Durch Südamerika mit dem Rucksack reisen - macht mit dem besten Buddy.
Aus dem Kino kennt man das Genre der Buddy-Movies: Zwei Kerle stecken da – deutlich enger, als ihnen lieb ist – miteinander in einer Angelegenheit, die sie nur gemeinsam geregelt kriegen. Ihre Talente und Temperamente weichen stark voneinander ab, was die Sache für die beiden anstrengend und für Beobachter amüsant macht. Es gibt das Buddy-Genre auch in der Reiseliteratur, nicht von ungefähr sind Buddy-Movies zugleich oft Roadmovies.
Christopher Isherwoods Reisetagebuch „Kondor und Kühe“, für das Bill Caskey fotografiert hat, ist ein besonders gut erzähltes Kumpel-Abenteuer dieser Art. Der Schriftsteller, bei dem eine filmische Assoziation auch deshalb naheliegt, weil er einige Drehbücher geschrieben hat und auf seinen Vorlagen die Kinoerfolge „Cabaret“ (1972) und „A Single Man“ (2009) beruhen, war von September 1949 an zusammen mit dem Fotografen für ein halbes Jahr in Südamerika unterwegs.
Nachdem Isherwood bereits im zweiten Absatz seines Buches Caskey als schnarchenden Langschläfer denunziert, legt er im dritten Absatz brachial nach: „Seine Freunde vergleichen ihn oft, durchaus nett gemeint, mit einem Schwein. Dem brauche ich nichts hinzuzufügen.“ Da haben sich die beiden gerade erst in New York eingeschifft und sind noch nicht einmal in Südamerika angekommen. Aber sie raufen sich das halbe Jahr über zusammen; ohne den jeweils anderen wird nichts aus dem Reisetagebuch, das ist ihnen klar. Und sie haben auch ihren Spaß miteinander, etwa bei der Verleihung von Titeln an die Schiffspassagiere in den Kategorien abscheulichstes Kind, peinlichste Frischverheiratete oder All-American Monster.
Die Verlagsbuchhandlung Liebeskind hat den Band nun in deutscher Übersetzung herausgebracht. Caskeys Fotografien spielen in dieser Ausgabe eine untergeordnete Rolle. Eine insofern richtige Entscheidung, als der literarische Wert dieses Reisetagebuchs, also Christopher Isherwoods Beitrag, um vieles höher ist als der fotografische von Bill Caskey.
Isherwood ist ein so phantasievoller wie präziser Beobachter – die bevorzugten Objekte seiner Neugier sind Menschen. Aus dem Verhalten eines Ehepaares beim Abendessen folgert er spekulativ, aber vollkommen nachvollziehbar deren gemeinsame Geschichte, er legt sich auch fest, warum die zwei diese Reise unternehmen. Mit großer Wahrscheinlichkeit sei es die Idee der Frau gewesen: „Sie ist entschlossen, sich zu amüsieren und ihn dazu zu bringen, sich auch zu amüsieren. Die Energie, mit der sie sich dieser Aufgabe widmet, ist wunderschön und anrührend.“ Und diene dazu, die Stimmung ihrer ersten Verliebtheit wiederherzustellen. Isherwood weiß, dass er und Caskey von den übrigen Passagieren auf dem Kreuzfahrtschiff, das sie nach Venezuela bringt, auf ähnliche Weise taxiert werden: „Wir gehören zu jener notwendigen Kategorie ,interessante Leute, die wir auf dem Schiff kennengelernt haben‘. Wir sind wie ,die Ruinen‘ und ,das kleine charmante Restaurant‘. Wir dürfen bei keiner Reise fehlen“, schätzt Isherwood das Urteil der anderen Menschen über sich und Caskey ein – und leitet daraus die eigene Rolle ab: „Unsere Pflicht ist es daher, merkwürdig zu sein. Nicht erschreckend merkwürdig. Das würde ihnen Angst machen.“ Wobei das Merkwürdige an Isherwood für viele Reisebekanntschaften mutmaßlich sein Stil, seine Bildung und Haltung sind, weil ihnen selbst das alles fremd ist.
Neben den Charakterstudien beschäftigen Christopher Isherwood in den Schilderungen seiner Erlebnisse und Recherchen immer wieder auch Überlegungen zu den Auswirkungen, zur Psychologie und zur Ethik des Reisens. Er schmäht ein Dorf in Kolumbien als „Parasitengemeinde“, weil die weißen Bewohner des Kurorts Touristen zu viel berechnen und die benachbarten Indios betrügen würden. Anhand der vielfach beklagten städtebaulichen Modernisierung von Cuzco denkt er zu Ende, was die Fürsprecher einer historisch authentischen Erhaltung letztlich fordern: „zum Vergnügen von Archäologen und romantisch gesinnten Touristen Tausende von Menschen zu einem Leben des Elends und der Krankheit zu verurteilen“.
Südamerika hat sich natürlich verändert in den Jahrzehnten seither, als Reiseanleitung taugt „Kondor und Kühe“ wohl nicht mehr – bezogen jedenfalls auf die besuchten Orte. Als Anleitung indessen, wie man reist, also wie man sich verhält in der Fremde, ist Isherwoods Tagebuch unverändert aktuell. Es handelt von Neugier, aber auch von Diskretion, von Manieren und von Selbstironie. Und davon, dass man unbedingt mit einem Kumpel zusammen aufbrechen sollte.
Christopher Isherwood: Kondor und Kühe. Ein südamerikanisches Reisetagebuch. Aus dem Englischen von Matthias Müller. Verlagsbuchhandlung Liebeskind, München 2013. 368 Seiten, 22Euro.