Normalerweise verlässt man einen Raum, um frische Luft zu atmen. In Peking träumt man vom Gegenteil: Eine internationale Architekturfirma schlägt gerade vor, über einem Park in Peking ein künstliches Zelt aufzuspannen. Darin ein für dortige Verhältnisse seltener Inhalt: Frischluft. Von Smog befreit, könnten Menschen darin flanieren und durchatmen, schwärmen die Planer. Auch angrenzende Einkaufszentren und Bürogebäude könne man an das Habitat anschließen – gegen Aufpreis natürlich.
Der Smog mindert die Lebensqualität in Peking.
So groß ist die Sehnsucht der urbanen Chinesen nach sauberer Luft mittlerweile, dass Geschäftsideen wie diese blühen. Ein chinesischer Künstler verkaufte schon Frischluft aus Frankreich in Marmeladengläsern; ein Reisebüro karrte Sauerstoff aus den Bergen in blauen Ballons verpackt in die Millionenmetropole Zhengzhou. Die Bewohner standen Schlange. „Ich konnte mein Baby in meinem Bauch spüren“, berichtete eine junge Frau freudig. Das Kind habe sich geregt, als sie die Bergluft atmete.
Wang Canfa kennt diese Sorgen der Chinesen sehr gut. Der Pekinger spaziert durch Freiburg im Breisgau, eine Sonnenbrille auf der Stirn, und schwärmt von den Blumen, dem blauen Himmel, der friedlichen Atmosphäre, dem deutschen Essen. Man könnte den 55-Jährigen mit seinem roten Rucksack und seiner beigen Jacke leicht mit einem Touristen verwechseln – doch Wang ist einer der einflussreichsten Umweltanwälte Chinas. Seit über fünfzehn Jahren zieht er für Opfer von Verschmutzung vor Gericht. Gegen Fabriken, die verschmutztes Abwasser ins Grundwasser pumpen; gegen Geschäftemacher, die Industriechemikalien in Hinterhöfen abladen; selbst gegen den chinesischen Staat hat Wang schon vor Gericht gewonnen. Das Time Magazine würdigte ihn für sein Werk als „Hero of the Environment“.
Der Professor für Umweltrecht der Universität Peking ist nicht nur entspannt, weil er auf Reisen in Europa ist. Sondern weil er glaubt, dass sich gerade einiges in seinem Heimatland ändert. „Im letzten Jahr sind so viele Angeklagte wegen Umweltvergehen verurteilt worden wie in den letzten zehn Jahren zusammen“, sagt Wang. Das ist zum Teil auch sein Verdienst: Mehr als 200 Anfragen erhält das von ihm gegründete „Zentrum für rechtliche Unterstützung von Verschmutzungsopfern“ pro Monat. Seine Mitarbeiter besorgen den Hilfesuchenden Anwälte, legen sich mit lokalen Parteikadern und Fabrikbesitzern an. Die Anwälte haben so etwa ein Tierversuchslabor in Peking gestoppt, eine Fabrik zum Wegzug aus einem Siedlungsgebiet gezwungen, von einer Papiermühle umgerechnet 500 000 Euro Schadenersatz erstritten. Für schwierige Fälle müssen die Juristen bis zu sieben Jahre lang kämpfen, um ein Urteil zu erreichen, sagt Wang.
Über Peking sagte ein Landwirtschafts-professor kürzlich, der Smog sei so dicht, dass die Photosynthese nicht mehr richtig funktioniere. Tomaten am Boden bräuchten zwei Monate statt zwanzig Tage, um zu reifen. Wangs Prozesse sind ein wenig wie diese Tomaten. Sie sind ständig bedroht vom Smog der Bürokratie und der Vetternwirtschaft, Parteifunktionäre beeinflussen Urteile häufig in ihrem Sinn. „Aber wir sensibilisieren die Menschen für den Weg der Gesetze“, sagt Wang. Die Fälle werden auf der Webseite oder in sozialen Netzwerken veröffentlicht.
Und seine Arbeit findet zunehmend Protektion von ganz oben. „Die rechtliche Situation von Opfern von Umweltverschmutzung hat sich verbessert“, sagt Wang optimistisch. Vor zehn Jahren sprach kaum jemand über Umweltsünden. Heute sei jeder durch das Internet über die aktuellen Feinstaubwerte informiert. Umweltbildung soll künftig per Gesetz in den nationalen Lehrplänen verankert werden. Im April beschloss der Volkskongress eine Reform des Umweltschutzgesetzes, zum ersten Mal seit 1989. Die Strafen für Umweltvergehen werden verschärft, auch Beamte können nun wegen Untätigkeit belangt werden. Whistleblower, die Vergehen öffentlich machen, sollen besser geschützt werden.
Denkt das Reich der Mitte beim Umweltschutz um? In jüngster Zeit mehren sich die Anzeichen dafür, besonders bei der Energieversorgung. Billiger Strom aus Kohle war über Jahre der Motor des chinesischen Aufschwungs – jetzt will die Regierung den Ausbau der Kohlekraft erstmals abbremsen.
Sechs Provinzen wollen ihren Kohleverbrauch von sich aus verringern, weiteren Regionen will die Zentralregierung Obergrenzen vorsetzen. In zehn Provinzen sei der absolute Kohleverbrauch bereits gesunken, schreibt die Ostasien-Abteilung von Greenpeace in einer aktuellen Studie. Die Umweltschützer sprechen schon vom „Ende des chinesischen Kohlebooms“. Die Ankündigung von US-Präsident Barack Obama, die Emissionen aus Kohlekraftwerken um 30 Prozent zu senken, könnte auch China in der jetzigen Strategie weiter bestärken. Steuert das Reich der Mitte tatsächlich um, wären die Effekte global: Im vergangenen Jahrzehnt entsprang mehr als die Hälfte des globalen Anstiegs der CO2-Emissionen Chinas Kohleöfen. Alleine die Provinz Shandong verfeuert so viel Kohle wie Deutschland und Japan zusammen.
Von westlichen Beobachtern fast unbemerkt hat China nun auch einen eigenen Emissionshandel eingeführt. In sechs Städten oder Provinzen – Peking, Guangdong, Hubei, Shenzhen, Shanghai und Tianjin – müssen Unternehmen nun bezahlen, um CO2 in die Luft zu pusten. Selbst diese vereinzelten Pilotprojekte machen den chinesischen Emissionsmarkt nach der EU zum zweitgrößten der Welt; der Preis für eine Tonne Kohlendioxid liegt über dem der EU. „In China könnte der Emissionshandel den größten Einfluss haben“, schreibt Changhua Wu, die chinesische Direktorin der Klimaschutzorganisation Climate Group, in der New York Times.
Zunehmend investiert Peking auch in erneuerbare Energien. In der Gesamtbilanz bleiben sie mit rund zwei Prozent bescheiden, doch selbst das ist ein riesiger Schritt. Alleine die 2013 in China installierten Photovoltaik-Anlagen liefern so viel Strom wie ein Dutzend Atomreaktoren, vor der Küste entstehen große Windparks. An einer weiteren Front experimentieren die Energieunternehmen mit neuen CCS-Techniken (Carbon Dioxide Capture and Storage), mit denen Kohlendioxid aus Kraftwerken unterirdisch gespeichert werden soll. In vier Pilotanlagen wird das CCS-Verfahren schon getestet, elf weitere Großprojekte sind nach Informationen des World Resources Institutes in der Planungsphase.
Getrieben wird dieses umweltpolitische Umdenken kaum von Sorgen ums Weltklima. Die Umweltprobleme lähmen vielmehr den wirtschaftlichen Erfolg Chinas. Manchmal ist das buchstäblich zu verstehen: Wird der Smog zu dick, bleiben Flugzeuge am Boden kleben, neue Autobahnen stehen wegen der verkürzten Sichtweite leer. Die Reis- und Weizenernten könnten dramatisch fallen, warnen Klimaschützer, falls das Land nichts gegen die Erderwärmung unternimmt. Die Eliten haben genug von der verdorbenen Umwelt, manche Soziologen sprechen von der dritten großen Auswanderungswelle, die das Land in vier Jahrhunderten erlebt. Und auch die Expats, jene Klasse gut ausgebildeter Geschäftsführer, Berater und Jetsetter aus dem Westen, zieht es nicht mehr recht nach Fernost: In einer Umfrage der amerikanischen Handelskammer in Peking gab jede zweite von 365 befragten Firmen an, Bedenken über die Luftverschmutzung jagten ihre Führungskräfte davon oder hielten sie davon ab, überhaupt nach China zu kommen. Vor vier Jahren hielt noch weniger als jede fünfte Firma die Umweltverschmutzung für ein Hindernis, Bewerber zu finden.
„Besonders der Smog hat starke ökonomische Auswirkungen“, sagt Jost Wübbeke vom Mercator Institut für Chinastudien (Merics) in Berlin. Das Land habe daher ein starkes Interesse daran, den Kohleverbrauch zu reduzieren. Von einem Ende des Kohlebooms will Wübbeke aber noch nicht sprechen. „Der Verbrauch wächst langsamer, aber der Höhepunkt ist wohl erst 2020 erreicht.“ An Gesetzen, um Klima und Umwelt zu schützen, mangele es jedenfalls nicht, sagt der Umweltanwalt Wang Canfa. „Das Problem ist eher, dass nur ein Bruchteil der Paragrafen auch tatsächlich umgesetzt wird.“
Der Smog mindert die Lebensqualität in Peking.
So groß ist die Sehnsucht der urbanen Chinesen nach sauberer Luft mittlerweile, dass Geschäftsideen wie diese blühen. Ein chinesischer Künstler verkaufte schon Frischluft aus Frankreich in Marmeladengläsern; ein Reisebüro karrte Sauerstoff aus den Bergen in blauen Ballons verpackt in die Millionenmetropole Zhengzhou. Die Bewohner standen Schlange. „Ich konnte mein Baby in meinem Bauch spüren“, berichtete eine junge Frau freudig. Das Kind habe sich geregt, als sie die Bergluft atmete.
Wang Canfa kennt diese Sorgen der Chinesen sehr gut. Der Pekinger spaziert durch Freiburg im Breisgau, eine Sonnenbrille auf der Stirn, und schwärmt von den Blumen, dem blauen Himmel, der friedlichen Atmosphäre, dem deutschen Essen. Man könnte den 55-Jährigen mit seinem roten Rucksack und seiner beigen Jacke leicht mit einem Touristen verwechseln – doch Wang ist einer der einflussreichsten Umweltanwälte Chinas. Seit über fünfzehn Jahren zieht er für Opfer von Verschmutzung vor Gericht. Gegen Fabriken, die verschmutztes Abwasser ins Grundwasser pumpen; gegen Geschäftemacher, die Industriechemikalien in Hinterhöfen abladen; selbst gegen den chinesischen Staat hat Wang schon vor Gericht gewonnen. Das Time Magazine würdigte ihn für sein Werk als „Hero of the Environment“.
Der Professor für Umweltrecht der Universität Peking ist nicht nur entspannt, weil er auf Reisen in Europa ist. Sondern weil er glaubt, dass sich gerade einiges in seinem Heimatland ändert. „Im letzten Jahr sind so viele Angeklagte wegen Umweltvergehen verurteilt worden wie in den letzten zehn Jahren zusammen“, sagt Wang. Das ist zum Teil auch sein Verdienst: Mehr als 200 Anfragen erhält das von ihm gegründete „Zentrum für rechtliche Unterstützung von Verschmutzungsopfern“ pro Monat. Seine Mitarbeiter besorgen den Hilfesuchenden Anwälte, legen sich mit lokalen Parteikadern und Fabrikbesitzern an. Die Anwälte haben so etwa ein Tierversuchslabor in Peking gestoppt, eine Fabrik zum Wegzug aus einem Siedlungsgebiet gezwungen, von einer Papiermühle umgerechnet 500 000 Euro Schadenersatz erstritten. Für schwierige Fälle müssen die Juristen bis zu sieben Jahre lang kämpfen, um ein Urteil zu erreichen, sagt Wang.
Über Peking sagte ein Landwirtschafts-professor kürzlich, der Smog sei so dicht, dass die Photosynthese nicht mehr richtig funktioniere. Tomaten am Boden bräuchten zwei Monate statt zwanzig Tage, um zu reifen. Wangs Prozesse sind ein wenig wie diese Tomaten. Sie sind ständig bedroht vom Smog der Bürokratie und der Vetternwirtschaft, Parteifunktionäre beeinflussen Urteile häufig in ihrem Sinn. „Aber wir sensibilisieren die Menschen für den Weg der Gesetze“, sagt Wang. Die Fälle werden auf der Webseite oder in sozialen Netzwerken veröffentlicht.
Und seine Arbeit findet zunehmend Protektion von ganz oben. „Die rechtliche Situation von Opfern von Umweltverschmutzung hat sich verbessert“, sagt Wang optimistisch. Vor zehn Jahren sprach kaum jemand über Umweltsünden. Heute sei jeder durch das Internet über die aktuellen Feinstaubwerte informiert. Umweltbildung soll künftig per Gesetz in den nationalen Lehrplänen verankert werden. Im April beschloss der Volkskongress eine Reform des Umweltschutzgesetzes, zum ersten Mal seit 1989. Die Strafen für Umweltvergehen werden verschärft, auch Beamte können nun wegen Untätigkeit belangt werden. Whistleblower, die Vergehen öffentlich machen, sollen besser geschützt werden.
Denkt das Reich der Mitte beim Umweltschutz um? In jüngster Zeit mehren sich die Anzeichen dafür, besonders bei der Energieversorgung. Billiger Strom aus Kohle war über Jahre der Motor des chinesischen Aufschwungs – jetzt will die Regierung den Ausbau der Kohlekraft erstmals abbremsen.
Sechs Provinzen wollen ihren Kohleverbrauch von sich aus verringern, weiteren Regionen will die Zentralregierung Obergrenzen vorsetzen. In zehn Provinzen sei der absolute Kohleverbrauch bereits gesunken, schreibt die Ostasien-Abteilung von Greenpeace in einer aktuellen Studie. Die Umweltschützer sprechen schon vom „Ende des chinesischen Kohlebooms“. Die Ankündigung von US-Präsident Barack Obama, die Emissionen aus Kohlekraftwerken um 30 Prozent zu senken, könnte auch China in der jetzigen Strategie weiter bestärken. Steuert das Reich der Mitte tatsächlich um, wären die Effekte global: Im vergangenen Jahrzehnt entsprang mehr als die Hälfte des globalen Anstiegs der CO2-Emissionen Chinas Kohleöfen. Alleine die Provinz Shandong verfeuert so viel Kohle wie Deutschland und Japan zusammen.
Von westlichen Beobachtern fast unbemerkt hat China nun auch einen eigenen Emissionshandel eingeführt. In sechs Städten oder Provinzen – Peking, Guangdong, Hubei, Shenzhen, Shanghai und Tianjin – müssen Unternehmen nun bezahlen, um CO2 in die Luft zu pusten. Selbst diese vereinzelten Pilotprojekte machen den chinesischen Emissionsmarkt nach der EU zum zweitgrößten der Welt; der Preis für eine Tonne Kohlendioxid liegt über dem der EU. „In China könnte der Emissionshandel den größten Einfluss haben“, schreibt Changhua Wu, die chinesische Direktorin der Klimaschutzorganisation Climate Group, in der New York Times.
Zunehmend investiert Peking auch in erneuerbare Energien. In der Gesamtbilanz bleiben sie mit rund zwei Prozent bescheiden, doch selbst das ist ein riesiger Schritt. Alleine die 2013 in China installierten Photovoltaik-Anlagen liefern so viel Strom wie ein Dutzend Atomreaktoren, vor der Küste entstehen große Windparks. An einer weiteren Front experimentieren die Energieunternehmen mit neuen CCS-Techniken (Carbon Dioxide Capture and Storage), mit denen Kohlendioxid aus Kraftwerken unterirdisch gespeichert werden soll. In vier Pilotanlagen wird das CCS-Verfahren schon getestet, elf weitere Großprojekte sind nach Informationen des World Resources Institutes in der Planungsphase.
Getrieben wird dieses umweltpolitische Umdenken kaum von Sorgen ums Weltklima. Die Umweltprobleme lähmen vielmehr den wirtschaftlichen Erfolg Chinas. Manchmal ist das buchstäblich zu verstehen: Wird der Smog zu dick, bleiben Flugzeuge am Boden kleben, neue Autobahnen stehen wegen der verkürzten Sichtweite leer. Die Reis- und Weizenernten könnten dramatisch fallen, warnen Klimaschützer, falls das Land nichts gegen die Erderwärmung unternimmt. Die Eliten haben genug von der verdorbenen Umwelt, manche Soziologen sprechen von der dritten großen Auswanderungswelle, die das Land in vier Jahrhunderten erlebt. Und auch die Expats, jene Klasse gut ausgebildeter Geschäftsführer, Berater und Jetsetter aus dem Westen, zieht es nicht mehr recht nach Fernost: In einer Umfrage der amerikanischen Handelskammer in Peking gab jede zweite von 365 befragten Firmen an, Bedenken über die Luftverschmutzung jagten ihre Führungskräfte davon oder hielten sie davon ab, überhaupt nach China zu kommen. Vor vier Jahren hielt noch weniger als jede fünfte Firma die Umweltverschmutzung für ein Hindernis, Bewerber zu finden.
„Besonders der Smog hat starke ökonomische Auswirkungen“, sagt Jost Wübbeke vom Mercator Institut für Chinastudien (Merics) in Berlin. Das Land habe daher ein starkes Interesse daran, den Kohleverbrauch zu reduzieren. Von einem Ende des Kohlebooms will Wübbeke aber noch nicht sprechen. „Der Verbrauch wächst langsamer, aber der Höhepunkt ist wohl erst 2020 erreicht.“ An Gesetzen, um Klima und Umwelt zu schützen, mangele es jedenfalls nicht, sagt der Umweltanwalt Wang Canfa. „Das Problem ist eher, dass nur ein Bruchteil der Paragrafen auch tatsächlich umgesetzt wird.“