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Offene Türen

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Das mit den Schubladen beginnt schon beim Erklären dieser Veranstaltung: Zum einen sitzt da am Montagabend Münchens Theaterprominenz im Gewölbekeller des Milla, zum anderen eine Reihe Künstler mit Migrationshintergrund. Aber immerhin: Man debattiert über diese Schubladen. Es geht um die Frage: Gibt es am Theater Ausgrenzungen von Menschen mit Migrationshintergrund?



Auch am Theater debattiert man nun, ob dort eine Ausgrenzung von Menschen mit Migraionshintergrund stattfindet.

Der Auffassung sind Tuncay Acar und sein Gefolge, die als „Göthe Protokoll“ ins Milla geladen hatten. Anlass für die Aufregung war ein Aufruf der Kammerspiele, in dem für ein Projekt des niederländischen Regisseurs Dries Verhoeven „Menschen mit Migrationshintergrund“ gesucht wurden, die Zuschauer bei einem Spaziergang durch ein „migrantisch geprägtes Viertel“ führen sollten. Acar, der im Vorstand der Glockenbachwerkstatt ist und unter anderem das Import/Export verantwortete, empörte sich in seinem Blog, forderte zum Boykott des Projekts auf und die Kammerspiele zu einer öffentlichen Auseinandersetzung heraus.

Bemerkenswert ist, dass Acars emotionalem Appell tatsächlich die drei großen Häuser der Stadt artig gefolgt sind: Johan Simons, Christian Stückl und Sebastian Huber, stellvertretender Intendant des Residenztheaters, sitzen da am leicht schrägen Tisch im Gewölbekeller mit einer Entourage von Dramaturgen. Schon das sendet die Botschaft: Seht her, das Thema ist uns so wichtig, dass sogar der Chef persönlich kommt. Das Milla ist so voll wie beim Auftritt einer angesagten Band, doch während der Diskussion herrscht konzentrierte Stille, das Thema ist spürbar heikel.

Die Vorwürfe von Göthe Protokoll: Menschen mit Migrationshintergrund dürften an den Theatern stets nur als solche auftreten. Die Zuschauer blickten interessiert auf die Exoten, ließen sich ein bisschen was aus deren andersartigem Leben erzählen und glaubten, damit sei ein gegenseitiges Verstehen bereits geglückt. Künstler mit „Hintergrund-Vordergrunds-Tralala“, wie Acar es nennt, würden dadurch ausgegrenzt, hätten auch an Schauspielschulen und Schaltstellen der Kunst keine Chance. „Ich vermisse meine Perspektive“, sagt Acar. „Künstlerische Projekte von Menschen mit Migrationshintergrund finden nur auf Nebenbühnen statt – wenn überhaupt.“Der Künstler Bülent Kullukcu pflichtet ihm bei: „Ich soll immer nur was über meine Eltern machen. Was gehen euch meine Eltern an?“ Applaus. An deutschen Theatern seien nur „Bio-Deutsche“ angestellt, es gebe sogar einen „institutionalisierten Rassismus“, wie jener Aufruf der Kammerspiele zeige. Johann Simons legt den Kopf schief und die Stirn in Falten. Ihm Rassismus vorzuwerfen, entbehrt natürlich nicht einer gewissen Komik. „Sie sprechen besser Deutsch als ich“, sagt der Intendant aus dem niederländischen Nirgendwo, der alles andere als „bio-deutsch“ ist. „Ich lade bewusst Menschen mit anderem Hintergrund nach München ein“, sagt Simons, „ich komme aus Holland, dort wird Multikulti bald Realität sein – oder darf man das nicht sagen? Multikulti?“ Bei Simons sei das was anderes, gibt „Migrantenstadl“-Bloggerin Tunay Önder zu bedenken, es gebe hierzulande eine Differenzierung der Menschen mit Migrationshintergrund, bessere und schlechtere sozusagen, er als Niederländer gehöre zu den besseren. Fragende Gesichter.

Tuncay Acar ist ein cleverer Mann, er weiß, wie er sich Aufmerksamkeit verschafft, und gibt das auch unverhohlen zu. Die „Nummer vom wütenden Migranten“ erzeugt Resonanz, deswegen spielt er sie, wenn es sein muss. Die Tatsache, dass dieser Wut drei Intendanten gefolgt sind, gibt ihm und seiner Masche recht. Zu groß ist die Angst der Institutionen, das Thema nicht ernst genug zu nehmen. Das allerdings als Geständnis zu lesen, die Vorwürfe seien berechtigt, ist natürlich zu einfach.

Die Theatervertreter lassen sich nicht zu Rechtfertigungen hinreißen, weisen geduldig auf ungarische Eröffnungspremieren und internationale Produktionen hin. Im Ensemble der Kammerspiele arbeiten Niederländer, Esten, Schweizer, eine türkischstämmige Schauspielerin, eine aus Uganda. Der Prozess sei voll im Gange, ein Schauspieler werde eingestellt, weil er gut sei, nicht weil oder weil er kein Türke sei. Sicher sei in den vergangenen Jahrzehnten viel versäumt worden, sagt Christian Stückl, „aber die Neuen sind schon da, diedrängen schon rein, die Türen sind offen“. Die Kritiker überzeugt das nicht. Zu oft mussten sie Diskriminierung erleben, nicht nur am Theater. Die Wut aber, die sie empfinden, konkretisieren sie nur schwer.

Dennoch ist es zu einfach, den Theatern diese Gesprächsbereitschaft als schamhaften Reflex auszulegen, als Beleg dafür, dass was dran sein müsse an den Vorwürfen. Das tatsächliche Problem, so Kammerspiel-Chefdramaturgin Julia Lochte, sei keines des irgendwie gearteten Hintergrunds, sondern eine Frage der sozialen Schichten und der Bildung. Wenn Eltern selbst nicht ins Theater gingen, wie sollten es die Kinder dann tun? Seit jeher sitzen vor allem Bildungsbürger im Zuschauerraum, Migrationshintergrund hin oder her. Da müsste man ansetzen, sagt Lochte, das Theater von „oben nach unten“ öffnen.

Nach zwei Stunden herrscht dicke Luft. Auch im Milla. Doch man ist zumindest einig, weitermachen zu müssen, bis es endgültig egal ist, ob Werther von einem Marokkaner gespielt wird. Oder Othello weiß ist. Oder blau. Oder eben nicht.

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