Ein Bildschirm vor der Nase, ein zweiter in der Hand: Gehörten früher nur Bier und Chips zu einem gemütlichen Fernsehabend, können viele Zuschauer – laut Studien bis zur Hälfte der Deutschen – mittlerweile auch vor dem TV-Gerät nicht mehr auf ihr Smartphone oder den Tablet-PC als Second Screen, als zweiten Bildschirm, verzichten. Weil das ständige Tippen, Wischen und Scrollen bei Facebook, Twitter oder einfach nur einem Online-Shoppingportal das Publikum mehr und mehr abzulenken droht, haben sich die Sender zum Kampf um die Aufmerksamkeit gerüstet. Und einen wilden Digitalmix für den Zweitbildschirm geschaffen.
Fernsehen allein reicht nicht mehr. Viele Zuschauer kommentieren das Programm nebenbei über ihr Smartphone.
Einige wenige Beispiele aus dem Riesenangebot, das den Zuschauer online bei der Sendermarke halten soll: RTL lässt die Zuschauer in Chatrooms über laufende Sendungen diskutieren, Vox stellt Rezepte aus Kochshows auf die Webseite, Pro Sieben veranstaltet Online-Rätselraten und Arte und die ARD experimentieren mit Krimis, die das Publikum im Netz lösen soll. Das ZDF zeigt im Mai einen Thriller über ein Handy, das sich verselbständigt, ein dazugehöriges Programm soll zeigen, wie sich das anfühlt. „Zu Beginn des Films aktiviert, beginnt die App nicht nur im Film, sondern auch in der Realität auf dem mobilen Endgerät des Zuschauers zu agieren“, heißt es in der Presseankündigung.
Die Frage ist nur: Will der deutsche Fernsehzuschauer das alles überhaupt? Obwohl der Zweitbildschirm hierzulande noch weit weniger etabliert ist als etwa in den USA, bejubeln ihn auch deutsche Sender als „digitales Lagerfeuer“, um das sich die Zuschauer versammeln (ARD), als „große Chance“ fürs Umsatzpotenzial (Pro Sieben Sat1), als „Verlängerung des Fernsehens mit anderen Mitteln“ (Arte) und als Intensivierung für das „emotionale Fernseherlebnis“ (RTL).
Die Nutzerzahlen des Angebots seien zufriedenstellend, heißt es. Ein Sprecher von Pro Sieben Sat1 etwa nennt die siebte Staffel der Castingshow Germany’s Next Topmodel als Erfolgsbeispiel. Pro Folge hätten 60 000 Zuschauer das Pro-Sieben-Digitalangebot „Connect“ genutzt, das sich als „idealer Begleiter zur Sendung etabliert“ habe. Das ist allerdings ein geringer Teil der mehr als zweieinhalb Millionen Menschen, die den Modelcontest durchschnittlich im TV verfolgt haben. Außerdem haben nach Senderangaben 60 Prozent der Connect-Besucher den Stream zur Show angeschaut, der dort neben Zusatzinformationen und Chatroom verfügbar war. Connect wurde in diesem Fall also in der Regel nicht begleitend, sondern als Erstbildschirm statt Fernseher genutzt.
Kommunikationswissenschaftler Christopher Buschow, der an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover zu Second Screen forscht, bezeichnet den derzeitigen Second-Screen-Mix der Sender als „Experiment“. Ein Modell, wie sich mit den Onlineangeboten Geld verdienen lässt, gebe es noch nicht.
Woher also rührt die Euphorie der Sender für Second Screen, wenn sich der Erfolg so schwer beziffern lässt? Christoph Neuberger, Professor für Kommunikationswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München, hält die Hoffnung auf günstige Online-Werbung fürs eigene Programm für den Grund. Selbst und gerade, wenn kein sendereigenes Angebot auf dem Zweitbildschirm laufe: Jede Facebook-Empfehlung, jeder witzige Tweet steigere die Bekanntheit von Formaten, sagt Neuberger. Eine aktuelle US-Befragung bestätigt, dass Social Media Einfluss darauf hat, zu welchem Sender Zuschauer zappen, auch wenn der geringer ist als der klassischer Werbemaßnahmen. „Wer twittert und postet, wird also zur unbezahlten Arbeitskraft für die Werbeabteilung der Sender“, sagt Neuberger.
So gesehen erscheint die Euphorie der Sender für Second Screen nicht mehr ganz so befremdlich – auch wenn es zunächst widersinnig erscheint, die Zuschauer vom eigentlichen Kernangebot, der Show oder dem Film im Fernsehen, abzulenken. Buschow kennt die Befürchtungen: „Wenn Sender ein solches Angebot machen, müssen sie ihren Werbekunden immer auch erklären, warum sie die Aufmerksamkeit der Zuschauer während der Werbeunterbrechung auf ein anderes Gerät lenken.“ Etwa, als Sat1 die Zuschauer bei Promi Big Brother dazu einlud, während der Werbung die Webshow anzuschauen.
Für seinen Münchner Forscherkollegen Neuberger ist Second Screen ein „dringend notwendiger Versuch der Sender, das junge Publikum zu halten“. Denn das wandere mehr und mehr vom Fernseh- zum Computerbildschirm ab. Trotzdem: Die hippen, jungen Formate, bei denen sich Zuschauer via Smartphone in die Sendung schalten oder ihren Verlauf steuern können, funktionieren Kommunikationswissenschaftler Buschow zufolge in Deutschland noch nicht. Das habe etwa das Scheitern der BR-Sendung Rundshow gezeigt, einer Livesendung, die das Publikum über alle erdenklichen Onlinekanäle in die Sendung integrieren wollte. Solche Formate, von den Sendern fast entschuldigend „Experiment“ genannt, scheitern bislang vor allem an der Technik. An ruckeligen Videos, rauschiger Sprachqualität, rieseligen Bildern. Mit derlei Tücken kämpft auch der private Jugendsender Joiz, der in Deutschland seit vorigem Jahr ganz auf interaktive Formate, auf Social TV, setzt.
Wie Joiz bemühen sich insbesondere amerikanische Sender sehr stark darum, das Publikum live vor den Fernseher zu locken. Denn die dortige Konkurrenz ist ungleich größer: Legale Streamingportale wie Netflix sind sehr beliebt, hinzu kommt die ausgeprägte Gewohnheit, Sendungen aufzuzeichnen und später anzusehen.
Deshalb präsentierte etwa ABC während der Oscar-Verleihung eine Flut an zusätzlichen Informationen, auf Watch ABC gab es drei zusätzliche Kanäle mit Analysen der Promi-Outfits, Live-Interviews mit Gewinnern, Wiederholungen und Einblicke hinter die Kulissen.
Den Kurznachrichtendienst nutzt mittlerweile mehr als ein Drittel aller amerikanischen Primetime-Shows. Das Schauspielensemble von Modern Family etwa twittert während der Ausstrahlung und beantwortet Zuschauerfragen, beim Drama Scandal ist das Nebenbei-Twittern mit den Darstellern Kerry Washington oder Columbus Short so beliebt, dass das Magazin Slate einen neuen Begriff für das Erleben dieser Serie geprägt hat: Tweet-Watching.
Bleibt die Frage, warum den Zuschauern ein Bildschirm immer seltener genügt. Schlechteres Programm? Geringeres Konzentrationsvermögen? Buschow winkt ab. „Nebenbei zu bügeln oder einen Snack aus der Küche zu holen, war schon immer üblich, nur eben nicht messbar.“ Der größte Teil derer, die nebenbei auf Smartphones tippen, nutzen Studien zufolge Whatsapp, Facebook und Twitter. Einer der Hauptgründe sei der Wunsch, laufende Sendungen zu kommentieren. Stammtisch also. Neu ist das nicht. „Das Bedürfnis, sich über das, was auf der Mattscheibe läuft, auszutauschen, ist so alt wie das Fernsehen selbst“, sagt Buschow. Aphorismen, Witze, Lästereien und Wutausbrüche haben sich nur vom Wohnzimmer ins Netz verlagert.
Fernsehen allein reicht nicht mehr. Viele Zuschauer kommentieren das Programm nebenbei über ihr Smartphone.
Einige wenige Beispiele aus dem Riesenangebot, das den Zuschauer online bei der Sendermarke halten soll: RTL lässt die Zuschauer in Chatrooms über laufende Sendungen diskutieren, Vox stellt Rezepte aus Kochshows auf die Webseite, Pro Sieben veranstaltet Online-Rätselraten und Arte und die ARD experimentieren mit Krimis, die das Publikum im Netz lösen soll. Das ZDF zeigt im Mai einen Thriller über ein Handy, das sich verselbständigt, ein dazugehöriges Programm soll zeigen, wie sich das anfühlt. „Zu Beginn des Films aktiviert, beginnt die App nicht nur im Film, sondern auch in der Realität auf dem mobilen Endgerät des Zuschauers zu agieren“, heißt es in der Presseankündigung.
Die Frage ist nur: Will der deutsche Fernsehzuschauer das alles überhaupt? Obwohl der Zweitbildschirm hierzulande noch weit weniger etabliert ist als etwa in den USA, bejubeln ihn auch deutsche Sender als „digitales Lagerfeuer“, um das sich die Zuschauer versammeln (ARD), als „große Chance“ fürs Umsatzpotenzial (Pro Sieben Sat1), als „Verlängerung des Fernsehens mit anderen Mitteln“ (Arte) und als Intensivierung für das „emotionale Fernseherlebnis“ (RTL).
Die Nutzerzahlen des Angebots seien zufriedenstellend, heißt es. Ein Sprecher von Pro Sieben Sat1 etwa nennt die siebte Staffel der Castingshow Germany’s Next Topmodel als Erfolgsbeispiel. Pro Folge hätten 60 000 Zuschauer das Pro-Sieben-Digitalangebot „Connect“ genutzt, das sich als „idealer Begleiter zur Sendung etabliert“ habe. Das ist allerdings ein geringer Teil der mehr als zweieinhalb Millionen Menschen, die den Modelcontest durchschnittlich im TV verfolgt haben. Außerdem haben nach Senderangaben 60 Prozent der Connect-Besucher den Stream zur Show angeschaut, der dort neben Zusatzinformationen und Chatroom verfügbar war. Connect wurde in diesem Fall also in der Regel nicht begleitend, sondern als Erstbildschirm statt Fernseher genutzt.
Kommunikationswissenschaftler Christopher Buschow, der an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover zu Second Screen forscht, bezeichnet den derzeitigen Second-Screen-Mix der Sender als „Experiment“. Ein Modell, wie sich mit den Onlineangeboten Geld verdienen lässt, gebe es noch nicht.
Woher also rührt die Euphorie der Sender für Second Screen, wenn sich der Erfolg so schwer beziffern lässt? Christoph Neuberger, Professor für Kommunikationswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München, hält die Hoffnung auf günstige Online-Werbung fürs eigene Programm für den Grund. Selbst und gerade, wenn kein sendereigenes Angebot auf dem Zweitbildschirm laufe: Jede Facebook-Empfehlung, jeder witzige Tweet steigere die Bekanntheit von Formaten, sagt Neuberger. Eine aktuelle US-Befragung bestätigt, dass Social Media Einfluss darauf hat, zu welchem Sender Zuschauer zappen, auch wenn der geringer ist als der klassischer Werbemaßnahmen. „Wer twittert und postet, wird also zur unbezahlten Arbeitskraft für die Werbeabteilung der Sender“, sagt Neuberger.
So gesehen erscheint die Euphorie der Sender für Second Screen nicht mehr ganz so befremdlich – auch wenn es zunächst widersinnig erscheint, die Zuschauer vom eigentlichen Kernangebot, der Show oder dem Film im Fernsehen, abzulenken. Buschow kennt die Befürchtungen: „Wenn Sender ein solches Angebot machen, müssen sie ihren Werbekunden immer auch erklären, warum sie die Aufmerksamkeit der Zuschauer während der Werbeunterbrechung auf ein anderes Gerät lenken.“ Etwa, als Sat1 die Zuschauer bei Promi Big Brother dazu einlud, während der Werbung die Webshow anzuschauen.
Für seinen Münchner Forscherkollegen Neuberger ist Second Screen ein „dringend notwendiger Versuch der Sender, das junge Publikum zu halten“. Denn das wandere mehr und mehr vom Fernseh- zum Computerbildschirm ab. Trotzdem: Die hippen, jungen Formate, bei denen sich Zuschauer via Smartphone in die Sendung schalten oder ihren Verlauf steuern können, funktionieren Kommunikationswissenschaftler Buschow zufolge in Deutschland noch nicht. Das habe etwa das Scheitern der BR-Sendung Rundshow gezeigt, einer Livesendung, die das Publikum über alle erdenklichen Onlinekanäle in die Sendung integrieren wollte. Solche Formate, von den Sendern fast entschuldigend „Experiment“ genannt, scheitern bislang vor allem an der Technik. An ruckeligen Videos, rauschiger Sprachqualität, rieseligen Bildern. Mit derlei Tücken kämpft auch der private Jugendsender Joiz, der in Deutschland seit vorigem Jahr ganz auf interaktive Formate, auf Social TV, setzt.
Wie Joiz bemühen sich insbesondere amerikanische Sender sehr stark darum, das Publikum live vor den Fernseher zu locken. Denn die dortige Konkurrenz ist ungleich größer: Legale Streamingportale wie Netflix sind sehr beliebt, hinzu kommt die ausgeprägte Gewohnheit, Sendungen aufzuzeichnen und später anzusehen.
Deshalb präsentierte etwa ABC während der Oscar-Verleihung eine Flut an zusätzlichen Informationen, auf Watch ABC gab es drei zusätzliche Kanäle mit Analysen der Promi-Outfits, Live-Interviews mit Gewinnern, Wiederholungen und Einblicke hinter die Kulissen.
Den Kurznachrichtendienst nutzt mittlerweile mehr als ein Drittel aller amerikanischen Primetime-Shows. Das Schauspielensemble von Modern Family etwa twittert während der Ausstrahlung und beantwortet Zuschauerfragen, beim Drama Scandal ist das Nebenbei-Twittern mit den Darstellern Kerry Washington oder Columbus Short so beliebt, dass das Magazin Slate einen neuen Begriff für das Erleben dieser Serie geprägt hat: Tweet-Watching.
Bleibt die Frage, warum den Zuschauern ein Bildschirm immer seltener genügt. Schlechteres Programm? Geringeres Konzentrationsvermögen? Buschow winkt ab. „Nebenbei zu bügeln oder einen Snack aus der Küche zu holen, war schon immer üblich, nur eben nicht messbar.“ Der größte Teil derer, die nebenbei auf Smartphones tippen, nutzen Studien zufolge Whatsapp, Facebook und Twitter. Einer der Hauptgründe sei der Wunsch, laufende Sendungen zu kommentieren. Stammtisch also. Neu ist das nicht. „Das Bedürfnis, sich über das, was auf der Mattscheibe läuft, auszutauschen, ist so alt wie das Fernsehen selbst“, sagt Buschow. Aphorismen, Witze, Lästereien und Wutausbrüche haben sich nur vom Wohnzimmer ins Netz verlagert.