„Mein 1. Monat ohne Tabak zu verbrennen geschafft – der erste seit 29 Jahren“, jubelt tamtam21 in einem Internetforum. Ihm ist gelungen – oder zumindest hat er den ersten Schritt getan –, wovon zehn Millionen Deutsche träumen: mit dem Rauchen aufzuhören. Tamtam21 hat die Zigaretten entsorgt, nicht aber den Hang zum Nikotin. Eine „E-Zigarette“ liefert ihm nun den Suchtstoff mehrmals täglich. Statt Tabak zu verbrennen, verdampft eine nikotinhaltige Flüssigkeit in einer batteriebetriebenen Pfeife und strömt in seine Lungen – den Dampf findet er weitaus angenehmer als den Rauch von Zigaretten. So wie er berichten nicht wenige im „Forum über das elektronische Rauchen“ von ihren Erfahrungen – viele benutzen die elektronischen Zigaretten, um vom Tabak wegzukommen. Doch ersetzen sie damit nicht lediglich eine Sucht durch eine andere?
Die E-Zigarette als gesündere Alternative zum Tabak-Stängel? Da es bisher keine Langzeitstudien gibt, sind sich selbst Experten nicht einig darüber.
„Eine Milliarde Menschen könnten im 21. Jahrhundert an den Folgen des Rauchens sterben, wenn nichts passiert“, warnte Wilson Compton von den amerikanischen National Institutes of Health (NIH) auf der europäischen Wissenschaftskonferenz Esof in Kopenhagen. „Wir müssen dringend nach Alternativen suchen. Das ist eine Schlüsselfrage für die öffentlichen Gesundheitssysteme.“
Ob die elektronische Zigarette diese Alternative sein könnte, ist selbst für Experten wie Compton schwer zu beantworten. Forschung über Langzeitrisiken gibt es noch nicht – erst seit 2007 sind Dampfzigaretten auf dem Markt. Fakt ist: Während beim Rauchen konventioneller Zigaretten 4000 verschiedene Stoffe in den Körper gelangen, atmen „Dampfer“ nur Nikotin und Trägerstoffe wie Propylenglykol ein.
„Es ist der Rauch, der einen umbringt, nicht das Nikotin“, ist Deborah Arnott überzeugt. Als Geschäftsführerin der Organisation „Action on Smoking and Health“ ist die Britin nicht dafür bekannt, Risiken des Tabakkonsums zu verharmlosen, im Gegenteil: „Rauchen ist die größte vermeidbare Todesursache im Vereinigten Königreich“, schreibt die Organisation; zahlreiche Auszeichnungen hat Arnott für ihre Aufklärungskampagnen erhalten. Für wesentlich hält die Aktivistin jedoch nicht, die Sucht an sich auszuradieren, sondern „von Tabak ausgehenden Schaden zu minimieren“. Die E-Zigarette sei da ein klarer Fortschritt. „Diese Produkte können Rauchern helfen, aufzuhören“, sagt Arnott.
Erste Studien deuten zumindest darauf hin, dass Dampfer ihren Zigarettenkonsum auf mittlere Sicht einschränken. Rund jeder zweite Teilnehmer einer italienischen Studie rauchte nach 24 Wochen E-Zigaretten-Konsums nur noch weniger als die Hälfte der üblichen Anzahl Zigaretten. Jeder fünfte Proband kam ganz ohne Kippen aus; die meisten aus dieser Gruppe behielten jedoch das Dampfen bei. Bemerkenswert: Alle Teilnehmer hatten vor der Studie gar nicht die Absicht, mit dem Qualmen aufzuhören.
Dem positiven Zeugnis für E-Zigaretten schließen sich Experten wie Thomas Hartung nur bedingt an. „Nikotin ist sicher keine gute Substanz“, sagt der Lehrstuhlinhaber für evidenzbasierte Toxikologie an der Johns Hopkins Universität. „Wir wissen, dass die Produkte Risiken haben.“ So könne Nikotin die Apoptose, den programmierten Zelltod, stimulieren, und erhöhe somit das Krebsrisiko. Auch fruchtschädigende Wirkungen und eine Verengung der Blutgefäße seien nachgewiesen. Dennoch würde Hartung hartgesottenen Rauchern „unbedingt zum Umstieg raten“. Das Gesundheitsrisiko sei mit E-Zigaretten sicher „um den Faktor Zehn reduziert“, sagt Hartung. Einfach weil man dabei 4000 potenziell schädliche Substanzen weniger einatme.
Während die Experten diskutieren, schaffen die Konsumenten Fakten. 2013 machten die E-Zigaretten-Hersteller erstmals mehr als eine Milliarde Dollar Umsatz – immer noch ein Bruchteil des Hunderte Milliarden Dollar schweren Tabakmarkts, doch jeden Monat kommen rund zehn Marken dazu. Forscher von der Universität San Diego zählten 7700 verschiedene Geschmacksrichtungen, von Tiramisu bis Waldfrucht. In Deutschland erwartet die Branche 2014 einen Umsatz von mehr als 200 Millionen Euro.
Der Boom bringt Wissenschaftler in ein Dilemma: Elektronische Zigaretten sind zwar nicht gesund, die Risiken nicht quantifiziert – soll man sie dennoch empfehlen, einfach weil die Alternative noch schädlicher ist? Einige befürchten zudem, dass E-Zigaretten nicht nur auf Raucher anziehend wirken, die ihre Sucht in den Griff bekommen wollen – sondern auch Jugendliche zum Nikotinkonsum verleiten. Zumal, wenn das Dampfen als „gesündere“ Alternative beworben wird. Das Deutsche Krebsforschungszentrum warnte bereits vor süß schmeckenden „E-Shishas“, die auf Pausenhöfen zirkulieren.
Nicht einfacher wird die Situation dadurch, dass große Tabakkonzerne die E-Zigarette als Zukunftsprodukt entdecken, nachdem sie den Trend lange verschlafen haben. Reihenweise werden derzeit E-Zigaretten-Hersteller von Branchenriesen wie Japan Tobacco geschluckt. Die Industrie fürchtet, dass die E-Zigarette ihr „Kodak-Moment“ sein könnte – und sie ähnlich wie der Hersteller analoger Filme den Sprung in ein neues Zeitalter verpasst. Nun Produkte der Tabakindustrie zu empfehlen, stößt Aktivisten bitter auf, denn Big Tobacco hat kaum ein aufrichtiges Interesse daran, Raucher von ihrer Sucht zu befreien. In vielen Ländern geht der Konsum von Zigaretten zurück. Die Strategen der Industrie dürften versuchen, den Konsum auf anderem Wege zu stabilisieren.
In dieser verworrenen Gemengelage fehlen Forschern vor allem Daten über mögliche Risiken der E-Zigarette. „Das Nikotin gelangt beim Dampfen viel schneller in die Blutbahn. Das könnte ein Grund sein, warum Raucher so gern umsteigen“, sagt Compton. „Wir wissen noch nicht, wie sich diese schnellere Aufnahme auf den Körper auswirkt.“ Unklar ist auch, welche Chemikalien beim Verdampfen der Aromastoffe entstehen, die in vielen der „Liquids“ – den auswechselbaren nikotinhaltigen Flüssigkeitscontainern – enthalten sind.
„Die Konsumenten sind der Wissenschaft enteilt, wir müssen das aufholen“, fasst Compton die Situation zusammen. In den USA hat die mächtige „Food and Drug Administration“ (FDA) deshalb ein milliardenschweres Forschungsprogramm aufgelegt, um Langzeitfolgen des Dampfens zu untersuchen, und ebenso mögliche Auswirkungen auf „Passivdampfer“. Mit Ergebnissen rechnen die Forscher in ein bis zwei Jahren. In Europa gibt es bislang nichts Vergleichbares.
Die E-Zigarette als gesündere Alternative zum Tabak-Stängel? Da es bisher keine Langzeitstudien gibt, sind sich selbst Experten nicht einig darüber.
„Eine Milliarde Menschen könnten im 21. Jahrhundert an den Folgen des Rauchens sterben, wenn nichts passiert“, warnte Wilson Compton von den amerikanischen National Institutes of Health (NIH) auf der europäischen Wissenschaftskonferenz Esof in Kopenhagen. „Wir müssen dringend nach Alternativen suchen. Das ist eine Schlüsselfrage für die öffentlichen Gesundheitssysteme.“
Ob die elektronische Zigarette diese Alternative sein könnte, ist selbst für Experten wie Compton schwer zu beantworten. Forschung über Langzeitrisiken gibt es noch nicht – erst seit 2007 sind Dampfzigaretten auf dem Markt. Fakt ist: Während beim Rauchen konventioneller Zigaretten 4000 verschiedene Stoffe in den Körper gelangen, atmen „Dampfer“ nur Nikotin und Trägerstoffe wie Propylenglykol ein.
„Es ist der Rauch, der einen umbringt, nicht das Nikotin“, ist Deborah Arnott überzeugt. Als Geschäftsführerin der Organisation „Action on Smoking and Health“ ist die Britin nicht dafür bekannt, Risiken des Tabakkonsums zu verharmlosen, im Gegenteil: „Rauchen ist die größte vermeidbare Todesursache im Vereinigten Königreich“, schreibt die Organisation; zahlreiche Auszeichnungen hat Arnott für ihre Aufklärungskampagnen erhalten. Für wesentlich hält die Aktivistin jedoch nicht, die Sucht an sich auszuradieren, sondern „von Tabak ausgehenden Schaden zu minimieren“. Die E-Zigarette sei da ein klarer Fortschritt. „Diese Produkte können Rauchern helfen, aufzuhören“, sagt Arnott.
Erste Studien deuten zumindest darauf hin, dass Dampfer ihren Zigarettenkonsum auf mittlere Sicht einschränken. Rund jeder zweite Teilnehmer einer italienischen Studie rauchte nach 24 Wochen E-Zigaretten-Konsums nur noch weniger als die Hälfte der üblichen Anzahl Zigaretten. Jeder fünfte Proband kam ganz ohne Kippen aus; die meisten aus dieser Gruppe behielten jedoch das Dampfen bei. Bemerkenswert: Alle Teilnehmer hatten vor der Studie gar nicht die Absicht, mit dem Qualmen aufzuhören.
Dem positiven Zeugnis für E-Zigaretten schließen sich Experten wie Thomas Hartung nur bedingt an. „Nikotin ist sicher keine gute Substanz“, sagt der Lehrstuhlinhaber für evidenzbasierte Toxikologie an der Johns Hopkins Universität. „Wir wissen, dass die Produkte Risiken haben.“ So könne Nikotin die Apoptose, den programmierten Zelltod, stimulieren, und erhöhe somit das Krebsrisiko. Auch fruchtschädigende Wirkungen und eine Verengung der Blutgefäße seien nachgewiesen. Dennoch würde Hartung hartgesottenen Rauchern „unbedingt zum Umstieg raten“. Das Gesundheitsrisiko sei mit E-Zigaretten sicher „um den Faktor Zehn reduziert“, sagt Hartung. Einfach weil man dabei 4000 potenziell schädliche Substanzen weniger einatme.
Während die Experten diskutieren, schaffen die Konsumenten Fakten. 2013 machten die E-Zigaretten-Hersteller erstmals mehr als eine Milliarde Dollar Umsatz – immer noch ein Bruchteil des Hunderte Milliarden Dollar schweren Tabakmarkts, doch jeden Monat kommen rund zehn Marken dazu. Forscher von der Universität San Diego zählten 7700 verschiedene Geschmacksrichtungen, von Tiramisu bis Waldfrucht. In Deutschland erwartet die Branche 2014 einen Umsatz von mehr als 200 Millionen Euro.
Der Boom bringt Wissenschaftler in ein Dilemma: Elektronische Zigaretten sind zwar nicht gesund, die Risiken nicht quantifiziert – soll man sie dennoch empfehlen, einfach weil die Alternative noch schädlicher ist? Einige befürchten zudem, dass E-Zigaretten nicht nur auf Raucher anziehend wirken, die ihre Sucht in den Griff bekommen wollen – sondern auch Jugendliche zum Nikotinkonsum verleiten. Zumal, wenn das Dampfen als „gesündere“ Alternative beworben wird. Das Deutsche Krebsforschungszentrum warnte bereits vor süß schmeckenden „E-Shishas“, die auf Pausenhöfen zirkulieren.
Nicht einfacher wird die Situation dadurch, dass große Tabakkonzerne die E-Zigarette als Zukunftsprodukt entdecken, nachdem sie den Trend lange verschlafen haben. Reihenweise werden derzeit E-Zigaretten-Hersteller von Branchenriesen wie Japan Tobacco geschluckt. Die Industrie fürchtet, dass die E-Zigarette ihr „Kodak-Moment“ sein könnte – und sie ähnlich wie der Hersteller analoger Filme den Sprung in ein neues Zeitalter verpasst. Nun Produkte der Tabakindustrie zu empfehlen, stößt Aktivisten bitter auf, denn Big Tobacco hat kaum ein aufrichtiges Interesse daran, Raucher von ihrer Sucht zu befreien. In vielen Ländern geht der Konsum von Zigaretten zurück. Die Strategen der Industrie dürften versuchen, den Konsum auf anderem Wege zu stabilisieren.
In dieser verworrenen Gemengelage fehlen Forschern vor allem Daten über mögliche Risiken der E-Zigarette. „Das Nikotin gelangt beim Dampfen viel schneller in die Blutbahn. Das könnte ein Grund sein, warum Raucher so gern umsteigen“, sagt Compton. „Wir wissen noch nicht, wie sich diese schnellere Aufnahme auf den Körper auswirkt.“ Unklar ist auch, welche Chemikalien beim Verdampfen der Aromastoffe entstehen, die in vielen der „Liquids“ – den auswechselbaren nikotinhaltigen Flüssigkeitscontainern – enthalten sind.
„Die Konsumenten sind der Wissenschaft enteilt, wir müssen das aufholen“, fasst Compton die Situation zusammen. In den USA hat die mächtige „Food and Drug Administration“ (FDA) deshalb ein milliardenschweres Forschungsprogramm aufgelegt, um Langzeitfolgen des Dampfens zu untersuchen, und ebenso mögliche Auswirkungen auf „Passivdampfer“. Mit Ergebnissen rechnen die Forscher in ein bis zwei Jahren. In Europa gibt es bislang nichts Vergleichbares.