Es geht hier wieder mal um den alten Mythos. Um den Mann, dem man einfach nur in die Augen schauen muss. Um den Filmhelden, der ein so unfassbares Charisma hat, dass es aus seinen Poren oder Pupillen direkt ins Zelluloid hineinstrahlt. Ohne Umwege, und von dort zurück auf die Zuschauer. Der Charaktertyp, der aus dem Telefonbuch nicht mal vorlesen muss. Sondern es nur zugeklappt in der Hand zu halten braucht, um alle irrezumachen.
Benedict Cumberbatch hier mal weder als Julian Assange noch als Sherlock Holmes
Aber nein – diesen unbedingten Zauber hat Benedict Cumberbatch gar nicht. Wenn er stumm im Bild herumsteht, dasitzt oder in die Kamera schaut, wirkt er oft bloß wie ein netter Student mit kleinen Augen. Gut aussehend, mit aristokratisch hoher Stirnpartie. Aber das ist unwichtig.
Das müssen wir betonen, weil dem Londoner Schauspieler seit einiger Zeit ja durchaus nachgesagt wird, mit dem magischen Blick gesegnet zu sein, mit dem unheimlichen Kino-Chromosom, für das andere Darsteller ihr Schauspielschul-Seelchen an den Teufel verkaufen würden. Um das einzulösen, muss Cumberbatch jedoch den Mund aufmachen. Nur einen kleinen Spalt weit, er raunt mehr. Einen Satz muss er sagen, maximal, dann passiert es. Dann ist Cumberbatch plötzlich der dämonische Oberlord, der Hypnosemann mit den giftigen Wangenknochen, dem die Kinoregisseure von Spielberg über J.J. Abrams bis Steve McQueen verfallen sind. Der sexy Fürst der Finsternis, der seinen eigenen weiblichen Fanclub hat. Cumberbitches nennen sich die Mitglieder.
Was er sagen muss? Einfache Sachen. „Hören Sie auf, mich zu langweilen, und denken Sie nach“, in seiner Paraderolle als neuer Best-Dressed Sherlock Holmes in der BBC-Serie. Oder, als Julian Assange im ansonsten wenig bedeutenden „Inside Wikileaks“-Film: „Wenn du die Wahrheit willst, geh selbst los und such sie. Genau davor haben die Angst. Vor dir.“ Natürlich darf man Cumberbatch nur im Original hören, gedämpft, geröllig, mit den harten, bildungsbürgerbritischen Konsonanten. Er klingt, als ob er mindestens so viel verschweigt, wie er sagt, die größten Geheimnisse nur beiläufig streift. Vor allem: Man muss ihn gleichzeitig sehen und hören, sonst kommt die Magie nicht, die ihn zu einem der derzeit heißesten Filmneulinge gemacht hat. Mit 37 Jahren.
Als Peter Jackson ihm die Rolle des computeranimierten Drachen Smaug im „Hobbit“ gab, ging es nicht nur ums Synchronsprechen. Cumberbatch spielte das Monster. Die Reptilienmimik, die schrecklichen Mundbewegungen, per Motion-Capture-Technik auf die Figur übertragen. Wer den Drachen sieht und hört, sieht und hört ihn.
Seit 2013 entkommt man Benedict Cumberbatch kaum mehr. Gerade war er im Oscar-Siegerfilm „12 Years A Slave“ dabei, als zwischen Konformismus und Empathie hin- und hergerissener Sklavenhalter, jetzt kommt John Wells’ „Im August in Osage County“ in die Kinos, in dem Cumberbatch neben Meryl Streep, Julia Roberts und Sam Shepard den verunglückten Jungspross der Großfamilie spielt. Beides keine allzu glänzenden Rollen. Umso größer war der Tumult, als die BBC im Januar die dritte „Sherlock“-Staffel brachte. Die vorigen Folgen waren in 180 Ländern gelaufen, stehen auf der Videoplattform Netflix, für eine derart regional verwurzelte Serie ein sensationeller Erfolg.
Das Komischste an einer Begegnung mit Benedict Cumberbatch ist, dass er im mutmaßlich echten Leben ganz ähnlich funktioniert wie im Kino. Er trägt einen grauen Cardigan über dem blassblauen Hemd, wirkt erst mal so transparent wie ein Schluck dünner Tee. Bedankt sich allzu umständlich, wenn die Bedienung ihm die Tasse hinstellt. Bis er mit seinem Monolog beginnt. Ungeprobt. Dann kommt man nicht mehr los von ihm.
„Meinen Vater zu erleben, wie er im Theater ,Noises Off‘ spielte“, sagt Benedict Cumberbatch, zutiefst beiläufig, abgrunddunkel dramatisch, auf die eigentlich nur dahergeplänkelte Frage, was ihn kulturell geprägt habe. „Meiner Mutter hinterherzuschauen, wenn sie durch den Vorhang auf die Bühne ging, und dabei die Lichter zu spüren, die Wärme des Publikums. ,Indiana Jones‘ zu sehen und wie er sein zu wollen. Im Krankenbett mit dem Zeichnen zu beginnen. Als Kind meine erste Oper im Radio zu hören und davon völlig zerzaust zu werden.“ Man will applaudieren.
Cumberbatch wuchs im weder zu feinen noch zu räudigen Londoner Stadtteil Hammersmith auf. Der Urgroßvater war Generalkonsul der Königin Victoria, der Opa hochdekorierter U-Boot-Offizier und Salonlöwe. Beide Eltern verdingten sich als Schauspieler, trotzdem drängten sie dem Sohn nichts auf, der erst Strafverteidiger werden wollte, dann doch auf der Schauspielschule landete und den langen Marsch durch die BBC-Kostümdramen antrat, als Stallbursche und blasser Landadliger. „Ich habe mich nie als die Art von Schauspieler gesehen, der bei der ersten Gelegenheit nach Los Angeles verduftet“, sagt Cumberbatch. „Freunde haben das gemacht, reisten zur TV-Pilotensaison, hingen am Pool herum, während ich in London Theater spielte. Ich dachte immer: Die Arbeit muss zu mir kommen.“
Als sie ihm den Gefallen tat, als die erste vernünftige Kinorolle in „Abbitte“ kam, war er schon 31. Den alles entscheidenden Sherlock spielte er noch mal drei Jahre später. International gesehen ist Cumberbatch ein Spätstarter, dafür rappelt es jetzt umso heftiger im Karton. Die nächsten Filme, in denen er neben Robert Pattinson, Gary Oldman und Keira Knightley vorne in den Credits steht, sind größere Kaliber mit US-Zuschnitt. Eine vierte „Sherlock“-Staffel wird kommen.
Es ist also Zeit, um noch einmal die Frage zu stellen: Was ist denn nun das Besondere an diesem Mann?„Ich glaube nicht an das Konzept von Gut und Böse“, sagt er. „Die einfache Einteilung in die Helden auf der einen Seite und die Übeltäter auf der anderen, der man noch so oft begegnet, kommt mir äußerst gestrig vor.“ Schauspieler sind oft schlecht darin, die eigene künstlerische Person zu reflektieren, aber besser als Cumberbatch kann man es nicht sagen: Er, der so niedliche, so gefährliche Mann, ist natürlich die Bestbesetzung für die Assanges und Whisteblower, die innerlich verwundeten „Star Trek“-Monster, all die hybriden, klugen, bösen, wahnsinnig widersprüchlichen Protagonisten, ohne die heutige Erzählformate – in einer Gegenwart der Langzeitserien und exponentiell beschleunigten Plot-Twists – nicht mehr funktionieren. Typen wie der Detektiv Sherlock, der bei aller Genialität selbst ein Mime ist. Ein Täuscher.
Wenn uns überhaupt jemand daran erinnert, an diesen dämonischen Kern der Schauspielerei, daran, dass sie im Jahr 2014 mehr denn je eine schwarze Kunst ist, dann er. Wenn einer heute gleichzeitig James Bond und den Bond-Schurken spielen könnte – dann ist es das alte Bübchen Benedict Cumberbatch.
Benedict Cumberbatch hier mal weder als Julian Assange noch als Sherlock Holmes
Aber nein – diesen unbedingten Zauber hat Benedict Cumberbatch gar nicht. Wenn er stumm im Bild herumsteht, dasitzt oder in die Kamera schaut, wirkt er oft bloß wie ein netter Student mit kleinen Augen. Gut aussehend, mit aristokratisch hoher Stirnpartie. Aber das ist unwichtig.
Das müssen wir betonen, weil dem Londoner Schauspieler seit einiger Zeit ja durchaus nachgesagt wird, mit dem magischen Blick gesegnet zu sein, mit dem unheimlichen Kino-Chromosom, für das andere Darsteller ihr Schauspielschul-Seelchen an den Teufel verkaufen würden. Um das einzulösen, muss Cumberbatch jedoch den Mund aufmachen. Nur einen kleinen Spalt weit, er raunt mehr. Einen Satz muss er sagen, maximal, dann passiert es. Dann ist Cumberbatch plötzlich der dämonische Oberlord, der Hypnosemann mit den giftigen Wangenknochen, dem die Kinoregisseure von Spielberg über J.J. Abrams bis Steve McQueen verfallen sind. Der sexy Fürst der Finsternis, der seinen eigenen weiblichen Fanclub hat. Cumberbitches nennen sich die Mitglieder.
Was er sagen muss? Einfache Sachen. „Hören Sie auf, mich zu langweilen, und denken Sie nach“, in seiner Paraderolle als neuer Best-Dressed Sherlock Holmes in der BBC-Serie. Oder, als Julian Assange im ansonsten wenig bedeutenden „Inside Wikileaks“-Film: „Wenn du die Wahrheit willst, geh selbst los und such sie. Genau davor haben die Angst. Vor dir.“ Natürlich darf man Cumberbatch nur im Original hören, gedämpft, geröllig, mit den harten, bildungsbürgerbritischen Konsonanten. Er klingt, als ob er mindestens so viel verschweigt, wie er sagt, die größten Geheimnisse nur beiläufig streift. Vor allem: Man muss ihn gleichzeitig sehen und hören, sonst kommt die Magie nicht, die ihn zu einem der derzeit heißesten Filmneulinge gemacht hat. Mit 37 Jahren.
Als Peter Jackson ihm die Rolle des computeranimierten Drachen Smaug im „Hobbit“ gab, ging es nicht nur ums Synchronsprechen. Cumberbatch spielte das Monster. Die Reptilienmimik, die schrecklichen Mundbewegungen, per Motion-Capture-Technik auf die Figur übertragen. Wer den Drachen sieht und hört, sieht und hört ihn.
Seit 2013 entkommt man Benedict Cumberbatch kaum mehr. Gerade war er im Oscar-Siegerfilm „12 Years A Slave“ dabei, als zwischen Konformismus und Empathie hin- und hergerissener Sklavenhalter, jetzt kommt John Wells’ „Im August in Osage County“ in die Kinos, in dem Cumberbatch neben Meryl Streep, Julia Roberts und Sam Shepard den verunglückten Jungspross der Großfamilie spielt. Beides keine allzu glänzenden Rollen. Umso größer war der Tumult, als die BBC im Januar die dritte „Sherlock“-Staffel brachte. Die vorigen Folgen waren in 180 Ländern gelaufen, stehen auf der Videoplattform Netflix, für eine derart regional verwurzelte Serie ein sensationeller Erfolg.
Das Komischste an einer Begegnung mit Benedict Cumberbatch ist, dass er im mutmaßlich echten Leben ganz ähnlich funktioniert wie im Kino. Er trägt einen grauen Cardigan über dem blassblauen Hemd, wirkt erst mal so transparent wie ein Schluck dünner Tee. Bedankt sich allzu umständlich, wenn die Bedienung ihm die Tasse hinstellt. Bis er mit seinem Monolog beginnt. Ungeprobt. Dann kommt man nicht mehr los von ihm.
„Meinen Vater zu erleben, wie er im Theater ,Noises Off‘ spielte“, sagt Benedict Cumberbatch, zutiefst beiläufig, abgrunddunkel dramatisch, auf die eigentlich nur dahergeplänkelte Frage, was ihn kulturell geprägt habe. „Meiner Mutter hinterherzuschauen, wenn sie durch den Vorhang auf die Bühne ging, und dabei die Lichter zu spüren, die Wärme des Publikums. ,Indiana Jones‘ zu sehen und wie er sein zu wollen. Im Krankenbett mit dem Zeichnen zu beginnen. Als Kind meine erste Oper im Radio zu hören und davon völlig zerzaust zu werden.“ Man will applaudieren.
Cumberbatch wuchs im weder zu feinen noch zu räudigen Londoner Stadtteil Hammersmith auf. Der Urgroßvater war Generalkonsul der Königin Victoria, der Opa hochdekorierter U-Boot-Offizier und Salonlöwe. Beide Eltern verdingten sich als Schauspieler, trotzdem drängten sie dem Sohn nichts auf, der erst Strafverteidiger werden wollte, dann doch auf der Schauspielschule landete und den langen Marsch durch die BBC-Kostümdramen antrat, als Stallbursche und blasser Landadliger. „Ich habe mich nie als die Art von Schauspieler gesehen, der bei der ersten Gelegenheit nach Los Angeles verduftet“, sagt Cumberbatch. „Freunde haben das gemacht, reisten zur TV-Pilotensaison, hingen am Pool herum, während ich in London Theater spielte. Ich dachte immer: Die Arbeit muss zu mir kommen.“
Als sie ihm den Gefallen tat, als die erste vernünftige Kinorolle in „Abbitte“ kam, war er schon 31. Den alles entscheidenden Sherlock spielte er noch mal drei Jahre später. International gesehen ist Cumberbatch ein Spätstarter, dafür rappelt es jetzt umso heftiger im Karton. Die nächsten Filme, in denen er neben Robert Pattinson, Gary Oldman und Keira Knightley vorne in den Credits steht, sind größere Kaliber mit US-Zuschnitt. Eine vierte „Sherlock“-Staffel wird kommen.
Es ist also Zeit, um noch einmal die Frage zu stellen: Was ist denn nun das Besondere an diesem Mann?„Ich glaube nicht an das Konzept von Gut und Böse“, sagt er. „Die einfache Einteilung in die Helden auf der einen Seite und die Übeltäter auf der anderen, der man noch so oft begegnet, kommt mir äußerst gestrig vor.“ Schauspieler sind oft schlecht darin, die eigene künstlerische Person zu reflektieren, aber besser als Cumberbatch kann man es nicht sagen: Er, der so niedliche, so gefährliche Mann, ist natürlich die Bestbesetzung für die Assanges und Whisteblower, die innerlich verwundeten „Star Trek“-Monster, all die hybriden, klugen, bösen, wahnsinnig widersprüchlichen Protagonisten, ohne die heutige Erzählformate – in einer Gegenwart der Langzeitserien und exponentiell beschleunigten Plot-Twists – nicht mehr funktionieren. Typen wie der Detektiv Sherlock, der bei aller Genialität selbst ein Mime ist. Ein Täuscher.
Wenn uns überhaupt jemand daran erinnert, an diesen dämonischen Kern der Schauspielerei, daran, dass sie im Jahr 2014 mehr denn je eine schwarze Kunst ist, dann er. Wenn einer heute gleichzeitig James Bond und den Bond-Schurken spielen könnte – dann ist es das alte Bübchen Benedict Cumberbatch.