsgesetze.
In kaum einem anderen Land ist die Verknüpfung zwischen Filmen und Tourismus derartig eng wie in Neuseeland. Tourism New Zealand vermarktet das Land unter dem Slogan "100 Prozent Mittelerde, 100 Prozent pures Neuseeland". Und die Fluggesellschaft Air New Zealand zeigt an Bord Sicherheitsvideos, in denen Elben einem Publikum aus Hobbits und Zwergen die Funktion der Schwimmwesten erklären. Ein Gag, den die Fluggesellschaft auch im aktuellen Werbefilm wiederholt.
Seit Neuseeland Anfang der Nullerjahre im Zuge von "Der Herr der Ringe" sein Image neu definierte, haben das Land und seine Tourismusindustrie einen Aufschwung erfahren. Und es scheint, als wiederhole sich dieser Effekt durch die "Hobbit"-Trilogie. Nachdem im Dezember vergangenen Jahres der erste "Hobbit"-Film in die Kinos kam, zählte das Land laut Tourism New Zealand einen Besucherzuwachs von gut zehn Prozent. Insgesamt hätten 8,5 Prozent der Touristen angegeben, dass der Film bei ihrer Reiseentscheidung eine große Rolle gespielt habe. Auch fürs nächste Jahr hofft man auf den Tolkien-Effekt, denn ab nächster Woche ist mit "Smaugs Einöde", dem Mittelteil der Trilogie, weltweit wieder eine mehrstündige Neuseeland-Werbung in den Kinos zu sehen.
"Durch Filme werden Orte emotional aufgeladen. Und wenn man etwas mit emotionalen Inhalten verbindet, hat es gleich einen anderen Stellenwert", begründet Stefan Rösch die Anziehungskraft, die Filme auf Reisende ausüben. Stefan Rösch hat über Filmtourismus promoviert, heute berät er Tourismusorganisationen in Sachen filmtouristisches Marketing. Denn Neuseeland ist kein Einzelfall: Laut dem Marktforschungsinstitut TCI Research haben im Jahr 2012 weltweit rund 40 Millionen Menschen ihre Reiseziele hauptsächlich aufgrund von Filmen gewählt.
Für Stefan Rösch ist es essenziell, zwischen Filmtourismus und Drehorttourismus zu unterscheiden. Filmtouristen lassen sich durch die im Film gesehenen Landschaften und Stimmungen zu einer Reise anregen, Drehorttouristen suchen gezielt die Orte auf, an denen ein Film gedreht wurde. Set-Jetting heißt das im englischen Sprachraum. Und das führt nicht nur dazu, dass Filme Orten eine neue Bedeutung geben, teilweise schaffen sie auch ganz neue Sehenswürdigkeiten. In Neuseeland haben zwischen 2002 und 2012 mehr als 300000 Menschen das Hobbit-Dorf aus Peter Jacksons Filmen besucht, in den Wüsten Tunesiens ziehen die Kulissen von "Star Wars" seit den 1970er-Jahren Touristen an. "Die Orte werden zu postmodernen Pilgerstätten. Wenn ein "Star Wars"-Fan in Tunesien genau an der Stelle steht, wo Luke Skywalker aus seiner Hütte trat, kann das schon eine fast religiöse Erfahrung sein", sagt Stefan Rösch. Von diesem Imagegewinn zehren auch Themenparks, die sich an erfolgreiche Filme anlehnen. Der Movie Park Germany in Bottrop hat sich Filmthemen verschrieben, und in den Universal Studios Florida entstanden ganze Welten im Stil von Harry Potter oder den Simpsons. "Der Fluch der Karibik", eine der erfolgreichsten Filmreihen der vergangenen Jahre, beruht auf einem Disneyland-Fahrgeschäft - das seinerseits wiederum an die Filme angepasst wurde.
Dass Geschichten unsere Reiseentscheidungen beeinflussen, ist kein neues Phänomen. "Wenn man an die Ursprünge des Tourismus zurückdenkt, steht da die Grand Tour. Damals reiste man an die Orte der klassischen Bildung, heute rücken an deren Stelle immer stärker Filme", sagt Stefan Zimmermann, Geograf an der Universität Frankfurt, der sich seit mehr als zehn Jahren mit dem Phänomen Filmtourismus befasst. "Die Vermischung von Realität und Fiktion ist ein ganz wesentlicher Faktor bei dieser Form des Reisens", sagt Zimmermann. Deshalb bleibe es oftmals nicht beim bloßen Besuch von Filmorten. Touristen versetzten sich auch in die Rollen ihrer Helden. Neuseelandurlauber in Hobbit-Kostümen sind dabei noch die harmlosere Variante. Zum zweiten Teil der "Tribute von Panem"-Reihe, dem anderen großen Blockbuster dieses Winters, offeriert der amerikanische Anbieter "The Hunger Games"-Wochenendtrips für Fans. Die Touren beinhalten nicht bloß den Besuch von Drehorten, sondern auch Training im Bogenschießen und in Überlebenstechniken. Wie im Film treten die Teilnehmer zum Kampf gegeneinander an - hier allerdings geht es nicht um Leben und Tod.
Der Effekt von Filmen ist schwer zu messen, kann aber beachtlich sein. Nachdem Steven Spielberg 1977 in "Unheimliche Begegnung der dritten Art" Aliens auf dem Felsen Devil"s Tower in Wyoming landen ließ, stiegen dort die Besucherzahlen von 150000 auf 270000 pro Jahr. Alnwick Castle in Northumberland konnte einen Besucherzuwachs von 230 Prozent verbuchen, nachdem es in den "Harry Potter"- Filmen als Zauberschule Hogwarts firmierte, die Mehreinnahmen werden auf neun Millionen Pfund beziffert. Und laut Tourismus Salzburg ist der Musicalfilm "The Sound of Music" von 1965 immer noch jedes Jahr für 300000 der rund 1,4 Millionen Besucher der Hauptgrund ihrer Reise - insbesondere für Touristen aus den USA.
Noch stärker ist dieser Effekt laut Zimmermann bei Serien: "Wenn eine Serie über sechs bis sieben Staffeln läuft, haben wir viel mehr Zeit, die Figuren und die Orte kennenzulernen." Das spiegele sich in touristischen Angeboten wider. In New York lassen sich zwischen Shopping und Cocktails die Schauplätze von "Sex and the City" besuchen, im benachbarten New Jersey macht die "Sopranos"-Tour im Stripclub halt. In Nordirland werden Touren zu den Drehorten von "Game of Thrones" angeboten, in Kopenhagen kann man sich auf die Spuren von Kommissarin Lund begeben.
Wie nachhaltig die Tolkien-Verfilmungen das Image Neuseelands geprägt haben, zeigt sich nicht nur am Einfluss der Filmproduktion auf die Arbeitsgesetze des Landes. Als Barack Obama auf Staatsbesuch nach Neuseeland kam, brachte er das Schwert mit, das der Hobbit Frodo in "Der Herr der Ringe" trägt, und überreichte es Premierminister John Key als Gastgeschenk. Ganz so, als sei der US-Präsident nicht auf Staatsbesuch in Neuseeland, sondern am Hofe eines Königs aus Mittelerde.