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Merkels Kabinett der Überraschungen

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Die längste Regierungsbildung in der Geschichte der Bundesrepublik ist am Wochenende mit mehreren Überraschungen zu Ende gegangen: Ursula von der Leyen soll Verteidigungsministerin werden. SPD-Chef Sigmar Gabriel holt sich einen Grünen als Staatssekretär in sein neues Ministerium für Wirtschaft und Energie. In Aydan Özoguz wird zum ersten Mal eine türkischstämmige Politikerin am Kabinettstisch sitzen. Und die CSU ist in der neuen Regierung doch nicht so stark vertreten wie zunächst erwartet. An diesem Dienstag sollen die Minister im Bundestag vereidigt werden, dann kann das dritte Kabinett von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Arbeit aufnehmen.

Über das Personal der neuen Regierung war seit Monaten spekuliert worden. Dass von der Leyen Verteidigungsministerin werden könnte, stand dabei allerdings nie zur Debatte. Es galt als sicher, dass Thomas de Maizière Ressortchef bleibt. De Maizière muss jetzt das Innenministerium übernehmen, das er bereits bis 2011 führte. Von der Leyen und de Maizière gelten als mögliche Parteichefs oder Kanzlerkandidaten für die Zeit nach Merkel. Die überraschende Berufung zur Verteidigungsministerin stärkt jetzt von der Leyen, bisher wurde das wichtige Ressort immer von Männern geleitet. Von der Leyen verfügt in der CDU zwar über keine Hausmacht. Wegen ihrer vielen Alleingänge - zuletzt bei der Frauenquote - ist sie in Teilen der CDU sogar ausgesprochen unbeliebt. Auf dem jüngsten Parteitag erhielt sie bei der Wahl zur stellvertretenden CDU-Chefin nur 69Prozent der Delegiertenstimmen. Sie ist jedoch seit ihrer Zeit als Familienministerin für die Außenwirkung der CDU enorm wichtig. Falls sie jetzt auch im Verteidigungsministerium reüssiert, hätte sie trotz aller Vorbehalte in der Partei eine starke Stellung. De Maizière ist wegen seines unglücklichen Umgangs mit der Drohnenaffäre bereits stark in die Defensive geraten.


Sigmar Gabriel am Sonntag bei der Vorstellung der neuen SPD-Minister

Die CSU darf zwar wie erwartet drei Minister stellen. Allerdings musste Parteichef Horst Seehofer beim Ressortzuschnitt erhebliche Zugeständnisse machen. Die CSU verliert das wichtige Innenministerium und erhält dafür nur das vergleichsweise kleine Ressort für Entwicklungshilfe. Das Agrarministerium bleibt zwar unter CSU-Führung, es muss aber den Bereich Verbraucherschutz an das Justizministerium abgeben. Auch beim Verkehrsressort hat die CSU sich nicht verbessert: Das Ministerium erhält jetzt zwar die Zuständigkeit für "digitale Infrastruktur", verliert dafür aber den gesamten Bau-Bereich an das Umweltressort. Für die populäre Mietpreisbremse oder den sozialen Wohnungsbau wird also kein CSU-Minister mehr verantwortlich sein. Seehofer verteidigte das Verhandlungsergebnis trotzdem. "Mir war wichtig, dass wir drei Minister behalten", sagte der Parteivorsitzende. Rechnerisch wären der CSU tatsächlich nur zwei Ressortchefs zugestanden. Für die Christsozialen werden jetzt CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt und der bisherige Agrar-Staatssekretär Gerd Müller Minister. Dobrindt übernimmt das Verkehrsressort, Müller das Entwicklungshilfe-Ministerium. Hans-Peter Friedrich wechselt vom Innen- in das Agrar-Ressort. Der bisherige Verkehrsminister Peter Ramsauer muss die Regierung verlassen.

Keine Veränderung gibt es in den Ministerien für Finanzen und Bildung, Wolfgang Schäuble und Johanna Wanka (beide CDU) behalten ihre Ämter. Für die Union war vor allem die Personalie Schäuble von herausragender Bedeutung. In der CDU zeigte man sich am Wochenende zufrieden, das Finanzministerium behalten zu haben. Nach dem überraschenden Ausscheiden von Kanzleramtsminister Ronald Pofalla übernimmt nun Peter Altmaier das schwierige Amt. Neuer Gesundheitsminister soll CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe werden. Altmaier und Gröhe gelten als enge Vertraute Merkels. Gröhe stammt außerdem aus Nordrhein-Westfalen. Ohne seine Berufung wäre der mächtige Landesverband wegen des Ausscheidens von Pofalla nicht mehr in der Regierung vertreten gewesen.

Die Namen der sozialdemokratischen Minister waren bereits am Freitagabend bekannt geworden. Am Sonntag wurden sie von SPD-Chef Gabriel bestätigt. Demnach wird Frank-Walter Steinmeier Außenminister, Manuela Schwesig Familienministerin, Andrea Nahles Arbeitsministerin, Heiko Maas Justizminister und Barbara Hendricks Umweltministerin. Gabriel wird neben seinem Amt als Ressortchef für Wirtschaft und Energie auch Vizekanzler. Als einen seiner Staatssekretäre hat sich der SPD-Vorsitzende den Grünen Rainer Baake ausgesucht. Baake war bereits in Hessen unter Joschka Fischer und im Bund unter Jürgen Trittin Staatssekretär. Auch Andrea Nahles hat sich für einen besonders qualifizierten Staatssekretär entschieden. Sie holt EZB-Direktor Jörg Asmussen in ihr Arbeitsministerium.

Im Bundeskanzleramt und im Außenministerium wird es zu einer ungewöhnlichen Verschränkung kommen. Die Sozialdemokratin Özoguz wird im CDU-geführten Kanzleramt Staatsministerin für Migration und Flüchtlinge. Im Gegenzug wird die Christdemokratin Maria Böhmer Staatsministerin im SPD-geführten Außenamt.

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