Marine Le Pen ist süchtig. Nach Politik, nach Macht. Und nach Nikotin. Also kramt die blonde Frau während des Mittagessens eine Zigarette aus ihrer Tasche hervor. Die Vorsitzende von Frankreichs Front National (FN) braucht eine Pause, noch vor dem Dessert.
Die Rechtspopulistin Le Pen will 2017 in den Élysée-Palast
Eine knappe Stunde währt ihr Wortschwall nun schon. Sie hat geschimpft auf Frankreichs Eliten, „die das Land ruinieren“. Hat gewettert gegen den Euro, der ihre Nation „tötet“, und gegen die ganze EU, die Europas Völker knechte „wie einst die Sowjetunion“. Ihre Stimme tönt rau, fast heiser, aber so klingt sie immer. Den Teller vom Hauptgang schiebt Marine Le Pen beiseite, nur zwei, drei Bissen hat sie sich gegönnt vom rosa-zarten Magret de canard. Reden macht sie satt, nicht essen.
Während sie im „Macéo“, einem feinen Pariser Restaurant gleich hinterm Palais Royal, zur hellen Stuckdecke aufblickt, stützt sie ihr Kinn auf die rechte Hand. Natürlich weiß sie, dass in diesem verspiegelten Saal Rauchverbot herrscht. Aber sie ist vorbereitet: Zwischen ihren Fingern hält sie eine elektronische Zigarette, die wird in den Salons der Hauptstadt geduldet. Le Pen schließt die Augen, als sie das Gift einsaugt, das sie braucht.
So wie sie raucht, so betreibt Marine Le Pen auch Politik: in vollen Zügen, mit Leib und Seele – und nach den Regeln des Systems. Die 45-jährige FN-Chefin liebt Provokation und Polemik, lebt sich aus als begnadete Populistin, die die regierenden Sozialisten (PS) und die bürgerliche Opposition (UMP) in einen Topf wirft und als „das mafiöse System der UMPS“ schmäht. Aber anders als ihr bulliger Vater, der nach Prügeleien oder wegen antisemtischer Ausfälle wiederholt vor dem Kadi landete, agiert die Tochter streng gemäß der Handwerksordnung professioneller Politik: geschmeidig, bestens organisiert und mit einem messerscharfen Seitenblick auf die Umfragen. Le Pen, die Strategin, poltert nicht. Sie spricht leise, wägt ab, wirkt kühl wie das Speiseeis, das sie beim Gespräch mit dem Journalisten-Club „Europresse“ im Macéo zum Nachtisch löffelt: „Ich bin Realistin.“
Seitdem Marine Le Pen vor drei Jahren den Parteivorsitz vom Vater geerbt hat, versucht sie, den Front National zu einer halbwegs salonfähigen Partei zu machen. „Dédiabolisation“ (Entteufelung) heißt diese Imagekorrektur. FN-Kandidaten, die sich allzu offen rassistisch oder antisemitisch einlassen, werden abgestraft, kaltgestellt, ausgeschlossen. Vor zehn Jahren betrachteten noch zwei Drittel aller Franzosen den FN als „Gefahr für die Demokratie“, heute teilt nur noch jeder zweite Wähler diese Sorge.
Le Pen hat gesät. Nun will sie ernten. „2014 wird unser Jahr“, verkündete sie im Januar. Die zwei Wahlgänge der landesweiten Kommunalwahlen an diesem und am nächsten Wochenende – in Frankreich ein nationaler Stimmungstest, weit wichtiger als in Deutschland – sind ihre erste Etappe. Stärker denn je zieht der Front National in die Schlacht: In 596 Städten fand die rechtsextreme Partei genügend Kandidaten für eine Wahlliste, mehr denn je zuvor. Die zweite Etappe folgt im Mai, bei den Europawahlen. „Da werden wir die stärkste Partei im Land, das ist mein Ziel“, sagt die Marine Le Pen. Ihr Endziel liegt im Sommer 2017, dann sind Präsidentschaftswahlen: Da will sie erste Frau im Staate werden.
Stark wie nie fühlt sie sich. Denn hoch wie nie zuvor fallen die Prognosen für den ersten Wahlgang am Sonntag aus. Zwanzig, vielleicht sogar 25 Prozent wird der FN (zusammen mit dem Parteienbündnis „Marine-Blaue Sammlungsbewegung“, RBM) einfahren. Jeder fünfte, vielleicht sogar jeder vierte Franzose will laut Umfragen für die Rechtsextremen votieren. Nicolas Sarkozy hat sie genervt, François Hollande hat sie enttäuscht. Bauern, Handwerker, Arbeiter in den Elendsquartieren vor den Toren der Großstädte: In diesen Milieus des sozialen Niedergangs, so weiß der Soziologe Alain Mergier, hätten die Menschen die etablierten Parteien abgeschrieben – und der FN sei zu einer „normalen Partei“ geworden: „Was früher Proteststimmen waren, ist heute ein Votum aus Überzeugung.“
In zehn, vielleicht sogar in 15 Rathäusern wird der FN den Bürgermeister stellen. Auf der Liste von Le Pens „gewinnbaren Städten“ finden sich Orte, die deutsche Touristen von Urlaubsreisen in den Süden des Nachbarlandes kennen: Béziers, Perpignan, Sorgues, Carpentras, Fréjus, La-Seyne-sur-Mer. Andere Hochburgen liegen hoch im Norden, wo die Industrie weggebrochen ist und die Arbeitslosigkeit wuchert. In bis zu 300 Städten, so prophezeien Wahlforscher, dürfte der FN obendrein im ersten Wahlgang mehr als zehn Prozent der Stimmen erringen – und also bei der Stichwahl am 30.März, beim Duell zwischen Sozialisten und Konservativen, zum Mitspieler werden. So mehrt Le Pen ihren Einfluss. In Städten, wo ihre Parteigänger künftig mitreden, will sie die Polizei aufrüsten, den Zuzug von Ausländern stoppen, Sozialleistungen für Fremde kappen. „Franzosen zuerst“, das ist populär im dauerkriselnden Frankreich. Ihren Elan aber gewinnt Le Pen mit ätzenden Attacken gegen Frankreichs Establishment, gegen die „politische Klasse“ samt Bankern und Journalisten in Paris.
Sie kennt diese Kreise, hat sich in ihnen hochgekämpft. Am Lycée im feinen Pariser Vorort Saint-Cloud wurde sie als „Tochter eines Faschisten“ gehänselt. Später, beim Jurastudium, blieb sie unter Gleichgesinnten, engagierte sich in der Jugendbewegung des FN, heiratete zweimal rechtsextreme Parteifreunde. Ihr jetziger Lebenspartner ist zugleich Vizechef der Partei.
Als wahren Feind, als Quell aller französischen Misere aber nimmt sie Brüssel ins Visier. Europa, „dieses Projekt der Eliten“. Die E-Zigarette liegt abgeschaltet neben der Kaffeetasse, wieder redet sie sich in Wallung. Der Euro sei zu stark, zerstöre Frankreichs Exporte und Industrie. Sie will raus aus der gemeinsamen Währung, einen „neuen Franc“ im Kurs eins-zu-eins einführen, und dann – per Abwertung – Frankreichs Schuldenberg abschmelzen. Wie genau das klappen soll, bleibt unklar. Zweifel, gar Zwischenfragen duldet sie nicht. Notfalls müsse Frankreich ganz aus der EU austreten.
In ihrem Kopf hat sie den Plan. Alles fertig für den Tag, an dem es so weit ist. „Wenn ich an die Macht gelange...“, sagt sie in einem Nebensatz. Dabei denkt sie nicht an irgendein Rathaus. Sie meint den Élysée-Palast.
Die Rechtspopulistin Le Pen will 2017 in den Élysée-Palast
Eine knappe Stunde währt ihr Wortschwall nun schon. Sie hat geschimpft auf Frankreichs Eliten, „die das Land ruinieren“. Hat gewettert gegen den Euro, der ihre Nation „tötet“, und gegen die ganze EU, die Europas Völker knechte „wie einst die Sowjetunion“. Ihre Stimme tönt rau, fast heiser, aber so klingt sie immer. Den Teller vom Hauptgang schiebt Marine Le Pen beiseite, nur zwei, drei Bissen hat sie sich gegönnt vom rosa-zarten Magret de canard. Reden macht sie satt, nicht essen.
Während sie im „Macéo“, einem feinen Pariser Restaurant gleich hinterm Palais Royal, zur hellen Stuckdecke aufblickt, stützt sie ihr Kinn auf die rechte Hand. Natürlich weiß sie, dass in diesem verspiegelten Saal Rauchverbot herrscht. Aber sie ist vorbereitet: Zwischen ihren Fingern hält sie eine elektronische Zigarette, die wird in den Salons der Hauptstadt geduldet. Le Pen schließt die Augen, als sie das Gift einsaugt, das sie braucht.
So wie sie raucht, so betreibt Marine Le Pen auch Politik: in vollen Zügen, mit Leib und Seele – und nach den Regeln des Systems. Die 45-jährige FN-Chefin liebt Provokation und Polemik, lebt sich aus als begnadete Populistin, die die regierenden Sozialisten (PS) und die bürgerliche Opposition (UMP) in einen Topf wirft und als „das mafiöse System der UMPS“ schmäht. Aber anders als ihr bulliger Vater, der nach Prügeleien oder wegen antisemtischer Ausfälle wiederholt vor dem Kadi landete, agiert die Tochter streng gemäß der Handwerksordnung professioneller Politik: geschmeidig, bestens organisiert und mit einem messerscharfen Seitenblick auf die Umfragen. Le Pen, die Strategin, poltert nicht. Sie spricht leise, wägt ab, wirkt kühl wie das Speiseeis, das sie beim Gespräch mit dem Journalisten-Club „Europresse“ im Macéo zum Nachtisch löffelt: „Ich bin Realistin.“
Seitdem Marine Le Pen vor drei Jahren den Parteivorsitz vom Vater geerbt hat, versucht sie, den Front National zu einer halbwegs salonfähigen Partei zu machen. „Dédiabolisation“ (Entteufelung) heißt diese Imagekorrektur. FN-Kandidaten, die sich allzu offen rassistisch oder antisemitisch einlassen, werden abgestraft, kaltgestellt, ausgeschlossen. Vor zehn Jahren betrachteten noch zwei Drittel aller Franzosen den FN als „Gefahr für die Demokratie“, heute teilt nur noch jeder zweite Wähler diese Sorge.
Le Pen hat gesät. Nun will sie ernten. „2014 wird unser Jahr“, verkündete sie im Januar. Die zwei Wahlgänge der landesweiten Kommunalwahlen an diesem und am nächsten Wochenende – in Frankreich ein nationaler Stimmungstest, weit wichtiger als in Deutschland – sind ihre erste Etappe. Stärker denn je zieht der Front National in die Schlacht: In 596 Städten fand die rechtsextreme Partei genügend Kandidaten für eine Wahlliste, mehr denn je zuvor. Die zweite Etappe folgt im Mai, bei den Europawahlen. „Da werden wir die stärkste Partei im Land, das ist mein Ziel“, sagt die Marine Le Pen. Ihr Endziel liegt im Sommer 2017, dann sind Präsidentschaftswahlen: Da will sie erste Frau im Staate werden.
Stark wie nie fühlt sie sich. Denn hoch wie nie zuvor fallen die Prognosen für den ersten Wahlgang am Sonntag aus. Zwanzig, vielleicht sogar 25 Prozent wird der FN (zusammen mit dem Parteienbündnis „Marine-Blaue Sammlungsbewegung“, RBM) einfahren. Jeder fünfte, vielleicht sogar jeder vierte Franzose will laut Umfragen für die Rechtsextremen votieren. Nicolas Sarkozy hat sie genervt, François Hollande hat sie enttäuscht. Bauern, Handwerker, Arbeiter in den Elendsquartieren vor den Toren der Großstädte: In diesen Milieus des sozialen Niedergangs, so weiß der Soziologe Alain Mergier, hätten die Menschen die etablierten Parteien abgeschrieben – und der FN sei zu einer „normalen Partei“ geworden: „Was früher Proteststimmen waren, ist heute ein Votum aus Überzeugung.“
In zehn, vielleicht sogar in 15 Rathäusern wird der FN den Bürgermeister stellen. Auf der Liste von Le Pens „gewinnbaren Städten“ finden sich Orte, die deutsche Touristen von Urlaubsreisen in den Süden des Nachbarlandes kennen: Béziers, Perpignan, Sorgues, Carpentras, Fréjus, La-Seyne-sur-Mer. Andere Hochburgen liegen hoch im Norden, wo die Industrie weggebrochen ist und die Arbeitslosigkeit wuchert. In bis zu 300 Städten, so prophezeien Wahlforscher, dürfte der FN obendrein im ersten Wahlgang mehr als zehn Prozent der Stimmen erringen – und also bei der Stichwahl am 30.März, beim Duell zwischen Sozialisten und Konservativen, zum Mitspieler werden. So mehrt Le Pen ihren Einfluss. In Städten, wo ihre Parteigänger künftig mitreden, will sie die Polizei aufrüsten, den Zuzug von Ausländern stoppen, Sozialleistungen für Fremde kappen. „Franzosen zuerst“, das ist populär im dauerkriselnden Frankreich. Ihren Elan aber gewinnt Le Pen mit ätzenden Attacken gegen Frankreichs Establishment, gegen die „politische Klasse“ samt Bankern und Journalisten in Paris.
Sie kennt diese Kreise, hat sich in ihnen hochgekämpft. Am Lycée im feinen Pariser Vorort Saint-Cloud wurde sie als „Tochter eines Faschisten“ gehänselt. Später, beim Jurastudium, blieb sie unter Gleichgesinnten, engagierte sich in der Jugendbewegung des FN, heiratete zweimal rechtsextreme Parteifreunde. Ihr jetziger Lebenspartner ist zugleich Vizechef der Partei.
Als wahren Feind, als Quell aller französischen Misere aber nimmt sie Brüssel ins Visier. Europa, „dieses Projekt der Eliten“. Die E-Zigarette liegt abgeschaltet neben der Kaffeetasse, wieder redet sie sich in Wallung. Der Euro sei zu stark, zerstöre Frankreichs Exporte und Industrie. Sie will raus aus der gemeinsamen Währung, einen „neuen Franc“ im Kurs eins-zu-eins einführen, und dann – per Abwertung – Frankreichs Schuldenberg abschmelzen. Wie genau das klappen soll, bleibt unklar. Zweifel, gar Zwischenfragen duldet sie nicht. Notfalls müsse Frankreich ganz aus der EU austreten.
In ihrem Kopf hat sie den Plan. Alles fertig für den Tag, an dem es so weit ist. „Wenn ich an die Macht gelange...“, sagt sie in einem Nebensatz. Dabei denkt sie nicht an irgendein Rathaus. Sie meint den Élysée-Palast.