Nach Mursis Machtausbau stellt sich Ägyptens Richterschaft auf die Seite der Opposition. Aber auch die Justiz ist uneinig
Kairo - Ägyptens Richter und Anwälte gehen auf die Barrikaden. Kaum hatte Staatschef Mohammed Mursi sich per Dekret Vollmachten ohnegleichen verliehen - er vereinigt nun alle drei Staatsgewalten in seiner Hand -, riefen die Juristen zum Protest auf. Der einflussreiche Richterklub und andere Standesorganisationen rebellieren, die Juristen kündigten einen landesweiten Streik an. In einigen Städten im Nildelta und in Alexandria legten sie ihre Arbeit bereits nieder. Den Grund nannte der oberste Justizrat: 'Mursis beispielloser Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz'.
Der Staatschef hatte versucht, die Justiz bis zur Wahl eines neuen Parlaments im Frühjahr und der Verabschiedung einer neuen Verfassung als Kontrollorgan komplett auszuschalten. Seine früheren und zukünftigen Entscheidungen dürften von keinem Richter mehr infrage gestellt werden, verkündete Mursi am Donnerstag in seiner 'Verfassungserklärung'. Das heißt: Erst wenn das Land wieder Grundgesetz und Parlament hat, gibt der Präsident seine nicht nur für Ägypten nie da gewesene Machtfülle auf; er kontrolliert Exekutive, Legislative und Judikative, ohne Parlament und Verfassung. Seine Begründung: 'Ich wurde gewählt, das Heimatland vor Gefahr zu schützen. Das tue ich nun.'
Das sehen Richter und politische Gegner anders. Wichtige Oppositionsparteien und Aktivistengruppen haben sich zusammengeschlossen, verweigern jede Zusammenarbeit mit Mursi. Dieser müsse seine 'Verfassungserklärung' zurücknehmen. Der Oppositionspolitiker und Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei verglich Mursi gar mit einem 'neuen Pharao': 'Es kann keinen Dialog geben, wenn ein Diktator solche ungeheuerlichen, unterdrückerischen Dekrete erlässt.'
Das Staatsfernsehen meldete am Sonntag, Justizminister Ahmed Mekki vermittle zwischen der Regierung und der Justiz. Mekki berief demnach ein Treffen am Sitz des Obersten Gerichts in Kairo ein. Der Minister selbst hatte zuvor signalisiert, er habe gewisse Vorbehalte gegen Mursis Dekrete. Die Richterschaft hat sich auf die Seite der Opposition und der nun wieder auf dem Tahrir-Platz Protestierenden gestellt. Zumindest in Teilen: Ägyptens Richter sind uneins, denn Mursi hat Kritiker und Sympathisanten. 2006 hatte Nasser Amin, Direktor des Kairoer Zentrums für die Unabhängigkeit der Justiz, gesagt: 'Ägypten hat unabhängige Richter, aber keine unabhängige Justiz.' Das bringt das Dilemma auch 2012 auf den Punkt. Der 2011 gestürzte Autokrat Hosni Mubarak hatte während seiner Herrschaft alles getan, um Richter und Staatsanwälte gefügig zu machen. So schränkte er ihr Recht ein, Wahlen zu überwachen. Dagegen hatten sich die Juristen 2006 in einer 'Richter-Revolte' gewehrt.
Die Richterschaft ist zugleich extrem politisiert. Parallel zu den Gängelungsversuchen hatte die Opposition berufsständische Vereinigungen wie den Richterklub oder die Anwaltsvereinigung unterwandert. Die Islamisten, deren Elite aus der Mittelklasse stammt, sicherten sich so Einfluss auf die Judikative. Die Richter aber wurden vom Staat ernannt, Kandidaten für hohe Richterämter und der Generalstaatsanwalt von Mubarak handverlesen. Auslöser des Streits zwischen dem Islamisten Mursi und der Justiz war der Versuch, den von Mubarak auf Lebenszeit eingesetzten Generalstaatsanwalt Abdel Meguid Mahmud im Oktober als Vatikan-Botschafter wegzuloben. Mahmud weigerte sich, unterstützt von Teilen der Richterschaft.
Eines von Mursis Dekreten verfügt nun erneut die Absetzung dieses Mannes. Mahmud wird von vielen für die schleppende Verfolgung von Verantwortlichen des Mubarak-Regimes und für die vergleichsweise milden Urteile gegen den Ex-Präsidenten, seine zwei Söhne und den Innenminister mitverantwortlich gemacht. Ägypten hat die Todesstrafe; den Angeklagten war neben Korruption Mitverantwortung für die 850 Toten der Januar-Revolution vorgeworfen worden. Mubarak und Innenminister Habib Al-Adli bekamen lebenslang, die Söhne lange Haftstrafen. Nur wenige der Polizeioffiziere, die den Gewalteinsatz während der Unruhen 2011 kommandiert hatten, wurden zur Verantwortung gezogen. Auch für die ein Jahr später ausgebrochenen Unruhen mit 40 Toten sind keine hohen Offiziere belangt worden.
Der von Mursi eingesetzte neue Generalstaatsanwalt will nun eine 'revolutionäre Gerichtsbarkeit' auf den Weg bringen, die Prozesse gegen das alte Regime neu aufrollt. Auch das brüskiert die Richter: Ihre Urteile sind ungültig. So könnte Mursis Versuch, eine vom alten Regime bestallte Justiz auszuschalten und die 'Dritte Gewalt' über eine von Islamisten dominierte Verfassungsversammlung in seinem Sinne neu aufzustellen, zu neuer Gewalt führen - mit Teilen der Justiz aufseiten der Tahrir-Demonstranten.
Kairo - Ägyptens Richter und Anwälte gehen auf die Barrikaden. Kaum hatte Staatschef Mohammed Mursi sich per Dekret Vollmachten ohnegleichen verliehen - er vereinigt nun alle drei Staatsgewalten in seiner Hand -, riefen die Juristen zum Protest auf. Der einflussreiche Richterklub und andere Standesorganisationen rebellieren, die Juristen kündigten einen landesweiten Streik an. In einigen Städten im Nildelta und in Alexandria legten sie ihre Arbeit bereits nieder. Den Grund nannte der oberste Justizrat: 'Mursis beispielloser Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz'.
Der Staatschef hatte versucht, die Justiz bis zur Wahl eines neuen Parlaments im Frühjahr und der Verabschiedung einer neuen Verfassung als Kontrollorgan komplett auszuschalten. Seine früheren und zukünftigen Entscheidungen dürften von keinem Richter mehr infrage gestellt werden, verkündete Mursi am Donnerstag in seiner 'Verfassungserklärung'. Das heißt: Erst wenn das Land wieder Grundgesetz und Parlament hat, gibt der Präsident seine nicht nur für Ägypten nie da gewesene Machtfülle auf; er kontrolliert Exekutive, Legislative und Judikative, ohne Parlament und Verfassung. Seine Begründung: 'Ich wurde gewählt, das Heimatland vor Gefahr zu schützen. Das tue ich nun.'
Das sehen Richter und politische Gegner anders. Wichtige Oppositionsparteien und Aktivistengruppen haben sich zusammengeschlossen, verweigern jede Zusammenarbeit mit Mursi. Dieser müsse seine 'Verfassungserklärung' zurücknehmen. Der Oppositionspolitiker und Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei verglich Mursi gar mit einem 'neuen Pharao': 'Es kann keinen Dialog geben, wenn ein Diktator solche ungeheuerlichen, unterdrückerischen Dekrete erlässt.'
Das Staatsfernsehen meldete am Sonntag, Justizminister Ahmed Mekki vermittle zwischen der Regierung und der Justiz. Mekki berief demnach ein Treffen am Sitz des Obersten Gerichts in Kairo ein. Der Minister selbst hatte zuvor signalisiert, er habe gewisse Vorbehalte gegen Mursis Dekrete. Die Richterschaft hat sich auf die Seite der Opposition und der nun wieder auf dem Tahrir-Platz Protestierenden gestellt. Zumindest in Teilen: Ägyptens Richter sind uneins, denn Mursi hat Kritiker und Sympathisanten. 2006 hatte Nasser Amin, Direktor des Kairoer Zentrums für die Unabhängigkeit der Justiz, gesagt: 'Ägypten hat unabhängige Richter, aber keine unabhängige Justiz.' Das bringt das Dilemma auch 2012 auf den Punkt. Der 2011 gestürzte Autokrat Hosni Mubarak hatte während seiner Herrschaft alles getan, um Richter und Staatsanwälte gefügig zu machen. So schränkte er ihr Recht ein, Wahlen zu überwachen. Dagegen hatten sich die Juristen 2006 in einer 'Richter-Revolte' gewehrt.
Die Richterschaft ist zugleich extrem politisiert. Parallel zu den Gängelungsversuchen hatte die Opposition berufsständische Vereinigungen wie den Richterklub oder die Anwaltsvereinigung unterwandert. Die Islamisten, deren Elite aus der Mittelklasse stammt, sicherten sich so Einfluss auf die Judikative. Die Richter aber wurden vom Staat ernannt, Kandidaten für hohe Richterämter und der Generalstaatsanwalt von Mubarak handverlesen. Auslöser des Streits zwischen dem Islamisten Mursi und der Justiz war der Versuch, den von Mubarak auf Lebenszeit eingesetzten Generalstaatsanwalt Abdel Meguid Mahmud im Oktober als Vatikan-Botschafter wegzuloben. Mahmud weigerte sich, unterstützt von Teilen der Richterschaft.
Eines von Mursis Dekreten verfügt nun erneut die Absetzung dieses Mannes. Mahmud wird von vielen für die schleppende Verfolgung von Verantwortlichen des Mubarak-Regimes und für die vergleichsweise milden Urteile gegen den Ex-Präsidenten, seine zwei Söhne und den Innenminister mitverantwortlich gemacht. Ägypten hat die Todesstrafe; den Angeklagten war neben Korruption Mitverantwortung für die 850 Toten der Januar-Revolution vorgeworfen worden. Mubarak und Innenminister Habib Al-Adli bekamen lebenslang, die Söhne lange Haftstrafen. Nur wenige der Polizeioffiziere, die den Gewalteinsatz während der Unruhen 2011 kommandiert hatten, wurden zur Verantwortung gezogen. Auch für die ein Jahr später ausgebrochenen Unruhen mit 40 Toten sind keine hohen Offiziere belangt worden.
Der von Mursi eingesetzte neue Generalstaatsanwalt will nun eine 'revolutionäre Gerichtsbarkeit' auf den Weg bringen, die Prozesse gegen das alte Regime neu aufrollt. Auch das brüskiert die Richter: Ihre Urteile sind ungültig. So könnte Mursis Versuch, eine vom alten Regime bestallte Justiz auszuschalten und die 'Dritte Gewalt' über eine von Islamisten dominierte Verfassungsversammlung in seinem Sinne neu aufzustellen, zu neuer Gewalt führen - mit Teilen der Justiz aufseiten der Tahrir-Demonstranten.