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Princess Plattenbau

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Das hier ist Manhattan aus dem Bilderbuch. Der Times Square blinkt und leuchtet, das Rockefeller Center ist nur ein paar Straßenecken entfernt, gelbe Taxis drängen an Touristenmassen vorbei. Die legendäre Adresse: 1626 Broadway, New York. Hier im Comedy-Club Carolines on Broadway sind schon amerikanische Stars wie Jerry Seinfeld oder Billy Crystal aufgetreten. Doch heute lächelt ein deutsches Gesicht auf den Plakaten am Eingang: Cindy aus Marzahn, beziehungsweise „Cindy out Marzahn“ – so viel Englisch hat es dann doch auf das Poster am Broadway geschafft. „Sold out“ steht darüber. Vor dem Eingang stehen die Leute Schlange, alle sprechen Deutsch.



Cindy aus Marzahn alias Ilka Bessin verkörpert den "American Dream". Nun ist sie im New Yorker Comedy-Club Carolines on Broadway aufgetreten – vor 300 Zuschauern. Die Tickets wurden verschenkt. 

„Welcome to the gorgeous Princess of Plattenbau“, ruft der Ansager, und Cindy aus Marzahn hüpft auf die Bühne, in ihrem pinkfarbenen Jogginganzug, mit grellen Make-up-Schichten und zur Feier des Ortes mit einer Schaumstoff-Freiheitsstatuen-Krone im gebleichten Lockenberg. Bis zur ersten Zote vergehen nur Sekunden: „Oh, you have abeautiful Blick on my Geschlechtsteil“, sagt sie zu einem Mann in der ersten Reihe. „My vagina, vestehste.“ So geht das weiter, in feinstem deutsch-englischen Kauderwelsch mit zotigem Berliner Einschlag. „I’m abit under-birded“, ruft sie ins Publikum, und sucht (erfolglos) einen Freiwilligen für einen One-Night-Stand. „Dit heißt untervögelt.“ Das New Yorker Publikum johlt.

Cindy aus Marzahn ist ein Phänomen. Die Kunstfigur aus dem Berliner Arbeiterviertel Marzahn ist eine dicke Langzeitarbeitslose mit mauen Chancen bei den Männern, die über Unfälle im Sonnenstudio, Frauenarztbesuche („Muschi muss zum TÜV“), Plattenbau-Prolls und Fressattacken herumblödelt – meist auf ihre eigenen Kosten. Damit hat Ilka Bessin, der Mensch hinter der Figur, einen Nerv getroffen: In Deutschland tritt sie als Cindy vor Zehntausenden auf. Sie co-moderierte Wetten, dass..?, und sie hat unzählige Comedy-Preise gewonnen. 2012 schrieb sogar die New York Times ein Porträt über „die versehentliche Komödiantin des Volkes“.

Das mit dem versehentlich hat einen Grund: Bessins Karriere war alles andere als geplant. Die 42-Jährige aus Brandenburg wollte eigentlich Clown werden, eine DDR-Ausbildungsberaterin riet ab, stattdessen machte Bessin eine Ausbildung zur Köchin in der Betriebsküche des VEB Wälzlagerwerks Luckenwalde. Später arbeitete sie als Kellnerin in einer Disco, stieg zur Geschäftsführerin auf, wurde dann Hotelfachfrau, noch später Animateurin auf einem Kreuzfahrtschiff und war dann jahrelang arbeitslos in Berlin. Dass sie in der Nachwuchs-Show im Berliner Quatsch Comedy Club landete, war Zufall, eigentlich wollte sie sich dort als Kellnerin bewerben, hatte aber jemanden am Telefon, der die Talente für die Bühne buchte. Es war ihr Durchbruch. Hier in New York würde man das den „American Dream“ nennen.

Aus dem Ostberliner Plattenbau bis nach Manhattan ist es ein weiter Weg, könnte man meinen. „Och, so schwer war das gar nicht, wir haben das schon vor ein paar Jahren überlegt und dann einfach den Laden gemietet“, sagt Bessins Manager Sascha Rinne. „Dit Goethe-Institut hat mich einjeladen“, witzelt Cindy auf der Bühne. Das stimmt natürlich nicht, und das mit dem „Sold Out“ ist auch kein Zufall: Cindys Managementfirma hat fast alle Eintrittskarten für die Broadway-Show verschenkt, inklusive Getränkegutschein.

Und das Publikum? Im Carolines sitzen an diesem Abend ein Praktikantengrüppchen aus Mannheim, ein paar Touristen und die halbe deutsch-amerikanische Handelskammer. „Do you understand me when ick Deutsch spreche?“, ruft Cindy. „Weil when ick Englisch spreche, bin ick so schnell, dit versteht keiner.“ Für ihren ersten und einzigen Auftritt am Broadway ist Cindy zum ersten Mal nach Amerika gereist, und nun weidet sie jedes Klischee aus. „Die Leute sind ganz schön unförmig“, sagt sie. „Ich sollte herziehen, hier hab ich zum ersten Mal keine Minderwertigkeitskomplexe.“

Die einzigen Amerikaner im Carolines sind an diesem Abend die Kellner, die etwas ratlos gucken, als Cindy auf Denglisch eine Cola light bestellt. „Wat, hier gibt’s keine Cola light?“, fragt sie. „Dicke Leute trinken doch immer Cola light. Hier müsste es doch ein Cola-light-Imperium geben.“ Das Publikum sekundiert: Cola light gibt es in Amerika nicht, das heißt hier Diet Coke.

Abgespeckt, das passt auch zu diesem Abend. Statt vor Zehntausenden steht Cindy am Broadway vor etwa 300 Leuten, und die Hardcore-Fans, die ihre Texte auswendig kennen, sind auch nicht dabei. Aber Cindy kommt an, es lachen auch jene, die wegen der Freigetränke gekommen sind und sich eigentlich vorgenommen hatten, Cindy zu profan zu finden.

„Ich war schon ein bisschen mehr aufgeregt als sonst“, sagt Bessin hinterher. „Ich fand das ein gutes, offenes Publikum, die Leute haben an den richtigen Stellen gelacht.“ Der große Amerika-Durchbruch sei das nicht, sagt sie, „ich bilde mir nicht ein, als Nächstes im Madison Square Garden zu spielen.“ Aber es habe Spaß gemacht: „Ist doch toll, wenn da ‚sold out‘ auf dem Plakat steht. Auch wenn es vielleicht eher outverschenkt heißen müsste.“

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