Plakate, Rosen, Kerzen und Kuscheltiere liegen zum Gedenken an Yagmur vor dem Hauseingang in Hamburg-Bllstedt.
Die Ermittler und die Leute von der Spurensicherung haben den Backstein-Wohnblock in Hamburg wieder verlassen. Vor der Haustür liegen ein paar Kuscheltiere. Es ist still geworden in der Straße, in der die dreijährige Yagmur am Mittwoch in ihrem Zuhause schwer misshandelt gestorben ist. Überall herrscht Entrüstung. Wegen der Eltern, die unter dringendem Tatverdacht stehen; gegen beide wurde am Donnerstagabend ein Haftbefehl erlassen. Auch wegen der Jugendämter, die das Mädchen seit seiner Geburt betreut haben sollen.
Yagmur war am Mittwoch nach einem Leberriss innerlich verblutet. Ein Polizeisprecher sagte: „Das Mädchen hatte Blutergüsse am ganzen Körper.“ Er halte es für sehr wahrscheinlich, dass die Dreijährige massiv misshandelt worden und an den Folgen gestorben sei. Die Mutter, die um fünf Uhr morgens den Notruf gewählt hatte, erzählte bei der Vernehmung eine andere Geschichte: Sie sprach von einem Unfall, ihre Tochter sei ins Wohnzimmer gelaufen und gestürzt. Der Vater sei zu dem Zeitpunkt nicht zu Hause gewesen, sie habe erst die Rettungskräfte angerufen, dann ihn. Der Vater selbst wollte den Ermittlern zunächst überhaupt nichts sagen. Er war schon wegen Körperverletzung, Diebstahl und Drogendelikten polizeibekannt. Dem 25-Jährigen wird nun Totschlag vorgeworfen; der 26-jährigen Mutter Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen.
Seit ihrer Geburt war Yagmur von Jugendämtern in mehreren Bezirken begleitet worden und auf Wunsch der Eltern zu einer Pflegemutter gekommen. Das Paar hatte sich überfordert gefühlt, wie aus den Akten hervorgeht – zu jung, ohne gemeinsame Wohnung. Aus einer früheren Beziehung hat die Mutter noch einen sieben Jahre alten Sohn, der bei seinen Großeltern aufwächst. Yagmur schickten die Behörden im August zurück zu ihren Eltern. Mit der Begründung, der regelmäßige Kontakt mit dem Kind sei gut verlaufen.
Zur gleichen Zeit liefen laut Polizei jedoch Ermittlungen wegen einer ungeklärten Schädelverletzung des Mädchens – unter anderem gegen die Eltern. Yagmur musste Anfang 2013 operiert werden, sie hatte sich schwer den Kopf gestoßen. Wie, das ist bis heute unklar. Sie lebte zu diesem Zeitpunkt noch bei der Pflegefamilie, hatte aber auch Kontakt zu ihren Eltern. „Das Verfahren wurde damals gegen alle Personen geführt, die mit dem Kind zu tun hatten“, sagte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Erst im November, Yagmur wohnte inzwischen bei ihren Eltern, wurden die Ermittlungen eingestellt. „Weil die Umstände nicht geklärt werden konnten“, sagte ein Polizeisprecher. Das Jugendamt beendete die Pflegschaft der Pflegefamilie.
Dass das Bezirksamt das Kind während des laufenden Verfahrens in die Obhut der Eltern gab, löste nun harsche Kritik bei CDU und Grünen aus. „Diese Entscheidung erscheint nur sehr schwer nachvollziehbar“, sagte die Grünen-Abgeordnete Christiane Blömeke. Christoph de Vries, familienpolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, warnte: „Alle, die in der Vergangenheit Verantwortung für das Mädchen getragen haben, sind gut beraten, ihre Hände nicht voreilig in Unschuld zu waschen.“ Auch SPD-Sozialsenator Detlef Scheele ließ seine Bestürzung ausrichten. Er wolle aber keine vorschnelle Einschätzung abgeben und erst alle Erkenntnisse zusammentragen. Der Fall sei komplex, weil mehrere Jugendämter beteiligt gewesen seien.
Zuletzt war das Bezirksamt Hamburg-Mitte zuständig. Am Donnerstag war dort niemand für eine Stellungnahme zu erreichen. Die Behörde war bereits im vergangenen Jahr heftig unter Druck geraten, als die elf Jahre alte Chantal – ebenfalls unter Aufsicht des Amtes – bei ihren drogensüchtigen Pflegeeltern an einer Überdosis des Heroin-Ersatzstoffs Methadon gestorben war. Die Hamburger Sozialbehörde hat seither zahlreiche Konsequenzen gezogen, um die Arbeit der Jugendämter zu verbessern. Für die Grünen-Politikerin Blömeke ist der Tod der kleinen Yagmur Beleg für das Scheitern dieser Maßnahmen. „Schon wieder ist in Hamburg ein Kind gestorben, das von verschiedenen staatlichen Stellen betreut wurde. Offenbar haben die Maßnahmen erneut nicht ausgereicht.“