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„An der Schwelle einer Ära“

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Budapest – Der Kossuth Lajos tér ist praktisch fertig – pünktlich zur Wahl. Vor Kurzem noch glich der Platz am neugotischen Parlament einem aufgerissenen Bauschlund, aber jetzt herrscht hier schönste Ordnung. Nur ein paar leere Betonsockel stauben im Wind, sie harren der Denkmäler, die dort noch aufgestellt werden. Alles soll hier wieder so aussehen wie vor 1944; der öffentliche Raum soll an die gute Zeit nach den Habsburgern erinnern, vor den Deutschen, vor den Russen – an die Ära von Reichsverweser Miklós Horthy also, der Ungarn in der Zwischenkriegszeit führte, als es unabhängig war. Als es noch nicht bedrängt war von europäischer Regelungswut und von multinationalen Finanzhaien, von kommunistischen und neoliberalen Ideologen im eigenen Land, von Skeptikern und Schlechtrednern und all jenen, die „Stimmung gegen Ungarn“ machen.



Der ungarische Premier könnte am Sonntag weiter dazugewinnen.

Diese Diktion klingt, für deutsche Ohren zumal, beängstigend. Aber so wirbt Ministerpräsident Viktor Orbán, der das Land seit 2010 mit einer Zweidrittelmehrheit regiert, für seine Politik. Auch auf dem Heldenplatz in Budapest, mitten im Wahlkampf 2014: „Ungarn wird wieder zu den erfolgreichen und stolzen Nationen zählen“, rief der Premier am Nationalfeiertag. Es stehe an „der Schwelle einer Ära, die es frei und stark“ macht. „Wir verhindern, dass wir von anderen beraubt werden.“ Ungarn schütze seine Familien vor „Monopolisten, Kartellen und imperialen Bürokraten“. Am vergangenen Wochenende dann das gleiche Bild: Orbán vor Hunderttausenden, aus dem ganzen Land mit Bussen herangekarrt, mit derselben Botschaft: Orbáns Regierungszeit werde als „Wunder“ eingehen in die Geschichte. Man habe die „halbe Welt gegen sich“ gehabt, aber „standgehalten“, sei „zu den christlichen Wurzeln zurückgekehrt“ und habe eine „Nation geeint, die zersplittert über das Karpatenbecken und rund um die Welt gewesen war“.

Den Heldenplatz soll bald schon ein gigantisches Museumsquartier schmücken, eine Krönung der nächsten Legislaturperiode. Aber zunächst einmal geht es jetzt um den 6. April, um die Sitze im Parlament. Der Kossuth Lajos tér ist, wie auch der Heldenplatz, ein Symbol für alles, wofür Orbán steht. Denn Geschichtspolitik ist bei Fidesz immer auch Kulturkampf. Deshalb kehrt auch das Denkmal des ungarischen Revolutionärs Lajos Kossuth hierher zurück, ein Held des Unabhängigkeitskampfes von 1848. Selbst Ferenc Kumin nimmt Bezug auf diesen Platz als „Analogie für vieles, das in den vergangenen vier Jahren politisch in Ungarn geschah“: Erst habe es „hysterische Kritik“ gegeben, nun aber, da alles so schön geworden sei, heiße es, „das hat die Regierung gut gemacht“.

Hat sie? Kumin ist Staatssekretär, Regierungssprecher und ein hyperflexibler Verteidiger jenes Mannes, der sich selbst lieber im Monolog vor dem Volk präsentiert als in der Auseinandersetzung mit Kritikern. Auch einem TV-Duell mit seinem Herausforderer, dem Sozialisten Attila Mesterházy, stellt sich Orbán nicht. Mesterházy sei kein würdiger Kandidat, lässt er ausrichten. Sein Sprecher Kumin begründet noch einmal mit der Geschichte, warum ein mächtiger Ministerpräsident, der eine „nationale Revolution“ vollbracht hat, nicht mit einem anderen Spitzenkandidaten im Fernsehen debattieren möchte: Es fehle „das Vertrauen“. Eine Partei wie die sozialistische, die 2006 die Proteste gegen ihre Politik niedergeknüppelt und sich weder personell noch ideologisch wirklich erneuert habe, sei als Ansprechpartner nicht vertrauenswürdig genug.

Andererseits: Fidesz hat, so scheint es jedenfalls, auch kaum Wahlkampf nötig. Die Umfragen sagen wieder einen Erdrutschsieg vorher, die Opposition ist schon im Vorfeld marginalisiert. Außerdem: Beim letzten Mal gab es für 53 Prozent der Stimmen zwei Drittel der Sitze. Mittlerweile ist das Wahlrecht – zum Teil aufgrund eines Urteils des Verfassungsgerichts – reformiert, das Mehrheitsprinzip zum Vorteil von Fidesz weiter gestärkt worden. Die Wahlkreise wurden neu zugeschnitten, es gibt nur noch einen Wahlgang, die Stimmverteilung wurde zugunsten der stärksten Partei revidiert. Nun braucht es für eine Zweidrittelmehrheit nur noch etwa 45 Prozent. Das sollte locker zu schaffen sein. Regierungskommunikator Kumin spricht schon mal entspannt von einer „Konsolidierungsphase“ nach den Wahlen. Schließlich sieht ja auch die Bilanz der vergangenen vier Jahre Orbán – aus dessen Sicht jedenfalls – super aus: Retter eines Landes vor dem Untergang. Das Defizitverfahren in Brüssel gestoppt. Das Wachstum beschleunigt. Den Schuldenberg abgebaut. Löhne und Renten angehoben. Fremdwährungskredite verbilligt. Eine neue Verfassung, ein neues Bildungssystem geschaffen. Ein neues Mediengesetz, ein neues Steuersystem eingeführt. Die Multis zurückgedrängt, per Sondersteuern jene geschröpft, die von Ungarns Niedergang am meisten profitiert haben. Eine Revolution an den Wahlurnen, danach ein Regimewechsel, ein echter Abschied vom Kommunismus und seinen Agenten, die Ungarn immer noch im Würgegriff hielten. An diesem Sonntag will Orbán erneut triumphieren und eine verfassungsändernde Mehrheit holen.
 
Aber da gibt es ja noch die Opposition, oder besser: zwei. Da ist das Parteienbündnis „Regierungswechsel“, das bis vor Kurzem noch „Zusammenschluss“ hieß und sich nach einem Gerichtsbeschluss umbenennen musste. Bis vor einigen Monaten hatte man noch hochfliegende Pläne: Kräfte bündeln, gemeinsame Listen aufstellen. Orbáns Lügengebäude niederreißen mitsamt seinen geschönten Finanzdaten, seinem erratischen Wirtschaftskurs, seiner europafeindlichen Haltung, seinem Demokratieabbau und seinem autokratischen Gehabe, seiner versteckten Korruption, seinem Griff nach den Pfründen des Staates – all das wollte man den Menschen sagen, um sie zu wecken.

Zum Bündnis gehören die MSZP mit Spitzenkandidat Mesterházy sowie Ex-Premier und Wirtschaftsfachmann Gordon Bajnai mit seiner Gruppierung „Gemeinsam 2014“, der zugunsten von Mesterházy auf die Spitzenkandidatur verzichtet hatte. Der selbst unter Linken verhasste Ex-Premier Ferenc Gyurcsány und zwei links-grüne Kleinparteien mischen auch mit.

Aber: Personalquerelen, ein Steuerskandal, ein nur brüchiger Frieden zwischen den Gruppierungen und eine auf Orbán zugeschnittene Medien- und Wahlkampflandschaft haben die hochfliegenden Blütenträume verkümmern lassen. Deshalb triumphiert – bisher halblaut, aber doch schon sehr bedrohlich – die andere Oppositionspartei, die in Umfragen mittlerweile auf bis zu 20 Prozent kommt und damit fast schon gleichauf mit dem Bündnis „Regierungswechsel“ liegt. Man erwarte bei der Wahl am Sonntag eine schöne „Überraschung“, heißt es bei der rechtsextremen Jobbik, die schon jetzt mit elf Prozent im Parlament vertreten ist.

Kurz vor der Wahl ist Jobbik-Chef Gábor Vona auf Reisen und unabkömmlich, er schickt den wortgewandten Abgeordneten Márton Gyöngyösi. Der hatte 2012 Schlagzeilen gemacht, als er forderte, die Doppelstaatsbürgerschaft aller Parlamentarier offenzulegen, die einen israelischen Pass hätten – also klarzumachen, wer Jude sei. Heute will er über den Vorwurf des Antisemitismus nicht mehr reden, auch Roma-feindlich sei seine Partei nicht. „Wir haben nur etwas gegen destruktive und negative Elemente in der Gesellschaft.“ Das seien Menschen, die glaubten, sie könnten von öffentlichem Geld leben und kriminell sein. Jobbik will, weil sie unter Horthy einst so effizient gewesen sei, eine Gendarmerie einführen, in der die Ungarische Garde aufgehen soll. Bei Horthy und seinen Meriten ist sich Ungarns Rechte ohnehin recht einig: Dies sei eine für Ungarn hocherfolgreiche Periode gewesen – sogar verlorene Gebiete habe man zurückerlangt, so Gyöngyösi. Dass sich Horthy mit den Nazis verbündete, Bürgerrechte beschnitt, unter ihm die Judenverfolgung begann – das ist für den Jobbik-Mann kein Thema.

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