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Masken der Wut

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Am Wochenende war fast alles wie immer im Carnaval do Rio. Heiß, feucht, laut, voll. Und die meisten Menschen waren gut gelaunt. Die Party hat ja längst begonnen, mit diesem und den anderen Festen soll das brasilianische Schicksalsjahr 2014 endlich in Schwung kommen. Am Samstag und Sonntag zogen eine Million Menschen durch Rio de Janeiro zu den Blocos, den Ungetümen von Tanz und Musik des Straßenkarnevals. Allein die Sängerin Preta Gil und ihre beiden Tríos elétricos, diese rollenden Bühnen, zogen eine halb Millionen Anhänger an. Im Zentrum zugange war auch die Gruppe Fogo e Paixão, Feuer und Leidenschaft, und am Botanischen Garten in Sichtweite der Jesus-Figur am Corcovado traf sich die Riege Suvaco do Cristo, Christus’ Achselhöhle.



Der Karneval in Rio wird von Protesten gegen die WM in Brasilien begleitet

Im südlichen Strandviertel Ipanema empfing die Combo mit dem schönen Motto „Simpatia é Quase Amor“, Sympathie ist praktisch Liebe. Die für WM und Olympia umzubauende Hafengegend im Norden belebten die Escravos da Mauá, die Sklaven von Mauá, eine farbige Hommage an die afrikanischen Zwangsarbeiter von einst.

Getrunken wurde reichlich, mit den üblichen Folgen. Das städtische Ministerium für öffentliche Ordnung ließ 116 Straßenpinkler festnehmen, darunter laut des Medienhauses Globo „22 Frauen und einen Ausländer”. Urbanes Urinieren jenseits von Toiletten ist in Brasilien ebenso verboten wie Autofahren mit auch nur einem Hauch von Alkohol. Die Pinkelstrafe pro Person betrug 157 Reais. Das sind, obwohl die Nationalwährung kriselt, immer noch knapp 50 Euro. Nach der Feier wurden Tonnen von Müll eingesammelt.

Ärger gab es beim Großauftritt von Preta Gil, Tochter des Barden Gilberto Gil und verkleidet als Mulher Maravilha, Wunderfrau. Als im Gewühl auf der Avenida Rio Branco eine Schlägerei entbrannte, musste der Zug kurz anhalten, und Preta Gil rief: „Ihr wollt anderen die Festa vermiesen. Filmt sie, Leute! Das sind dieselben, die für den Tod von Santiago verantwortlich sind. Wenn es noch so einen Streit gibt, dann mache ich nicht weiter. Wir lieben den Nächsten und akzeptieren Unterschiede.”

Die Episode erinnerte dann doch ein wenig an die unerfreulichen Wochen zuvor. Der genannte „Santiago“ war der Kameramann Santiago Andrade vom Fernsehsender TV Bandeirantes, getötet am 6. Februar in der Innenstadt von Rio de Janeiro. Andrade filmte Demonstrationen gegen die Erhöhungen der Buspreise auf drei Reais, ungefähr 90 Cents. Ein Feuerwerkskörper traf den Journalisten am Kopf, er erlag im Krankenhaus seinen Hirnverletzungen. Als Täter wurden zwei Demonstranten verhaftet, die den zerstörungswütigen Black-Blocks zugerechnet werden. Allerdings richtet sich mancher Verdacht auch gegen Politiker und Militärpolizisten. Regierungsnahe Kräfte scheinen seit Monaten bemüht zu sein, dem vornehmlich friedlichen Widerstand gegen Korruption, Verschwendung, Polizeigewalt und auch gegen die Fußball-WM das Image des Vandalismus zu verpassen. Das soll auch hartes Zugreifen gegen Protestierer rechtfertigen. Dabei sind die Uniformierten selbst, die manchmal brutal zu Werke gehen, ein bedeutender Teil des Problems.

Neue Tarife im miserabel funktionierenden Nahverkehr hatten den brasilianischen Volkszorn 2013 zunächst in São Paulo geweckt, die folgende staatliche Repression fachte die Wut erst so richtig an. Bald richteten sich riesige Kundgebungen auch gegen die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele 2016 in Rio, für die Milliarden ausgegeben und ganze Stadtteile umgegraben werden, während nebenan Schulen und Krankenhäuser verlottern. Obendrein ist man beim Bau der absurd überteuerten Stadien im Verzug, und bei den Arbeiten sterben immer wieder Handwerker. „Não vai ter copa” war der Schlachtruf bei Protesten gegen das Turnier, „es wird keine WM geben.“ Bei Umzügen in Rio wurde nun ein Plakat mit dieser Aufschrift gesichtet: „Es wird Karneval geben, aber keine WM.“

Natürlich wird es vom 12. Juni bis zum 13. Juli trotz allen Ärgers diese WM geben. Und der Karneval ist bereits in vollem Gange, einige Teilnehmer bringen beide Großveranstaltungen sogar zusammen. „Imagina na copa“, steht auf T-Shirts, „stell’ dir das bei der WM vor.“ Der beliebte Spruch fasst die Erwartung zusammen, dass sich das Durcheinander in der Vorbereitung nach dem Anpfiff des Turniers fortsetzt. Pessimisten halten das für wahrscheinlich, Optimisten vertrauen auf die einheimische Improvisationskunst. Gewöhnlich findet sich in Brasilien immer ein „jeito“, ein geschmeidiger Ausweg und Trick.

Jedenfalls hält sich Rios WM-Begeisterung auffällig in Grenzen. Auch bei den Umzügen der zwölf besten Sambaschulen am Sonntag im Sambódromo wird Fußball hauptsächlich auf den Tribünen eine Rolle spielen: Sponsoren von Vip-Logen werben damit. Die Unidos da Tijuca, die vor einem Jahr Deutschland zum Thema hatten, widmen sich dagegen dem 1994 verunglückten Rennfahrer Ayrton Senna.

Karneval, das sind Tage mit viel Bier und viel Schnaps. Und trotzdem ist am Rande der Umzüge immer wieder der Volkszorn zu spüren. Eine Bürgerbewegung wider WM und Olympia erfand eine Vereinigung namens „Ocupa Carnaval“. Man hört von Witzen wie: „Gib‘ mir Essig!“ Denn Essig hilft gegen das Tränengas von Polizisten. Zu den beliebtesten Masken gehört jene des Maurers Amarildo de Souza. Er wurde im Juli 2013 während einer Polizeirazzia in der Favela Rocinha verschleppt und tauchte nie mehr auf. So wurde er zum Symbol für staatlichen Terror. Den Erlös aus dem Verkauf der Masken, die sein Gesicht zeigen, erhält seine Familie. Schon im November sangen Caetano Veloso und Marisa Monte beim Benefizkonzert: „Somos todos Amarildo.” Wir sind alle Amarildo.

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