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Von Hexen und Erlösern

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Der Mann hat das Zeug zum Entertainer, auch wenn er in seinem Messgewand erst einmal recht feierlich wirkt. Aber Vater Rydzyk, wie ihn hier alle nennen, erzeugt mit lebhaften Gesten und einer energischen Stimme rasch eine Atmosphäre der Zwanglosigkeit. Im wichtigsten polnischen Wallfahrtsort hat sich eine Menschenmenge zur jährlichen Pilgerfahrt versammelt, um zur „schwarzen Muttergottes von Tschenstochau“ zu beten. Nach dem Gottesdienst darf gelacht werden. „Polen, liebt Ihr Kinder oder nicht?“, fragt Rydzyk vom Podest hinab ins Publikum, das sich auf einer großen Wiese vor der Mauer des Pauliner-Klosters versammelt hat. „Jaaa“, antwortet die Menge. Vater Rydzyk ist in seinem Element.

Tausende lauschen hier, auf dem „Hellen Berg“ von Tschenstochau, seinen Worten. Und Millionen weitere fromme Katholiken verfolgen den Auftritt live über Radio Maria und über den Fernsehsender TV Trwam. Gründer und Direktor dieser beiden Kanäle ist Tadeusz Rydzyk selbst.



Auf dem Land kommen Radio Maria und TV Trwan gut an

Der 69-jährige Redemptoristen-Priester aus Thorn ist in Polen ein mächtiger Mann. Die Zeitschrift Wprost, die Jahr für Jahr die 50 einflussreichsten Persönlichkeiten des Landes auflistet, führt ihn in der Spitzengruppe und setzte ihn 2012 auf Platz eins, noch vor Premierminister Donald Tusk. Denn als Inhaber eines Medien-konzerns, als Geschäftsmann, ungekrönter Kirchenfürst und politischer Strippenzieher im Lager der national-katholischen Opposition setzt Rydzyk mehr Menschen in Bewegung als irgendein Politiker, wie auch Oppositionsführer Jarosław Kaczyński einräumte.

Mit Kaczyński steht der Ordensmann in spannungsreichen Beziehungen, ebenso mit anderen Politikern der nationalen Rechten und vielen Bischöfen, denen seine Aktivitäten nicht geheuer sind. Mehrmals wurden ihm Hetze und Antisemitismus vorgeworfen.

2007 hatte er vor Studenten an seiner Medienhochschule in Thorn erklärt, der damalige national-katholische Präsident Lech Kaczyński, der später bei einem Flugzeugunglück umkam, sei „ein Betrüger, den die jüdische Lobby in der Tasche hat“. Seine Frau sei eine Hexe, die die Euthanasie unterstütze und sich besser selber „der Euthanasie unterziehen“ solle. Ein Aufschrei war die Folge. Das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles nannte den Pater „Joseph Goebbels im Priesterkragen“. Der Vatikan hielt lange Abstand, ebenso der polnische Papst Johannes Paul II.

Umso freudiger begrüßt Tadeusz Rydzyk in Tschenstochau vor farbenfroher Kulisse aus Fahnen und Transparenten ein Mitglied der Kurie als Gast: den polnischen Erzbischof Zygmunt Zimowski, der den „Päpstlichen Rat für die Pastoral im Krankendienst“ leitet. Auch andere Bischöfe und Geistliche sind zugegen, darunter ein Propst aus Chicago und ein Uni-Rektor aus Cochabamba.

Mit Verve rennt Rydzyk, der salbungsvolle Agitator, gegen seine Gegner an, zum Beispiel gegen die liberale Zeitung Gazeta Wyborcza, die ihn immer wieder kritisiert. „So viele Dummheiten“, sagt er über das Blatt, „so viele Lügen, Lügen, Lügen, Lügen!“ Und stürzt sich auf das aktuelle Lieblingsthema der polnischen Kirche, dem er auf Radio Maria und Trwam viel Platz einräumt: „die gefährliche Gender-Ideologie“, wie die katholische Bischofskonferenz sie nennt. In den Augen der Oberhirten ist der aus dem Westen hergeschwappte Diskurs über Geschlechterrollen und die sexuelle Orientierung der Menschen ein Ausfluss von Marxismus, Feminismus und sexueller Revolution – gleich dreier Übel auf einmal also. Homosexualität sei „außerhalb der Ordnung“, erklärten die Bischöfe in einem Pastoralbrief. Die Homo-Ehe sei für sie nicht akzeptabel.

Als „Plan zur Demontage der Familie“ und als „Anschlag auf die Kinder“, die „frühestmöglich sexualisiert werden sollen“, wird der Gender-Diskurs auch in der Tageszeitung Nasz Dzennik attackiert, die ebenfalls zum frommen Thorner Konzern um Vater Rydzyk gehört. Man dränge „den Kindern institutionell den Inzest und die Pädophilie auf“, doziert Professor Piotr Jaroszyński in seiner regelmäßigen Kolumne. „Dieses Gender, das ist eine sehr wichtige Sache“, ruft auch Vater Rydzyk der großen Schar seiner Anhänger auf der Wiese zu, „da kommt ein Tsunami über Polen!“

Doch es gebe Abhilfe, Gott sei Dank. Man greife zu den Büchern über die „Gender-Revolution“, die das Thorner Medienimperium des Paters in den Zelten am Rande der Wiese zum Verkauf anbietet. Um „die Kulturrevolution der Neuen Linken“ geht es darin und um „die Finanzierung der Homo-Lobby in Polen“, auch der Pastoralbrief der Bischöfe wird abgedruckt. „An die Arbeit!“, ruft der Pater den Gläubigen zu und animiert sie, die Bücher zu kaufen, zu lesen und zu verbreiten. „An die Arbeit! Jaaaaa oder Nein?“ Die Menge antwortet abermals: „Jaaa!“

Es gibt noch ein paar andere Themen, die in Tschenstochau in den Medien des Redemptoristen-Paters breitgewalzt werden, begleitet von frommen Gesängen und kitschigen Herz-Jesu-Illustrationen. Dazu gehört der Kampf gegen künstliche Befruchtung und gegen Abtreibung in jeder Form. Der Held des national-katholischen Lagers in diesen Fragen ist der Warschauer Klinikdirektor Bogdan Chazan. Er wurde entlassen, weil er gesetzeswidrig einer Frau, die mit einem schwerstbehinderten Kind schwanger war, die Abtreibung verweigerte. Der Eingriff ist in Polen nur in wenigen extremen Fällen erlaubt. In Fällen wie diesem. Die Frau gebar vor der Zeit, das Kind war nicht lebensfähig. Professor Chazan aber gilt den „Lebensschützern“ nun als vorbildlicher Arzt.

Kritiker werfen der Kirche und dem Ideologen Rydzyk vor, sie wollten mit derlei Kampagnen auch von Skandalen ablenken, die in den Sendungen von Radio Maria nie vorkommen: Etwa von sexuellem Missbrauch katholischer Priester an Jugendlichen in Polen – mehr als zwei Dutzend Geistliche kamen wegen solcher Fälle vor Gericht. Der spektakulärste Fall ist der des Erzbischofs Józef Wesołowski, der Nuntius des Vatikans in der Dominikanischen Republik war; der Papst berief ihn ab und versetzte ihn in den Laienstand, ein Prozess steht noch aus.

Derlei Vorgänge, aber auch der gesellschaftliche Wandel setzen der Kirche zu. Auch im Wallfahrtsort Tschenstochau ist das zu spüren. Zu Mariä Himmelfahrt wurden in diesem Jahr bei 59 Wallfahrten nur 73400 Pilger gezählt, vor zehn Jahren waren es noch 103300. Die Zahl der sonntäglichen Gottesdienstbesucher ist ebenfalls stark zurückgegangen, auf nur noch 40 Prozent der eingetragenen Katholiken, die immer noch 87 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Am stärksten spürt man den Wandel in den großen Städten und im Westen des Landes, und am ehesten sind die Bewohner der ländlichen Gebiete im Osten dagegen resistent.

Dort, wo der Bildungsgrad am niedrigsten und die Arbeitslosigkeit am höchsten ist, hat Radio Maria seine treuesten Hörer. Und dort lebt noch jener altpolnische Eigensinn, für den zum wahren Polentum, der Polskość, neben der Liebe zum Vaterland auch die Liebe zur Kirche und zur Muttergottes von Tschenstochau gehört. Es ist das rückständige Polen – in den Augen der urbanen, europaoffenen Mittelschicht. Das echte Polen – so sehen es die National-Religiösen selber.

Der Einfluss des Radio-Maria-Komplexes trotz seiner starken öffentlichen Präsenz beschränkt. Bei Wahlen machen die Hörer etwa ein Viertel bis ein Drittel der Stimmen aus, die der von Jarosław Kaczyński geführten Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und mehreren rechten Splittergruppen zugute kommen dürften. Jedenfalls nicht der Linken und keineswegs auch der liberal-konservativen Bürgerplattform (PO) des Ministerpräsidenten Donald Tusk, deren „Pseudorefor-mer“ ja der Gender-Ideologie gerade Tür und Tor öffnen.

Eine ältere Frau rastet mit zwei Freundinnen nach dem Gottesdienst in Tschenstochau am Rand der großen Wiese. „Liberal ist doch schlimmer als kommunistisch“, sagt sie, treue Hörerin von Radio Maria. Ihren Namen und Herkunftsort wollen die drei Frauen nicht nennen, nur so viel: sie kommen aus dem Osten. Und sie zählen auf, was ihnen an ihrem Land, dessen Zustand Radio Maria regelmäßig in den düstersten Farben malt, nicht behagt: die hohe Arbeitslosigkeit, die Auswanderung so vieler junger Leute, die vielen ausländischen Waren in den Supermärkten, „und alles ist so teuer“. Jedenfalls für Rentnerinnen im polnischen Osten. Die Wallfahrt nach Tschenstochau ist für sie „etwas Wunderbares“, und „Radio Maria ist sehr wichtig für mich“, sagt eine der drei. „Sie sagen uns die Wahrheit.“

So sehen es drei Männer aus der Stadt Ostrów Mazowiecka, die nach dem Ende der Predigt mit einem Schild und einer Fahne den Platz verlassen. Was sie von Vater Rydzyk halten? „Ich stimme hundertprozentig mit ihm überein“, antwortet einer von ihnen.

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