Wegen ihres Tweets wurde PR-Frau Sacco gekündigt.
Der Twitter-Mob kann furchterregend sein und unerbittlich. Wer die Macht des sozialen Netzwerks mit den 140 Zeichen-Nachrichten noch bezweifelte, sollte sich dieser Geschichte widmen. Sie begann am Freitag. Die bis dahin der Weltöffentlichkeit unbekannte PR-Frau Justine Sacco aus New York twitterte vier Sätze: "Bin auf dem Weg nach Afrika. Hoffentlich bekomme ich kein AIDS. War nur ein Scherz. Ich bin ja weiß."
Was folgte, nennt man im Internet-Deutsch einen Shitstorm. Bevor Sacco in ein Flugzeug von London nach Südafrika stieg, hatte sie gerade mal 443 Follower bei Twitter. Doch ihre rassistische Kurznachricht verteilte sich weiter wie in einem Schneeballsystem. Bei ihrer Ankunft in Kapstadt, etwa zwölf Stunden später, folgten ihr fast zehn Mal so viele Menschen. Und es wurden immer mehr. Kein Thema haben die Twitter-Nutzer so viel weiter verbreitet wie Saccos Tweet. Jede Sekunde kommentierten Dutzende Twitterer den Tweet. Die Internetgemeinde wartete, was passieren würde, wenn sie aus dem Flieger steigt. Es kursierten Daten zu dem Flug, mit dem sie ankommen soll. Der Hashtag #HasJustineLandedYet wurde zu einem der meistbenutzten und führt seither die Toplisten in vielen Ländern an. Hashtags, also die #-Symbole, dienen bei Twitter dazu, einzelne Nachrichten einem Thema zuzuordnen. Nach ihrer Landung knipsten Leute Sacco mit der Handykamera und twitterten Bilder von ihr. Blogger und die Nachrichten-Websites der Welt schrieben über sie. Das Internet machte Jagd.
Sacco selbst konnte auf dem Flug nicht reagieren, die Nachricht weder löschen noch sich entschuldigen. Erst nach der Landung erfuhr sie von den Konsequenzen des Tweets und entschuldigte sie sich dutzende Male bei Twitter, am Sonntag schrieb sie sogar einen Entschuldigungsbrief an eine südafrikanische Tageszeitung. "Ich schäme mich", schrieb Sacco. Sie berichtete von angeblichen Todesdrohungen, Nervenzusammenbrüchen und dass ihre Familie sie verstoßen habe - zu spät.
Justine Sacco ist PR-Beauftragte des New Yorker Medienkonzerns InterActiveCorp (IAC), zu dem mehrere Internetunternehmen wie der Youtube-Rivale Vimeo oder die Partnersuchportale Match.com und Okcupid.com und sogar eine Dating-Website für Afro-Amerikaner namens BlackPeopleMeet.com gehören - beziehungsweise: sie war. Inzwischen ist sie ihren Job los. In einer ersten Stellungnahme distanzierte sich IAC von dem Tweet - noch vor Saccos Landung: "Das ist ein ungeheuerlicher, beleidigender Kommentar, der nicht den Werten und Ansichten von IAC entspricht." Saccos Name verschwand von der Homepage von IAC. Später kündigte IAC ihr offiziell. Das Unternehmen versuchte, einen Imageschaden abzuwenden. Ebenfalls: zu spät. Im Wikipedia-Eintrag zu IAC fand sich innerhalb kürzester Zeit ein Absatz über Saccos Tweet.
Das amerikanische Kündigungsschutzrecht ist nicht sehr arbeitnehmerfreundlich. Solange eine Kündigung nicht diskriminierend ist, können Unternehmen ihre Mitarbeiter jederzeit vor die Tür setzen, sagt Stefan Lunk, der im Hamburger Büro der amerikanischen Großkanzlei Latham & Watkins Partner für Arbeitsrecht ist. Aber selbst in Deutschland könnte man im Extremfall für eine Nachricht bei Twitter gefeuert werden, sagt Lunk.
Sacco hat in ihrem Twitter-Profil geschrieben, dass sie Public Relations für IAC macht, ihre Nachricht war also nicht rein privat. Normalerweise müssen Arbeitgeber abmahnen, wenn ein Mitarbeiter etwas falsch macht, in extremen Fällen sei das aber bloße Förmelei und deshalb nicht nötig. "Wenn einer mit dem Flammenwerfer durch den Betriebskindergarten läuft, würde auch keiner eine Abmahnung verlangen", sagt Lunk. "Das Schwierige ist natürlich die Abgrenzung, wann etwas so schlimm ist."
Manch einer spekulierte, Saccos Twitter-Account sei gehackt worden und die Nachricht gar nicht wirklich von ihr. Andere PR-Experten vermuten eine Kampagne, der Fehltritt sei so monströs, dass er einer PR-Beauftragten eines großen Medienkonzerns niemals unterlaufen wäre - und schließlich ist ihr Unternehmen IAC nun so sehr in der Öffentlichkeit wie nie zuvor. Andererseits hatte Sacco schon einige mehr als undiplomatische Tweets abgesetzt, vom Twitter-Mob bislang unbemerkt. Der Tierschutzorganisation PETA hat sie zum Beispiel geschrieben, dass sie Tiere zwar mag, aber bei dieser Kälte persönlich einem das Fell abziehen würde.
Nun ist Justine Sacco ein Internetphänomen - samt aller Häme. Menschen gestalten Filmposter für einen fiktiven Film über sie, er trägt den Titel "Wie man in zehn Sekunden seinen Job verliert". Jemand hat die Domain justinesacco.com gekauft und leitet nun dort auf die Spendenseite von "Aid for Africa" weiter.
Sacco selbst hat zuerst ihren Tweet gelöscht und später gleich alle ihre Accounts in sozialen Netzwerken.