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Aufstand der Schatzjäger

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Wenn Daten in Zukunft wirklich das sind, was einst Rohöl war.Kein Geheimdienst dieser Welt kennt die Menschen so gut wie Facebook. Bei dem digitalen Plaudertreff verraten mehr als eine Milliarde Menschen, wann sie wo mit wem Urlaub machen, welche Partei sie wählen, und welches Shampoo sie besonders mögen – und zwar freiwillig. Und Facebook ist damit unter den mächtigen amerikanischen Technologiekonzernen noch nicht einmal etwas Besonderes: Google und Twitter können Epidemiewellen schneller als Gesundheitsbehörden verorten, Microsoft hat den Schlüssel zu vier von fünf PCs weltweit.



Das Misstrauen auf Seiten der Verbraucher wächst. Die Branche die auf dem Sammeln von Daten basiert muss jetzt das Vertrauen zurück gewinnen.

Der enorme Datenschatz, auf dem die Technologiekonzerne sitzen, hat Begehrlichkeiten geweckt. Und seit den Enthüllungen des ehemaligen Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden ahnen die Menschen, dass diese Begehrlichkeiten auch erfüllt werden. Noch ist zwar unklar, ob sich Unternehmen dabei als willige Gehilfen erwiesen haben oder unter dem hehren Versprechen der Terrorbekämpfung von staatlicher Seite dazu gezwungen wurden. Klar ist aber: Das Misstrauen wächst – und es bedroht das Geschäft der Technologieunternehmen.

Nun wagen sie den Aufstand:
Ein Schmiermittel, das die Wirtschaft am Laufen hält, dann wird der ein gutes Geschäft machen, der über diese Daten verfügt. Es gibt jedoch eine zweite Voraussetzung für dieses Geschäft: Vertrauen.

In einem Brief an Präsident Barack Obama und Kongressmitglieder forderten Unternehmen wie Apple, Google und Facebook, die staatliche Überwachung von Bürgern einzudämmen. Der Appell: Die USA, deren Spionagebehörde NSA durch Enthüllungen stark in Verruf geraten ist, sollten dabei mit gutem Beispiel für andere Regierungen der Welt vorangehen.Auch Microsoft, Twitter, AOL, Yahoo und Linkedin unterzeichneten den Appell.

Es ist nicht so, dass es bislang keinerlei Widerstand gegen die allzu neugierigen Geheimdienste gegeben hätte. Der E-Mail-Anbieter Lavabit beispielsweise hat die Zusammenarbeit verweigert – und er hat einen hohen Preis gezahlt, um die Überwachung seiner Kunden zu stoppen: Er machte dicht. Schon vorher nervte er die Regierungsstellen. Als das FBI seinen geheimen Schlüssel anforderte, um kryptotechnisch geschützte E-Mails mitzulesen, druckte er ihnen den Code aus – auf sechs kleinstbedruckten Seiten. Anwälte, die solche kreativen Gesetzeslücken ausnutzen, sind teuer. Staatliche Stellen drohen als Antwort mit hohen Geldbußen, die schmerzen. Wenn Konzerne andererseits die Geheimdienste hineinlassen, bekommen sie mitunter sogar Kompensationszahlungen.

Ein erster Versuch der Technologieunternehmen, Allianzen zu schmieden und gemeinsam in der Spähaffäre für Aufklärung zu sorgen, war vor etwa zwei Monaten gescheitert. Damals hat die US-Regierung den von den Unternehmen gestellten Antrag abgeschmettert, mehr Details über die Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten zu veröffentlichen. Solche Angaben wären „für unsere Feinde unbezahlbar“, hieß es in einer Stellungnahme des Justizministeriums.

Nun scheint die Sorge vor dem Vertrauensverlust in der Technologiebranche aber offenbar groß genug, damit aus Rivalen Verbündete werden. Und auch groß genug, um mal so richtig auf den Tisch zu hauen. Nun versuchen es die US-Unternehmen noch einmal. Und dieses Mal deutlich lauter.

Auf einer Internetseite präsentieren die Unternehmen ihre „Prinzipien“ für eine globale Reform der Spionageprogramme. So sollten die Geheimdienste aufhören, einfach massenhaft Kommunikationsdaten aus dem Internet abzufischen, sondern ihre Sammlung konkret auf Zielpersonen beschränken. Zudem müssten die verantwortlichen Behörden und Gerichte viel strenger überwacht werden. So fordern die Unternehmen mehr Aufklärung darüber, wie oft und warum Regierungen nach der Herausgabe von Informationen fragen.

Dass die junge Internetbranche durchaus Einfluss in Washington hat, das hat sie vor einem knappen Jahr bereits bewiesen. Damals sollten Unterhaltungskonzerne einen Gerichtsbeschluss erwirken können, der Internetanbieter und Suchmaschinen dazu zwingt, diePiraterie-Plattformen unerreichbar zu machen. Die Konzerne im Silicon Valley mobilisierten Internetaktivisten. Gemeinsam liefen sie Sturm. Letztlich knickte die US-Regierung ein – und kassierte den Vertrag. selbstbewusst für ihre Sache kämpfen. Vor etwa einem Jahr: Sopa. Pipa. Damals haben sie den Kampf sogar gewonnen. Es zeigte sich, dass wie viel noch junge Branche an Einfluss gewonnen hatte. Nicht nur weil sich Politiker all dieser Techniken gern selbst bedienen. Sondern auch weil der Technologiesektor einer der wenigen ist, auf den das überschuldete Land baut – um Antwort auf die Frage zu finden, wer Werte schafft. Doch dieses Mal will das Silicon Valley nicht nur Gesetzesentwürfe verhindern. Die Konzerne fordern nicht weniger als eine Abkehr von der gelebten Praxis – und eine Reform von Gesetzen, die seit vielen Jahre gelten. Und, weitaus wichtiger, dieses Mal legt sich die Internetbranche nicht nur mit einer anderen Branche an. Dieses Mal schießt sie gegen die eigene Regierung – und sogar gegen Politiker und Manager jenseits des eigenen Landes.

Denn die Unterzeichner riefen die Regierungen weltweit auf, sich auf einen rechtlichen Rahmen für Anfragen nach Nutzerdaten zu einigen. Damit verbunden ist die Forderung nach einem „freien Fluss von Informationen“ im Internet auch über Grenzen hinweg. Dies ist ein Angriff auf all jene, die es im Zuge der NSA-Affäre gewagt haben, den USA das Vertrauen zu entziehen – und ihr eigenes Ding zu machen.

Es ist ein Angriff auf die brasilianische Regierungschefin Dilma Rousseff, die beispielsweise eine leidenschaftliche Rede vor den Vereinten Nationen gehalten undbrasilianische Unternehmen beauftragt hat, eigene Computersysteme aufzubauen. Sie will es US-Unternehmen erschweren, in Brasilen erhobene Daten außer Landes zu schaffen. Sie will neue Kabel in der Region verlegen, sodass die Daten nicht länger durch die USA geleitet werden müssen.

Und die nun formulierte Forderung nach freiem Informationsfluss ist auch ein Angriff auf die Deutsche Telekom, die ihrerseits dafür geworben hat, den Datenverkehr zwischen Europäer auch im Schengen-Raum zu belassen. Derzeit, so beklagt Telekom-Chef René Obermann, werde die Chancengleichheit ausgehöhlt. Auf der einen Seite die Unternehmen, die fair spielen – auf der anderen diejenigen, die die Regeln missachten und sich so zumindest kurzfristig einen Vorteil verschaffen. „Es ist ein Unding, wenn wir seit 20 Jahren einen gemeinsamen europäischen Markt haben, aber Industriespionage nicht ausschließen können.“ Bislang nämlich haben amerikanische Internetkonzerne wenig Lust, ihre Großrechner in Deutschland aufzustellen, wo strengere Datenschutzgesetze gelten.

Wie sinnvoll eine Abschottung des Internets tatsächlich ist, das ist dennoch umstritten. Der Siegeszug des Internets liegt vor allem darin begründet, dass es dort keine Grenzen gibt. Die Menschen kommen schneller in Kontakt, können die offizielle Propaganda von Diktatoren ebenso umgehen wie die gierigen Mittelsmänner im Musikgeschäft oder Taxigewerbe. „Im besten Fall“, betont zudem der irische Jurist TJ McIntyre, ist ein Schengen-Internet „ein technisches Pflaster“. Denn Snowden habe gezeigt, dass Geheimdienste nicht zögern, auch innerhalb von Europa Daten entgegen allen geltenden Gesetzen abzugreifen.

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