Das Wiener Bildungsministerium sorgt sich um das österreichische Deutsch, weil immer mehr Jugendliche Tomate statt Paradeiser und Sahne statt Obers sagen. Nun soll eine Broschüre für den Unterricht dem sinkenden „sprachlichen Selbstbewusstsein“ entgegenwirken. Johannes Bauer, Direktor des renommierten Bundesgymnasiums Wien 9 (BG9) und Lehrer für Mathematik und Sport, hat schon mal selbst getestet, wie gut sein Gespür für sprachliche Vielfalt ist.
Österreichisch Schüler würden ihr sprachliches Selbstbewusstsein verlieren, fürchtet die Regierung.
SZ: Mitten im „Matura“-Stress gibt es diesen Vorstoß für „österreichisches Deutsch als Bildungssprache“. „Abitur“-Stress sollte ich ja wohl besser nicht sagen. Setzen Sie das jetzt sofort um?
Johannes Bauer: Ich hätte das ehrlich gesagt nicht mitgekriegt, wenn die Medien nicht berichtet hätten. Aber der Vorstoß, Schüler für Unterschiede in Sprachräumen zu sensibilisieren, ist durchaus interessant. Die Idee dürfte jedoch, fürchte ich, schnell wieder untergehen. Wir haben in der Bildungspolitik weitaus größere Herausforderungen als diese zu stemmen – um das Wort Probleme zu vermeiden.
Die Materialien enthalten Memory-Wortkarten und Beispiele, die eh jeder kennt, also Marille oder Kipferl. Funktioniert so etwas wirklich?
Das hängt von der Schulstufe ab. Für eine Supplierstunde wären solche Materialen recht gut geeignet.
Stopp, was ist eine Supplierstunde?
Eine Vertretungsstunde.
Dann machen wir doch gleich mal einen Test, ob Sie diese Sensibilisierung auch nötig haben: Was ist eine Parte?
Ein Schreiben, das man ausschickt, wenn jemand gestorben ist.
Und ein Bartwisch?
Ein kleiner Handbesen mit Haaren zum Aufkehren. Man kehrt sozusagen mit einem Bart.
Sie brauchen also keinen Kurs in Sprachloyalität. Muss man das denn: die Sprachloyalität der Jugend schulen?
Im Unterricht würde ich diese Übungen für entbehrlich halten. Regionalität verschwindet ja nicht automatisch mit der Globalisierung. Aber es kann sicher nicht schaden zu wissen: Es gibt ein österreichisches, ein deutschländisches und ein schweizerisches Deutsch.
„Deutschländisches Deutsch“ ist eine seltsame Erfindung der Wissenschaftler. Stefan Zweig, Friedrich Torberg, Erich Fried waren hier am BG9 Schüler. Diese großartigen Sprachkünstler haben doch solche Unterschiede auch nicht gemacht.
Jeder Literat saugt aus allen Kulturräumen, die ihm zur Verfügung stehen, das auf, was er braucht und was ihn prägt. Das kann man weder steuern noch bremsen. Die Künstler, die an dieser Schule waren, haben österreichische und deutsche Literatur geprägt. Aber vielleicht hatten sie auch das Glück, dass die Globalisierung die Sprache damals noch nicht so beeinflusst hatte.
Ist das Projekt vielleicht ein Versuch, die Piefkenisierung der Jugend aufzuhalten?
Ich kann keine Piefkenisierung erkennen. Wir haben etwa 20 Prozent Schüler mit nicht-deutscher Muttersprache, das ist für Wiener Verhältnisse wenig. Unter die anderen 80Prozent fallen viele Kinder mit einem chinesischen oder serbischen – und mit einem österreichischen Elternteil. Oder mit einem syrischen Vater und einer deutsch-türkischen Mutter, die zweisprachig sind und trotzdem tiefstes Wienerisch sprechen. Man fängt besser nicht an, hier zu unterscheiden. Diese Kinder sind sozialisiert im österreichischen Deutsch, haben aber keine Angst vor deutschländischem Deutsch, kennen also die Konfitüre genauso wie die Marmelade und den Rauchfangkehrer wie den Schornsteinfeger.
Jetzt wird es kompliziert. Sie sagen, österreichisches Deutsch sei üblich und populär. Das Bildungsministerium glaubt aber offenbar, es sei am Aussterben.
Ich höre deutschländisches Deutsch vor allem von Deutschen, was ich wenig überraschend finde. Die Deutschen sind die größte Ausländergruppe in Österreich. In der Praxis halte ich die Panik für Schmarrn. Aber: Alles ist, wie meist im Leben, in der Realität sogar noch viel komplizierter. Ich erlebe nämlich, dass österreichische Begriffe, die viele Menschen als normal empfinden, von anderen Österreichern gar nicht gekannt werden. Das hat aber nichts mit der Piefkenisierung zu tun, sondern viel mit Herkunft, Elternhäusern und Sprachwitz.
Zum Beispiel Gschlader, Jaukerl, Bosnigl, oder Gschrapp? Die sind nämlich in der Broschüre gar nicht enthalten.
Gschrapp ist ein kleines Kind, ein Bosnigl ist jemand, der einem anderes Böses will, und ein Jaukerl ist eine Spritze, eine Injektion. Gschlader sagt mir selbst nichts.
Der Kabarettist Karl Farkas scherzt, Deutsche und Österreicher unterschieden sich durch die gemeinsame Sprache. Welche anderen Unterschiede sehen Sie?
Keine, die ich in einer deutschen Zeitung offenlegen würde. (Lacht). Auch dazu gibt es genügend Studien, wie zum Rückgang des Österreichischen. Wichtig ist: Unterschiede machen nicht an Sprach- und nicht an Staatsgrenzen halt. Bayern und Salzburger haben vielleicht mehr gemein als Kremser und Grazer.
Kann österreichisches Deutsch österreichisches Selbstbewusstsein stärken?
Es hieße die Sprache zu überfordern, dazu braucht es mehr. Andererseits: In Deutschland wird Österreichisch gern als komischer Dialekt, als Urlaubssprache veralbert. Das nagt natürlich durchaus an unserem Selbstbewusstsein.
Offenbar ist die Identitätssuche hierzulande ein langfristiges Projekt. Österreich ließ 1995, beim EU-Beitritt, seine Sprache symbolisch als Kulturgut anerkennen und zwei Dutzend Begriffe, vorwiegend für Nahrungsmittel, schützen. Geht es da vielleicht um Wirtschaftsinteressen und Markennamen, um Supermärkte und Regionalprodukte? Oder ist die neue Initiative doch eher ein Rückfall in den Wir-sind-anders-Provinzialismus?
Weder noch. Damals wie heute ging und geht es um psychologische und ökonomische Folgen der Globalisierung: Je mehr alles eins zu werden droht, desto mehr bildet sich Individualität heraus, die dem Mainstream zu entfliehen droht. Nachdenken, einen Impuls setzen, an eine Tradition erinnern – das ist doch in Ordnung.
Im Widerstreit von Regionalisierung und Globalisierung gibt es Länder, die viel weiter gehen. Frankreich etwa schützt seit 1994 seine Sprache mit einer Quote für Popsongs im Radio. Kommt das hier vielleicht auch bald? Mehr Fendrich und Ambros, weniger US-Charts.
Die Kids suchen sich zum Glück ihre Zugänge selbst und finden im Internet, was sie gut finden.
Das Österreichische geht verloren, heißt es, weil Jugendliche deutsches Fernsehen schauen. Sind RTL und Sat1 schuld?
Na ja, mal ehrlich, österreichische Sendungen für den österreichischen Markt gelten unter den Kids leider nicht gerade als urcool. Eher als ur fad.
Johannes Bauer, Direktor des Gymnasiums an der Wasagasse in Wien, kann eine lange Liste prominenter Absolventen vorlegen, darunter Stefan Zweig und Erich Fried. Im deutsch-österreichischen Sprachstreit rät er zu Gelassenheit.
Österreichisch Schüler würden ihr sprachliches Selbstbewusstsein verlieren, fürchtet die Regierung.
SZ: Mitten im „Matura“-Stress gibt es diesen Vorstoß für „österreichisches Deutsch als Bildungssprache“. „Abitur“-Stress sollte ich ja wohl besser nicht sagen. Setzen Sie das jetzt sofort um?
Johannes Bauer: Ich hätte das ehrlich gesagt nicht mitgekriegt, wenn die Medien nicht berichtet hätten. Aber der Vorstoß, Schüler für Unterschiede in Sprachräumen zu sensibilisieren, ist durchaus interessant. Die Idee dürfte jedoch, fürchte ich, schnell wieder untergehen. Wir haben in der Bildungspolitik weitaus größere Herausforderungen als diese zu stemmen – um das Wort Probleme zu vermeiden.
Die Materialien enthalten Memory-Wortkarten und Beispiele, die eh jeder kennt, also Marille oder Kipferl. Funktioniert so etwas wirklich?
Das hängt von der Schulstufe ab. Für eine Supplierstunde wären solche Materialen recht gut geeignet.
Stopp, was ist eine Supplierstunde?
Eine Vertretungsstunde.
Dann machen wir doch gleich mal einen Test, ob Sie diese Sensibilisierung auch nötig haben: Was ist eine Parte?
Ein Schreiben, das man ausschickt, wenn jemand gestorben ist.
Und ein Bartwisch?
Ein kleiner Handbesen mit Haaren zum Aufkehren. Man kehrt sozusagen mit einem Bart.
Sie brauchen also keinen Kurs in Sprachloyalität. Muss man das denn: die Sprachloyalität der Jugend schulen?
Im Unterricht würde ich diese Übungen für entbehrlich halten. Regionalität verschwindet ja nicht automatisch mit der Globalisierung. Aber es kann sicher nicht schaden zu wissen: Es gibt ein österreichisches, ein deutschländisches und ein schweizerisches Deutsch.
„Deutschländisches Deutsch“ ist eine seltsame Erfindung der Wissenschaftler. Stefan Zweig, Friedrich Torberg, Erich Fried waren hier am BG9 Schüler. Diese großartigen Sprachkünstler haben doch solche Unterschiede auch nicht gemacht.
Jeder Literat saugt aus allen Kulturräumen, die ihm zur Verfügung stehen, das auf, was er braucht und was ihn prägt. Das kann man weder steuern noch bremsen. Die Künstler, die an dieser Schule waren, haben österreichische und deutsche Literatur geprägt. Aber vielleicht hatten sie auch das Glück, dass die Globalisierung die Sprache damals noch nicht so beeinflusst hatte.
Ist das Projekt vielleicht ein Versuch, die Piefkenisierung der Jugend aufzuhalten?
Ich kann keine Piefkenisierung erkennen. Wir haben etwa 20 Prozent Schüler mit nicht-deutscher Muttersprache, das ist für Wiener Verhältnisse wenig. Unter die anderen 80Prozent fallen viele Kinder mit einem chinesischen oder serbischen – und mit einem österreichischen Elternteil. Oder mit einem syrischen Vater und einer deutsch-türkischen Mutter, die zweisprachig sind und trotzdem tiefstes Wienerisch sprechen. Man fängt besser nicht an, hier zu unterscheiden. Diese Kinder sind sozialisiert im österreichischen Deutsch, haben aber keine Angst vor deutschländischem Deutsch, kennen also die Konfitüre genauso wie die Marmelade und den Rauchfangkehrer wie den Schornsteinfeger.
Jetzt wird es kompliziert. Sie sagen, österreichisches Deutsch sei üblich und populär. Das Bildungsministerium glaubt aber offenbar, es sei am Aussterben.
Ich höre deutschländisches Deutsch vor allem von Deutschen, was ich wenig überraschend finde. Die Deutschen sind die größte Ausländergruppe in Österreich. In der Praxis halte ich die Panik für Schmarrn. Aber: Alles ist, wie meist im Leben, in der Realität sogar noch viel komplizierter. Ich erlebe nämlich, dass österreichische Begriffe, die viele Menschen als normal empfinden, von anderen Österreichern gar nicht gekannt werden. Das hat aber nichts mit der Piefkenisierung zu tun, sondern viel mit Herkunft, Elternhäusern und Sprachwitz.
Zum Beispiel Gschlader, Jaukerl, Bosnigl, oder Gschrapp? Die sind nämlich in der Broschüre gar nicht enthalten.
Gschrapp ist ein kleines Kind, ein Bosnigl ist jemand, der einem anderes Böses will, und ein Jaukerl ist eine Spritze, eine Injektion. Gschlader sagt mir selbst nichts.
Der Kabarettist Karl Farkas scherzt, Deutsche und Österreicher unterschieden sich durch die gemeinsame Sprache. Welche anderen Unterschiede sehen Sie?
Keine, die ich in einer deutschen Zeitung offenlegen würde. (Lacht). Auch dazu gibt es genügend Studien, wie zum Rückgang des Österreichischen. Wichtig ist: Unterschiede machen nicht an Sprach- und nicht an Staatsgrenzen halt. Bayern und Salzburger haben vielleicht mehr gemein als Kremser und Grazer.
Kann österreichisches Deutsch österreichisches Selbstbewusstsein stärken?
Es hieße die Sprache zu überfordern, dazu braucht es mehr. Andererseits: In Deutschland wird Österreichisch gern als komischer Dialekt, als Urlaubssprache veralbert. Das nagt natürlich durchaus an unserem Selbstbewusstsein.
Offenbar ist die Identitätssuche hierzulande ein langfristiges Projekt. Österreich ließ 1995, beim EU-Beitritt, seine Sprache symbolisch als Kulturgut anerkennen und zwei Dutzend Begriffe, vorwiegend für Nahrungsmittel, schützen. Geht es da vielleicht um Wirtschaftsinteressen und Markennamen, um Supermärkte und Regionalprodukte? Oder ist die neue Initiative doch eher ein Rückfall in den Wir-sind-anders-Provinzialismus?
Weder noch. Damals wie heute ging und geht es um psychologische und ökonomische Folgen der Globalisierung: Je mehr alles eins zu werden droht, desto mehr bildet sich Individualität heraus, die dem Mainstream zu entfliehen droht. Nachdenken, einen Impuls setzen, an eine Tradition erinnern – das ist doch in Ordnung.
Im Widerstreit von Regionalisierung und Globalisierung gibt es Länder, die viel weiter gehen. Frankreich etwa schützt seit 1994 seine Sprache mit einer Quote für Popsongs im Radio. Kommt das hier vielleicht auch bald? Mehr Fendrich und Ambros, weniger US-Charts.
Die Kids suchen sich zum Glück ihre Zugänge selbst und finden im Internet, was sie gut finden.
Das Österreichische geht verloren, heißt es, weil Jugendliche deutsches Fernsehen schauen. Sind RTL und Sat1 schuld?
Na ja, mal ehrlich, österreichische Sendungen für den österreichischen Markt gelten unter den Kids leider nicht gerade als urcool. Eher als ur fad.
Johannes Bauer, Direktor des Gymnasiums an der Wasagasse in Wien, kann eine lange Liste prominenter Absolventen vorlegen, darunter Stefan Zweig und Erich Fried. Im deutsch-österreichischen Sprachstreit rät er zu Gelassenheit.