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"Wir teilen den Schmerz"

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Bundespräsident Joachin Gauck (re.) entschuldigte sich in einem Brief bei Russlands Präsident Putin.

Bundespräsident Joachim Gauck hat sich in einem Brief an den russischen Präsidenten Wladimir Putin für den Vernichtungskrieg der deutschen Wehrmacht gegen die Sowjetunion entschuldigt. Er könne nur „mit tiefer Trauer und mit Scham“ daran denken, schrieb Gauck. Anlass des Schreibens war der 70. Jahrestag der Befreiung Leningrads von deutscher Belagerung am 27.Januar 1944. „Deutschland ist sich seiner geschichtlichen Verantwortung für das Leid, das den Einwohnern Leningrads angetan wurde und für die brutale Kriegsführung seiner Soldaten, Einsatzgruppen und SS-Formationen bewusst“, schrieb Gauck. „Ich sage Ihnen und Ihrem Volk: Wir teilen den Schmerz um die Opfer, und wir fühlen mit den Überlebenden, die bis heute unter den Folgen des Krieges leiden.“

Die 871 Tage dauernde Belagerung von Leningrad gehörte zu den schwersten Kriegsverbrechen während des Zweiten Weltkriegs. Im September 1941 wurde die Stadt von deutschen Truppen umzingelt, aber nicht eingenommen, sondern bombardiert und systematisch ausgehungert. Geschätzte zwei Millionen Menschen, etwa die Hälfte von ihnen Soldaten der Roten Armee, kamen dabei um. Insgesamt starben in der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg etwa 27 Millionen Menschen.

„Das ungeheure Ausmaß des menschlichen Leids macht uns immer noch fassungslos“, schrieb Gauck an Putin. Aus Dokumenten wie den Tagebüchern der Schülerin Tatjana Sawitschewa, die während der Leningrader Blockade das Sterben ihrer gesamten Familie festhielt, „kennen wir die Schreie und die Tränen, die Verzweiflung und den endlosen Hunger und den Überlebenskampf der Eingeschlossenen“, so Gauck. Die Erinnerung an die Belagerung sei auch in Deutschland bis heute lebendig. „Allen gerecht denkenden Menschen steht sie für die verbrecherische Kriegsführung, welche die nationalsozialistische Führung gerade im Kampf gegen die Sowjetunion ganz bewusst betrieb.“

Gauck, der wegen der Verschleppung seines Vaters in einen Gulag, aber auch wegen der aktuellen Menschenrechtslage in Russland ein distanziertes Verhältnis zur russischen Regierung hat, betonte die deutsch-russische Versöhnung. Dem Vernehmen nach will er den Brief nicht in Bezug auf aktuelle Ereignisse verstanden wissen – etwa seine Entscheidung, nicht an der Olympiade in Sotschi teilzunehmen. Vielmehr gelte das Bekenntnis zu deutscher Schuld jenseits aller Tagespolitik.

Die Erinnerung an das Leid, das Deutsche Russen angetan haben, bleibe wachzuhalten. „Doch diese Erinnerungen helfen uns auch, jeden Schritt der deutsch-russischen Versöhnung besonders hoch einzuschätzen“, heißt es in dem Brief. Gegenseitiges Verstehen schaffe „neue Brücken“, Wahrheit und Menschenliebe könnten „Hass und Feindschaft“ überwinden, schreibt er. „In diesem Sinne wollen wir mit all unserer Kraft weiter an einem gemeinsamen Europa bauen. Dann können wir heute, trotz all der Erinnerung an das Böse und den Schrecken, mit Zuversicht in eine gemeinsame Zukunft des Friedens und der Sicherung unserer humanen Werte schauen.“

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