Die Freie Deutsche Jugend ist 62 Jahre alt, und sie heißt Heike mit Vornamen. Heike hat sich in die Flagge des revolutionären Freundschaftsbundes gewickelt, und so tänzelt sie an einem Samstag im Januar vergnügt über die Berliner Karl-Marx-Allee wie ein Medaillengewinner im Banner seines Landes. Ein Lied weht herbei, Heike stimmt ein – „...und der Zukunft zugewandt“. Als das Lied verklungen ist, sagt sie: „Haha, super, das ist die richtige Hymne.“
FDJ-Fahnen, Grenzbefestigungen und Schilder gehören aus der DDR gehören mittlerweile zum Inventar vieler Museen. Die ostdeutsche FDJ kämpft jetzt dafür, ihre Blauhemden weiterhin tragen zu dürfen.
Wer sich der Gegenwart zuwendet, der muss feststellen, dass es das Land von Heike nicht mehr gibt. Die DDR ist untergegangen, und damit gehört auch Heike zu den Verlierern der Geschichte, aber sie fühlt sich noch in der Niederlage überlegen. Womöglich, weil ein Teil der DDR überlebt hat und mit ihm die Hoffnung. „Ich will 120 werden, um die nächste Revolution noch mitzuerleben“, sagt Heike. Ihr nächster Satz verschwindet im Krach der restlichen FDJ-Delegation. Eine freie deutsche Rhythmusgruppe blechtrommelt für die Kameras des rbb. Ihnen ist es ernst, für den rbb ist es nur schöne Folklore für den Beitrag von der Liebknecht-Luxemburg-Demo.
So, wie es zwei deutsche Staaten gab, so gab es auch die Freie Deutsche Jugend in doppelter Ausführung. Die FDJ in Westdeutschland wurde am 16. Juli 1954 durch das Bundesverwaltungsgericht endgültig als verfassungswidrige Organisation eingestuft. Die ostdeutsche FDJ ist nie verboten worden. Sie zählte einmal mehr als zwei Millionen Mitglieder, heute sind es vermutlich etwas mehr als 100. Genaue Zahlen gibt der Zentralrat nicht heraus, und was immer und wen immer man fragt, es folgt stets recht zügig ein Verweis aufs Internet. Von der Webseite der FDJ kann man sich DDR-Geldscheine zum Ausdrucken laden oder einen Flyer. „Raus aus der BRD!“, fordert dieser und gleichsam ein „Zurück in die Zukunft“. Unterlegt ist die Forderung mit deutschen Farben sowie den aus FDJ-Sicht drei fehlenden Zutaten, als da sind Hammer, Zirkel, Ährenkranz.
Die westdeutsche FDJ wurde 1954 verboten, die ostdeutsche nie. Aber sie hat kaum noch Anhänger.
Vor 50 Jahren trat Heike der FDJ bei. Die Bluse, den Pionierausweis, die Auszeichnungen, das habe sie alles noch zu Hause, „das ist mein Leben, aber in die Bluse pass’ ich nicht mehr rein, da bin ich rausgewachsen“. Sie war es schon, als die Mauer fiel, und sie wurde nun unglücklich, denn „die DDR ist doch mein Vaterland“. Dieses Vaterland wollte und will sie nicht aufgeben, deswegen verteidigt sie es nun post mortem, im Unterstützerkreis der FDJ.
Der Demonstrationszug hat sich nach Lichtenberg vorgeschoben. Passanten lassen von der MLKP bis zur DKP alle möglichen Parteienblöcke ungerührt vorüberziehen, bei der FDJ aber verschiebt sich ihr Blick. Sie gucken so, als hätten sie gerade ein süßes Katzenvideo gesehen oder einen unanständigen Witz gehört oder als hätten sie einfach nur: Mitleid. Die FDJ versucht es nun mit einer Rechts-Links-Kombination. Erst kommt der Sprechchor „Was will ich, was willst Du? Das Verbot der CSU!“, dann kommt ein Brecht-Eisler-Gesang. Ein Rentner mit Schiebermütze wippt mit dem Fuß und nickt. Recht hamse.
Die DDR ist dermaßen untergegangen, dass die FDJ selbst für den Klassenfeind jeden Schrecken verloren hat. Wenn man Heike dann sinngemäß fragt, ob sie den Ährenkranz nicht ein bisschen zu fest aufgesetzt habe und ob sie es verstehe, wenn man ihren fortwährenden Kampf ein wenig befremdlich finde, dann sagt sie ungetrübt: „Na klar, Ihnen ist in der Schule doch viel Scheiß erzählt worden, da finde ich’s gut, wenn man fragt.“
Also, dann fragen wir mal: Ist das nicht ein nettes System, das sie hier demonstrieren lässt? In der DDR war das für politisch Andersdenkende ja nicht so leicht. „Na, die haben damals schon ganz schön Sabotage betrieben gegen die Arbeiter- und Bauernmacht, und das musste bestraft werden.“ Ist Ihnen womöglich auch Scheiß erzählt worden, damals, in der Schule? „Das weiß ich nicht.“ Was fanden Sie denn gut an der DDR? „Dass die NVA keine Kriege im Ausland geführt hat. Und Marx, das Ende der Ausbeutung.“
Kriegstreiberei, so lautet der Hauptvorwurf der FDJ-ler gegen den Staat, in dem sie leben, und wohin diese führen kann, das hat German L. 2012 zum Jahrestag des Mauerbaus auf einem Transparent zeigen wollen. „Erst die DDR kassieren / Heute Europa diktieren / Morgen gegen die Welt marschieren“, war da zu lesen, und nun müssen sich German L. und Michael W. vor dem Amtsgericht Tiergarten verantworten. Nicht, weil sie der BRD das Streben nach Weltherrschaft unterstellten – sondern, weil sie dabei blaue Hemden mit dem Symbol der FDJ trugen.
Im Strafbefehl wird dem Studenten L. unter anderem vorgeworfen, Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation getragen zu haben – das Wappen der FDJ (Ost) sei dem der FDJ (West) nun mal „zum Verwechseln ähnlich“. L. hingegen erinnert sich, wie die Polizei bei der Transparent-Aktion zwar einen Platzverweis ausgesprochen und die Personalien aufgenommen habe, aber „auf die Hemden hat sie uns überhaupt nicht angesprochen, das wurde dann erst vom Staatsapparat konstruiert“.
Ein Verbot von Symbolen der DDR wird immer wieder einmal gefordert, zuletzt und nicht das erste Mal von Hubertus Knabe, dem Leiter der Stasi-Opfer-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Bei Blauhemden verweisen Strafrechtler in einem zuweilen wortreichen Kommt-drauf-an auf den Erklärungsgehalt dieser. Verkürzt: Trägt einer ein FDJ-Hemd, weil er Feind des Staates und seiner Verfassung ist, kann er belangt werden. Trägt er es, weil er auf einer Ostalgie-Party einen billigen Lacher ziehen möchte, wird er die Strafverfolgung nicht fürchten müssen.
Die Hemden sind legal oder auch nicht: Im ostalgischen Kontext eher ja, als Botschaft eher nein
German L. ist kein Typ für eine Ostalgie-Party, er trägt das Hemd als Bekenntnis zu einer höheren Sache. Ein Verbot der Symbole der FDJ, sagt L., käme einem Verbot der Organisation faktisch gleich. Deswegen sei seine Haltung: „Ich darf das Hemd anziehen.“ Also zog er es an, zum Prozessauftakt im vergangenen Sommer. Es gab schon an der Eingangsschleuse einen Eklat, Polizisten hätten ihn festgenommen und „an die Wand geknallt“. Auch seine Anwältin sei „hart angegangen“ worden, obwohl sie sich als Rechtsbeistand hätte ausweisen können. Einen abgelehnten Befangenheitsantrag später hätte der Prozess im Februar fortgesetzt werden sollen, von Amts wegen wurde dies auf Anfang April verschoben. L. drohen 90 Tagessätze zu je 30 Euro – ist es das wert, könnte man nicht auch ein anderes Hemd anziehen und unter anderer Flagge dieselben Ziele weiterverfolgen? Das, sagt L., wäre nun wirklich ein Verrat an der Geschichte – er meint das nicht umfassend, er meint jene der FDJ.
FDJ-Fahnen, Grenzbefestigungen und Schilder gehören aus der DDR gehören mittlerweile zum Inventar vieler Museen. Die ostdeutsche FDJ kämpft jetzt dafür, ihre Blauhemden weiterhin tragen zu dürfen.
Wer sich der Gegenwart zuwendet, der muss feststellen, dass es das Land von Heike nicht mehr gibt. Die DDR ist untergegangen, und damit gehört auch Heike zu den Verlierern der Geschichte, aber sie fühlt sich noch in der Niederlage überlegen. Womöglich, weil ein Teil der DDR überlebt hat und mit ihm die Hoffnung. „Ich will 120 werden, um die nächste Revolution noch mitzuerleben“, sagt Heike. Ihr nächster Satz verschwindet im Krach der restlichen FDJ-Delegation. Eine freie deutsche Rhythmusgruppe blechtrommelt für die Kameras des rbb. Ihnen ist es ernst, für den rbb ist es nur schöne Folklore für den Beitrag von der Liebknecht-Luxemburg-Demo.
So, wie es zwei deutsche Staaten gab, so gab es auch die Freie Deutsche Jugend in doppelter Ausführung. Die FDJ in Westdeutschland wurde am 16. Juli 1954 durch das Bundesverwaltungsgericht endgültig als verfassungswidrige Organisation eingestuft. Die ostdeutsche FDJ ist nie verboten worden. Sie zählte einmal mehr als zwei Millionen Mitglieder, heute sind es vermutlich etwas mehr als 100. Genaue Zahlen gibt der Zentralrat nicht heraus, und was immer und wen immer man fragt, es folgt stets recht zügig ein Verweis aufs Internet. Von der Webseite der FDJ kann man sich DDR-Geldscheine zum Ausdrucken laden oder einen Flyer. „Raus aus der BRD!“, fordert dieser und gleichsam ein „Zurück in die Zukunft“. Unterlegt ist die Forderung mit deutschen Farben sowie den aus FDJ-Sicht drei fehlenden Zutaten, als da sind Hammer, Zirkel, Ährenkranz.
Die westdeutsche FDJ wurde 1954 verboten, die ostdeutsche nie. Aber sie hat kaum noch Anhänger.
Vor 50 Jahren trat Heike der FDJ bei. Die Bluse, den Pionierausweis, die Auszeichnungen, das habe sie alles noch zu Hause, „das ist mein Leben, aber in die Bluse pass’ ich nicht mehr rein, da bin ich rausgewachsen“. Sie war es schon, als die Mauer fiel, und sie wurde nun unglücklich, denn „die DDR ist doch mein Vaterland“. Dieses Vaterland wollte und will sie nicht aufgeben, deswegen verteidigt sie es nun post mortem, im Unterstützerkreis der FDJ.
Der Demonstrationszug hat sich nach Lichtenberg vorgeschoben. Passanten lassen von der MLKP bis zur DKP alle möglichen Parteienblöcke ungerührt vorüberziehen, bei der FDJ aber verschiebt sich ihr Blick. Sie gucken so, als hätten sie gerade ein süßes Katzenvideo gesehen oder einen unanständigen Witz gehört oder als hätten sie einfach nur: Mitleid. Die FDJ versucht es nun mit einer Rechts-Links-Kombination. Erst kommt der Sprechchor „Was will ich, was willst Du? Das Verbot der CSU!“, dann kommt ein Brecht-Eisler-Gesang. Ein Rentner mit Schiebermütze wippt mit dem Fuß und nickt. Recht hamse.
Die DDR ist dermaßen untergegangen, dass die FDJ selbst für den Klassenfeind jeden Schrecken verloren hat. Wenn man Heike dann sinngemäß fragt, ob sie den Ährenkranz nicht ein bisschen zu fest aufgesetzt habe und ob sie es verstehe, wenn man ihren fortwährenden Kampf ein wenig befremdlich finde, dann sagt sie ungetrübt: „Na klar, Ihnen ist in der Schule doch viel Scheiß erzählt worden, da finde ich’s gut, wenn man fragt.“
Also, dann fragen wir mal: Ist das nicht ein nettes System, das sie hier demonstrieren lässt? In der DDR war das für politisch Andersdenkende ja nicht so leicht. „Na, die haben damals schon ganz schön Sabotage betrieben gegen die Arbeiter- und Bauernmacht, und das musste bestraft werden.“ Ist Ihnen womöglich auch Scheiß erzählt worden, damals, in der Schule? „Das weiß ich nicht.“ Was fanden Sie denn gut an der DDR? „Dass die NVA keine Kriege im Ausland geführt hat. Und Marx, das Ende der Ausbeutung.“
Kriegstreiberei, so lautet der Hauptvorwurf der FDJ-ler gegen den Staat, in dem sie leben, und wohin diese führen kann, das hat German L. 2012 zum Jahrestag des Mauerbaus auf einem Transparent zeigen wollen. „Erst die DDR kassieren / Heute Europa diktieren / Morgen gegen die Welt marschieren“, war da zu lesen, und nun müssen sich German L. und Michael W. vor dem Amtsgericht Tiergarten verantworten. Nicht, weil sie der BRD das Streben nach Weltherrschaft unterstellten – sondern, weil sie dabei blaue Hemden mit dem Symbol der FDJ trugen.
Im Strafbefehl wird dem Studenten L. unter anderem vorgeworfen, Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation getragen zu haben – das Wappen der FDJ (Ost) sei dem der FDJ (West) nun mal „zum Verwechseln ähnlich“. L. hingegen erinnert sich, wie die Polizei bei der Transparent-Aktion zwar einen Platzverweis ausgesprochen und die Personalien aufgenommen habe, aber „auf die Hemden hat sie uns überhaupt nicht angesprochen, das wurde dann erst vom Staatsapparat konstruiert“.
Ein Verbot von Symbolen der DDR wird immer wieder einmal gefordert, zuletzt und nicht das erste Mal von Hubertus Knabe, dem Leiter der Stasi-Opfer-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Bei Blauhemden verweisen Strafrechtler in einem zuweilen wortreichen Kommt-drauf-an auf den Erklärungsgehalt dieser. Verkürzt: Trägt einer ein FDJ-Hemd, weil er Feind des Staates und seiner Verfassung ist, kann er belangt werden. Trägt er es, weil er auf einer Ostalgie-Party einen billigen Lacher ziehen möchte, wird er die Strafverfolgung nicht fürchten müssen.
Die Hemden sind legal oder auch nicht: Im ostalgischen Kontext eher ja, als Botschaft eher nein
German L. ist kein Typ für eine Ostalgie-Party, er trägt das Hemd als Bekenntnis zu einer höheren Sache. Ein Verbot der Symbole der FDJ, sagt L., käme einem Verbot der Organisation faktisch gleich. Deswegen sei seine Haltung: „Ich darf das Hemd anziehen.“ Also zog er es an, zum Prozessauftakt im vergangenen Sommer. Es gab schon an der Eingangsschleuse einen Eklat, Polizisten hätten ihn festgenommen und „an die Wand geknallt“. Auch seine Anwältin sei „hart angegangen“ worden, obwohl sie sich als Rechtsbeistand hätte ausweisen können. Einen abgelehnten Befangenheitsantrag später hätte der Prozess im Februar fortgesetzt werden sollen, von Amts wegen wurde dies auf Anfang April verschoben. L. drohen 90 Tagessätze zu je 30 Euro – ist es das wert, könnte man nicht auch ein anderes Hemd anziehen und unter anderer Flagge dieselben Ziele weiterverfolgen? Das, sagt L., wäre nun wirklich ein Verrat an der Geschichte – er meint das nicht umfassend, er meint jene der FDJ.