Der Junge mit der blauen Mütze startet die Stoppuhr. „You have fifty seconds“, ruft er seiner Mitschülerin zu. Gespannt sieht das Mädchen mit den braunen Locken ihren Lehrer an. „School uniform“ lautet der Begriff, den er ihr nennt und den sie nun auf Englisch erklären muss – bis die Zeit um ist. Wiederholungen, Räuspern oder Zögern sind nicht erlaubt. Es ist die letzte Woche vor den Ferien, und im Englischunterricht werden Spiele gespielt. Ein Stockwerk höher im Physikunterricht behandelt die Lehrerin mit ihrer Klasse die Atomkatastrophe von Fukushima – ebenfalls auf Englisch. Auch auf dem Pausenhof sind überall englische Wortfetzen zu hören. Doch das große Schulgebäude mit den roten Eingangstüren steht nicht etwa in Großbritannien oder den USA, sondern im Berliner Ortsteil Wilmersdorf.
Die Nelson-Mandela-Schule ist eine bilinguale Schule, die neben dem deutschen Abitur, das zum Teil in englischer Sprache absolviert wird, auch das englischsprachige „International Baccalaureate“ – eine Art internationales Abitur – anbietet. 1300 Schüler aus 53 verschiedenen Ländern lernen hier gemeinsam. Viele von ihnen sind Söhne und Töchter von Botschaftsangehörigen, Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes und Wissenschaftlern oder haben Eltern, die für ihren Job in der Wirtschaft immer wieder den Standort wechseln. „Hochmobil“ ist das Wort, das Schulleiter Christian Nitschke für diese Familien verwendet. Ihre Kinder gehören einer von der Berliner Senatsverwaltung festgelegten „Prioritätengruppe“ an und werden bei der Aufnahme bevorzugt behandelt. Trotzdem will Nitschke den Eindruck einer Diplomaten- oder Eliteschule vermeiden: „Natürlich sind wohlhabende Eltern darunter, aber eben auch die alleinerziehende Mutter, die Hartz IV bezieht“, sagt er. Vielmehr betonen Lehrer, Eltern und Schüler die Vielfalt, die in der Einrichtung herrscht: „Wir sind eine Bindestrich-Schule. Viele hier haben gemischt-nationale Eltern und mindestens zwei Pässe“, erklärt Lutz Mannes, der pädagogische Koordinator.
Da ist zum Beispiel Sabrina Little. Die 17-Jährige wurde in Jakarta geboren, lebte acht Jahre in Kambodscha, kam 2005 nach Berlin. Bei ihrer Ankunft sprach das Mädchen mit den langen braunen Haaren Indonesisch und Französisch, wenig Englisch und kein Deutsch. „Die ersten drei Monate waren schwer, ich habe nichts verstanden“, erzählt sie. Heute würde man im Gespräch mit ihr nicht auf die Idee kommen, dass Deutsch nicht ihre Muttersprache ist. „Es war erstaunlich, wie schnell man hier Anschluss findet. Alle sind sehr offen, und keiner wird ausgeschlossen“, sagt sie. Ihre Klassenkameradin Kaja Glinska, die nach einem Austauschjahr in den USA an die Schule gewechselt ist, ergänzt: „Es ist faszinierend, dass alle hier so verschieden sind. Man lernt viel voneinander.“
Wer die Nelson-Mandela-Schule besucht, ist häufig daran gewöhnt, ein paar Jahre in einem und danach einige Jahre in einem anderen Land zu leben.
Weil aber Internationalität modern ist und die englische Sprache immer wichtiger wird, haben mehr und mehr Eltern den Wunsch, ihr Kind hier in den Unterricht zu schicken. „Schon bei den Schulanfängern übersteigen die Bewerberzahlen die vorhandenen Plätze bei Weitem“, sagt Schulleiter Nitschke. Um aufgenommen zu werden, müssen die Kinder einen Test durchlaufen, in dem ihre Englischkenntnisse bewertet werden. Schüler, die in eine höhere Klasse einsteigen wollen, sollen auch ihre akademischen Fähigkeiten unter Beweis stellen. Die Klassen sind meist schnell gefüllt – bis auf ein paar Plätze, die für Schüler aus den Prioritätengruppen freigehalten werden.
Wer einen der begehrten Plätze ergattert hat, weiß das durchaus zu schätzen. „Was mir vor allem gefällt, ist, dass es keinen Rassismus gibt“, erzählt der 15-jährige Hisham Nöhren aus Kenia. „Es wird einfach niemand gemobbt, weil jeder anders ist.“ Ein wenig traurig machen den Neuntklässler nur die Abschiede, die in der Schule regelmäßig auf dem Programm stehen. „Wenn die Eltern von einem Freund im Auswärtigen Amt arbeiten, muss der nach ein paar Jahren oft schon wieder gehen.“ Auch für die Lehrer, die ebenfalls aus allen Teilen der Welt stammen, birgt die Internationalität der Schule Herausforderungen. Denn wenn Schüler mitten im Schuljahr einsteigen oder aus einem anderen Schulsystem kommen, bringen sie sehr unterschiedliche Voraussetzungen mit – sowohl sprachlich als auch akademisch. Einige Schüler, die nur eine begrenzte Zeit in Deutschland bleiben, haben teilweise kein großes Interesse daran, die Sprache überhaupt zu lernen. Um das aufzufangen, gibt es für jedes Fach „Teaching-Teams“ aus einem deutschsprachigen und einem eng-lischsprachigen Lehrer sowie einer Erzieherin, die zum Teil auch zu dritt im Unterricht anwesend sind. Die Hälfte der Fächer wird auf Englisch gelehrt, die andere Hälfte auf Deutsch. Nach der zehnten Klasse können sich die Schüler entscheiden, ob sie das deutsche Abitur machen – oder in das „International Baccalaureate“-Programm einsteigen, das hauptsächlich auf Englisch abgehalten wird. „Wir sind ein Schulversuch, ein Gedankenexperiment in Realität umgesetzt“, sagt Nitschke.
Dieses Experiment geht bereits in der ersten Klasse los. Einige Hundert Meter vom Hauptgebäude entfernt steht die Grundschule der Nelson-Mandela-Schule. Im ersten Stock sitzen die Erst- und Zweitklässler gemeinsam an Computern. In die Mäuler von bunten Haifischen müssen sie kurze Wörter auf Englisch eintippen. Auch hier zeigt sich, warum sich die Nelson-Mandela-Schule als eine Art „Vereinte Nationen im Kleinen“ bezeichnet: Ein Junge aus Indien schaut konzentriert auf seinen Bildschirm, sein Sitznachbar kommt aus Neuseeland, und das kleine Mädchen im rosa Pulli hat einen jüdisch-russischen Hintergrund, wie Lehrerin Annemieke Akkermans lächelnd erzählt. „Die Unterschiede spielen gar keine Rolle“, sagt sie. Währenddessen hat im Hauptgebäude der Schule bereits die Mittagspause begonnen. Im hellen Foyer hängen dieser Tage Zeitungsartikel und kleine bunte Zettel mit Botschaften an den erst vor wenigen Wochen verstorbenen Namensgeber der Schule. Daran vorbei strömen die Schüler auf den Hof – sie tragen etwas von Mandelas Idee hinaus in die Welt.
Die Nelson-Mandela-Schule ist eine bilinguale Schule, die neben dem deutschen Abitur, das zum Teil in englischer Sprache absolviert wird, auch das englischsprachige „International Baccalaureate“ – eine Art internationales Abitur – anbietet. 1300 Schüler aus 53 verschiedenen Ländern lernen hier gemeinsam. Viele von ihnen sind Söhne und Töchter von Botschaftsangehörigen, Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes und Wissenschaftlern oder haben Eltern, die für ihren Job in der Wirtschaft immer wieder den Standort wechseln. „Hochmobil“ ist das Wort, das Schulleiter Christian Nitschke für diese Familien verwendet. Ihre Kinder gehören einer von der Berliner Senatsverwaltung festgelegten „Prioritätengruppe“ an und werden bei der Aufnahme bevorzugt behandelt. Trotzdem will Nitschke den Eindruck einer Diplomaten- oder Eliteschule vermeiden: „Natürlich sind wohlhabende Eltern darunter, aber eben auch die alleinerziehende Mutter, die Hartz IV bezieht“, sagt er. Vielmehr betonen Lehrer, Eltern und Schüler die Vielfalt, die in der Einrichtung herrscht: „Wir sind eine Bindestrich-Schule. Viele hier haben gemischt-nationale Eltern und mindestens zwei Pässe“, erklärt Lutz Mannes, der pädagogische Koordinator.
Da ist zum Beispiel Sabrina Little. Die 17-Jährige wurde in Jakarta geboren, lebte acht Jahre in Kambodscha, kam 2005 nach Berlin. Bei ihrer Ankunft sprach das Mädchen mit den langen braunen Haaren Indonesisch und Französisch, wenig Englisch und kein Deutsch. „Die ersten drei Monate waren schwer, ich habe nichts verstanden“, erzählt sie. Heute würde man im Gespräch mit ihr nicht auf die Idee kommen, dass Deutsch nicht ihre Muttersprache ist. „Es war erstaunlich, wie schnell man hier Anschluss findet. Alle sind sehr offen, und keiner wird ausgeschlossen“, sagt sie. Ihre Klassenkameradin Kaja Glinska, die nach einem Austauschjahr in den USA an die Schule gewechselt ist, ergänzt: „Es ist faszinierend, dass alle hier so verschieden sind. Man lernt viel voneinander.“
Wer die Nelson-Mandela-Schule besucht, ist häufig daran gewöhnt, ein paar Jahre in einem und danach einige Jahre in einem anderen Land zu leben.
Weil aber Internationalität modern ist und die englische Sprache immer wichtiger wird, haben mehr und mehr Eltern den Wunsch, ihr Kind hier in den Unterricht zu schicken. „Schon bei den Schulanfängern übersteigen die Bewerberzahlen die vorhandenen Plätze bei Weitem“, sagt Schulleiter Nitschke. Um aufgenommen zu werden, müssen die Kinder einen Test durchlaufen, in dem ihre Englischkenntnisse bewertet werden. Schüler, die in eine höhere Klasse einsteigen wollen, sollen auch ihre akademischen Fähigkeiten unter Beweis stellen. Die Klassen sind meist schnell gefüllt – bis auf ein paar Plätze, die für Schüler aus den Prioritätengruppen freigehalten werden.
Wer einen der begehrten Plätze ergattert hat, weiß das durchaus zu schätzen. „Was mir vor allem gefällt, ist, dass es keinen Rassismus gibt“, erzählt der 15-jährige Hisham Nöhren aus Kenia. „Es wird einfach niemand gemobbt, weil jeder anders ist.“ Ein wenig traurig machen den Neuntklässler nur die Abschiede, die in der Schule regelmäßig auf dem Programm stehen. „Wenn die Eltern von einem Freund im Auswärtigen Amt arbeiten, muss der nach ein paar Jahren oft schon wieder gehen.“ Auch für die Lehrer, die ebenfalls aus allen Teilen der Welt stammen, birgt die Internationalität der Schule Herausforderungen. Denn wenn Schüler mitten im Schuljahr einsteigen oder aus einem anderen Schulsystem kommen, bringen sie sehr unterschiedliche Voraussetzungen mit – sowohl sprachlich als auch akademisch. Einige Schüler, die nur eine begrenzte Zeit in Deutschland bleiben, haben teilweise kein großes Interesse daran, die Sprache überhaupt zu lernen. Um das aufzufangen, gibt es für jedes Fach „Teaching-Teams“ aus einem deutschsprachigen und einem eng-lischsprachigen Lehrer sowie einer Erzieherin, die zum Teil auch zu dritt im Unterricht anwesend sind. Die Hälfte der Fächer wird auf Englisch gelehrt, die andere Hälfte auf Deutsch. Nach der zehnten Klasse können sich die Schüler entscheiden, ob sie das deutsche Abitur machen – oder in das „International Baccalaureate“-Programm einsteigen, das hauptsächlich auf Englisch abgehalten wird. „Wir sind ein Schulversuch, ein Gedankenexperiment in Realität umgesetzt“, sagt Nitschke.
Dieses Experiment geht bereits in der ersten Klasse los. Einige Hundert Meter vom Hauptgebäude entfernt steht die Grundschule der Nelson-Mandela-Schule. Im ersten Stock sitzen die Erst- und Zweitklässler gemeinsam an Computern. In die Mäuler von bunten Haifischen müssen sie kurze Wörter auf Englisch eintippen. Auch hier zeigt sich, warum sich die Nelson-Mandela-Schule als eine Art „Vereinte Nationen im Kleinen“ bezeichnet: Ein Junge aus Indien schaut konzentriert auf seinen Bildschirm, sein Sitznachbar kommt aus Neuseeland, und das kleine Mädchen im rosa Pulli hat einen jüdisch-russischen Hintergrund, wie Lehrerin Annemieke Akkermans lächelnd erzählt. „Die Unterschiede spielen gar keine Rolle“, sagt sie. Währenddessen hat im Hauptgebäude der Schule bereits die Mittagspause begonnen. Im hellen Foyer hängen dieser Tage Zeitungsartikel und kleine bunte Zettel mit Botschaften an den erst vor wenigen Wochen verstorbenen Namensgeber der Schule. Daran vorbei strömen die Schüler auf den Hof – sie tragen etwas von Mandelas Idee hinaus in die Welt.