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Rechte gegen Rechte, und alle gegen Washington

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In Georgia werden manche Menschen rot vor Wut im Gesicht, wenn man sie nur auf Präsident Barack Obama anspricht. Die Regierung in Washington? Frisst die Steuern der Bürger und gibt nichts zurück. „Arbeite härter: Millionen Sozialhilfeempfänger bauen auf Dich“, steht böse auf Aufklebern an Pick-Ups, oder: „Politiker sind wie Windeln, man muss sie häufig wechseln“. Georgia ist konservatives Stammland, tiefer Süden – Obama hat hier nie gewonnen. Für die republikanische Partei ist das eine bequeme Ausgangslage für die Kongresswahl im November. Niemand zweifelt daran, dass der für Georgia frei werdende Sitz im Senat wieder an einen Republikaner gehen wird.




Wo die Tea-Party Wahlkampf macht ist meist auch sie nicht weit: Sarah Palin

Die Frage ist nur: An was für einen Republikaner? An einen Rechtsaußen, der vor allem die Parteibasis anspricht, oder an einen gemäßigt Konservativen, der auch für Mitte-Wähler attraktiv ist? Der Kampf zwischen den radikalen Tea-Party-Aktivisten und dem milder gestimmten Partei-Establishment ist in Georgia in vollem Gang.

Sieben Anwärter kämpfen derzeit in der Vorwahl um die Nominierung ihrer Partei, besonders dicht gedrängt ist das Feld am rechten Rand. Da ist Phil Gingrey, ein katholischer Gynäkologe mit eindrucksvollen Sorgenfalten. „Wir müssen Amerika retten“, sagt er, und bei der neuen Krankenversicherung, die Obama eingeführt hat, will er anfangen. Er lehnt die Versicherungspflicht ab und verspricht, das Gesetz in seiner ersten Amtszeit als Senator umzustoßen oder zurückzutreten.

Ebenfalls im Rennen ist Paul Broun, auch er ein Mediziner. Broun will als Senator endlich mit der gefährlichen Pseudowissenschaft aufräumen, die Kindern von der Regierung Obama eingetrichtert werde: In einem Internet-Video erklärt er vor einer Wand aus präparierten Tierköpfen, weshalb „Evolution, Embryologie und die Urknall-Theorie“ allesamt „Lügen direkt aus dem Schlund der Hölle“ seien. Broun hat Obama mit Hitler verglichen und verlost in seinem Wahlkampf ein AR-15-Maschinengewehr – eine Waffe jenen Typs, wie sie beim Schulmassaker von Newtown Verwendung fand und die Obama verbieten lassen wollte.

Der Staat als Unterdrücker, der Präsident als Diktator, Wissenschaft als Teufelswerk und Waffen als Volksrecht – wer immer glaubte, die Tea Party habe sich mit der erzwungenen, unpopulären Schließung der Bundesregierung vorigen Herbst erledigt, hat sich geirrt. In Georgia lebt sie munter weiter, ebenso in Mississippi, Kentucky oder Kansas, wo sie etablierten republikanischen Kandidaten das Leben schwer und die Wiederwahl streitig macht. Der Parteiführung passt das nicht, denn sie weiß: Mit allzu rechten Kandidaten kann man auch sichere Sitze verlieren. Das musste die in den vergangenen Jahren mehrfach erfahren. Um in Georgia ein Debakel zu verhindern, baut die Partei daher Gegenkandidaten zu den Tea-Party-Leuten auf. In Georgia ist David Perdue ins Rennen gestiegen, der frühere Chef des Sportkonzerns Reebok. Er empfiehlt sich als weltliche Alternative und kompetenter Manager, und bis jetzt liegt er damit gut im Rennen. Letzte Umfragen sahen Perdue als Sieger der Vorwahl. Allerdings macht er auch Fehler. Als er etwa über eine Mitbewerberin sagte, Politik sei zu kompliziert für sie, da sie „nur“ einen High-School-Abschluss habe, kam das im bodenständigen Georgia gar nicht gut an.

Ein zweiter Vertreter des Partei-Establishments ist Jack Kingston. Seit zwei Jahrzehnten vertritt er den Wahlbezirk um die Stadt Savannah im US-Repräsentantenhaus und ist damit Teil jenes „Washington“, das die Tea Party so hasst. Deshalb spielt Kingston im Wahlkampf den erzkonservativen Außenseiter. Er machte Schlagzeilen mit der Forderung, arme Kinder sollten Schulhausböden schrubben, wenn sie ein Mittagessen auf Staatskosten wollten. „Sie müssen lernen, dass es nichts umsonst gibt in der Welt.“

Doch die Tea Party lässt sich nicht täuschen. „Jack Kingston ist Teil des Problems“, sagt Jeanne Seaver, die Vorsitzende der Protestbewegung in Kingstons Wahlbezirk. „Unsere Politiker meinen es gut, doch in Washington verlieren sie den Weg aus den Augen.“ Schärfer als alle Demokraten schießt der rechte Rand gegen die vermeintlichen Verräter in den eigenen Reihen. Die Tea Party unterstützt Broun. Der sei zwar ebenfalls Abgeordneter in Washington, sagt Seaver, er sei bis jetzt aber standhaft geblieben: „Er will dasselbe wie wir – den Rückbau des Staates, die Abschaffung überflüssiger Behörden.“ Steueramt und Bildungsministerium etwa ließen sich ersatzlos streichen. Die Tea Party hat Georgias Regierung dazu gebracht, offiziell eine sogenannte Versammlung der Staaten zu fordern, eine Sitzung der 50 US-Bundesstaaten zur Entmachtung der Zentralregierung. Die Verfassung sehe eine solche Konferenz vor, sagt Seaver, für den Fall, dass die Dinge aus dem Ruder liefen. Nun sei der Moment gekommen: Barack Obama gefährde die Nation.

Jeanne Seaver, eine aschblonde Geschäftsfrau im roten Kostüm, erzählt in einem Schnellrestaurant am Rande von Savannah aus ihrem nicht immer leichten Leben. Kindheit in Alabama, die Eltern Alkoholiker, eine frühe Schwangerschaft, Abgang von der High School: „Mich hätte es leicht für immer aus der Bahn werfen können“, sagt sie. Heute arbeitet die alleinerziehende dreifache Mutter bei einer Investmentfirma. Sie habe die Kurve gekriegt, ohne Hilfe des Staates: „Darum geht es in Amerika: du kannst sein, was du willst, aber niemand wird dich retten.“

Der Richtungskampf bei den Republikanern lässt ihre Gegner frohlocken. In Georgia führt Michelle Nunn, die einzige Kandidatin der Demokraten, einen überraschend starken Wahlkampf. Ihre Herkunft hilft ihr dabei: Sie ist die Tochter des langjährigen Senators Sam Nunn – ein Mann, für den auch gemäßigte Republikaner Respekt haben. Sollte es den Demokraten gelingen, die von der Rechten aufgegebene politische Mitte zu besetzen, dann könnten sie eine Chance haben. Auf freundlichere Töne einstellen, darf sich Washington deswegen nicht: Auch die Demokratin Nunn spricht gern von „einer Hauptstadt, die nicht funktioniert“. In Georgia muss nach oben treten, wer gewinnen will.

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