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Feige Rhetorik

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Der sogenannte Gast-Arbeiter war die illusionäre Figur der Arbeitsmigration in den Sechzigerjahren, die Fiktion des fremden Arbeitenden, der eine gewisse Zeit – eben als Gast – in unserem Land lebt und nach getaner Arbeit in seine Heimat zurückkehrt. Die Folgen dieser Denkfigur waren katastrophal und sind immer noch zu spüren: mangelhafte Integrations-Angebote einerseits, unzureichender Integrations-Wille andererseits.




Wenn dieser Mann hier in Melilla, Spanien, über die Grenze kommt und sich in Europa fest ansiedelt, wie nennen wir ihn dann?

Eine „Willkommenskultur“, wie das verlogen klingende Wort heißt, existierte nicht oder war zumindest kaum entwickelt, vor allem nicht in der Wirtschaft. Für Gesellschaft und Politik stellte sich jedenfalls die Aufgabe, mit diesen Problemen fertig zu werden. Woran die Politik seither auch tapfer und volksaufklärend gearbeitet hat. Sie hat das gastfeindliche Umfeld daran gewöhnt zu begreifen, dass keine Gäste, sondern Einwanderer gekommen waren; dass immer noch mehr kommen würden; und dass sie gut für das Land sind. Die junge Generation hat die Einwanderung, wenn ich das richtig sehe, sogar als eine Selbstverständlichkeit verinnerlicht. Deutschland wird inzwischen als Einwanderungsland betrachtet.

Aber es scheint mir auch, als habe das Land nun doch wieder Angst vor der eigenen Courage. Es spricht nämlich immer weniger von EINwanderung, und immer mehr von ZUwanderung. Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung zum Beispiel – immerhin ein Text, der zwei Drittel der deutschen Wählerschaft repräsentiert – kommen die Worte Einwanderer und Einwanderung nicht vor, nur Zuwanderer und Zuwanderung.

Wo ist denn da der große Unterschied, mag man sich fragen. Es ist doch nun wirklich einerlei, wie man es nennt, wir wissen schließlich alle, was gemeint ist. Es ist aber niemals egal, wie das Gemeinte genannt wird. Die Sprache präsentiert die Menschen, Gegenstände und Vorgänge, auf die sie sich bezieht, nämlich immer auf eine bestimmte Art und Weise. Und diese Art und Weise zeigt, was sie von ihnen hält. Daher rühren ja die semantischen Kämpfe um das richtige Wort. Ob ich eine Person Zigeuner oder Roma nenne, einen bestimmten Soldaten Rebell oder Freiheitskämpfer, ob ich denselben Vorgang Musik oder Krach nenne – all das ist schon ein Unterschied.

Und so ist es auch mit ZUwanderer und EINwanderer. Die Vorsilben „zu“ und „ein“ geben dem auf sie Folgenden (Verben und den von ihnen abgeleiteten Substantiven) eine deutlich andere Perspektive.

Der ZUgang ist etwas anderes als der EINgang, ZUflüstern ist etwas anderes als EINflüstern, ein ZUlauf etwas anderes als ein EINlauf und so weiter. Der Eingang führt ins Innere, der Zugang nur auf das Ziel hin, in seine Nähe, vielleicht sogar nur bis zum Eingang. Zuflüstern ist eine eher harmlose Aktivität, Einflüstern zielt auf das Innere. Die Wörter mit „Ein“ bezeichnen Vorgänge, Menschen und Dinge, die das Innere oder den Kern von etwas betreffen. „Zu“ führt nur an etwas heran, nicht in etwas hinein.

Der Zuwanderer kommt daher den Leuten nicht so nah wie der Einwanderer, er kommt nicht im Inneren des Landes an, sondern nur nahe an das Land heran, er bleibt gleichsam am Rande, so wie der Zugang eben bis ans Haus heranführt, aber nicht unbedingt in es hinein wie der Eingang. Ganz offensichtlich soll das im öffentlichen Diskurs jetzt präferierte Wort Zuwanderung abschwächen, was geschieht: Es gibt vor, die Wanderer kämen nicht wirklich im Inneren an, es möchte offensichtlich die EINwohner schonen und ihnen versichern, keine Angst haben zu müssen, weil die Wanderer ja gar nicht zu ihrem Zentrum vorstoßen. Zuwanderer ist also wieder ein Euphemismus – nur subtiler verlogen als Gastarbeiter, es ist ein politisch feiges Wort.

Es kommt schließlich darauf an, die Wanderer tatsächlich als Einwanderer zu begreifen und auch ehrlich so zu nennen. „Im-migrants“ heißen sie auch in den traditionellen Einwanderungsländern. Von „Ad-migrants“ hat man in Amerika noch nichts gehört. Die, die kommen, sollen dort hereinkommen, mitten hinein in die Vereinigten Staaten, das heißt sie sollen Amerikaner werden. Man will dort keine Ad-Migranten, die irgendwie an der Amerikanität dran, aber nicht in ihr drin sind.

Dass der feige Terminus Zuwanderer auch den Wanderern selbst die Distanz zu dem Land ermöglicht, in das sie einwandern, ist der andere fatale Aspekt des unglücklichen Wortes. Wer nur zuwandert, wandert nicht wirklich ein, er kommt zwar nahe, bleibt aber eher bei sich, als dass er mitten unter den Einwohnern gerät. So möchte das ja auch Herr Erdogan gern.

Oder ist Zuwanderung doch nicht politischer Feigheit, sondern eher historischem Feinsinn geschuldet? Passt das Wort vielleicht besser zu unserer schwierigen nationalen Identität? Können wir uns nach dem, was wir in unserer Geschichte angestellt haben, gar nicht vorstellen, dass irgendjemand wirklich in unser Innerstes hereinkommen will, wirklich einwandern will, wirklich Deutscher werden will? Wir können uns anscheinend nur Zuwanderer denken, solche, die uns zwar – aus welchen Gründen im Einzelfall auch immer – nahe kommen wollen, die aber nicht wirklich werden wollen wie wir.

Dann wäre das Wort eine subtile Konsequenz unserer Scham, Deutsche zu sein. Sofern unsere Sprache hier eine feine Differenzierung erlaubt, bezeichnet Zuwanderung vielleicht die einzige Nähe, die wir den nach Deutschland Wandernden zumuten wollen. Der – gegenüber den Einwohnern – feige Ausdruck wäre dann also eher ein feinsinniges Angebot an die Wanderer, uns eben nur so nahe zu kommen, wie sie es mächten. Wenn sie nur zuwandern wollen, so können wir das gut verstehen.

Wenn die Zuwanderer aber doch einwandern wollen, so wäre das eine Ehre für uns. Und es würde uns mit uns selbst versöhnen. Deswegen wäre es eben doch wichtig, gerade auch für uns selbst, Einwanderung und Einwanderer in unser Land auch so zu nennen.

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