Was geht und was nicht geht, das weiß Antje von Dewitz ziemlich genau. In 60 Produktionsstätten weltweit lässt Dewitz, Chefin des Tettnanger Outdoor-Herstellers Vaude, Kleidung herstellen. „Wir können nicht einfach hergehen und sagen, du bezahlst jetzt mehr.“ Dazu fehle ihr, so gern sie das täte, die Marktmacht. „Die Großen können da eher sagen, macht das doch bitte“, sagt Dewitz. „Vielleicht können die das ,Bitte‘ sogar weglassen.“
Am Donnerstag haben die Großen lieber Nein danke gesagt.
Dabei sollten alle dabei sein: die großen Modehersteller, der Einzelhandel, die Textilketten. Sechs Monate lang hatten sie über das vom deutschen Entwicklungsministerium initiierte „Bündnis für nachhaltige Textilien“ verhandelt. Ein „Aktionsplan“ sollte sie auf die Einhaltung hoher Standards verpflichten, zu Mindestlöhnen und Umweltschutz in ihren Produktionsstätten. „Die unterzeichnende Organisation ist sich bewusst, dass der gemeinsame Aktionsplan insbesondere wegen der Komplexität der internationalen Lieferketten und Heterogenität in Handel und Industrie ambitioniert ist“, so lasen Unternehmen und Verbände vorige Woche in der Beitrittserklärung zum Bündnis.
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Entwicklungsminister Müller (r.) bei der Vorstellung des Textilbündnisses
Doch die wenigsten von ihnen unterschrieben, gerade der Komplexität wegen. Denn wie in kaum einer anderen Branche wurden die Werkbänke der Textilindustrie in den vergangenen Jahren immer weiter verlängert. „Das Problem ist, dass der Konfektionär in Bangladesch vielleicht den Stoff in Kambodscha zukauft, und der wieder hat das Garn aus China“, sagt Hartmut Spiesecke, der für den Verband Textil und Mode über das Bündnis verhandelte. Deshalb ließen sich die schönsten Standards nicht so ohne Weiteres umsetzen. „Natürlich hat keiner etwas gegen existenzsichernde Löhne“, sagt Spiesecke. „Die Frage ist aber, wer ist dafür verantwortlich?“ Als Auftraggeber eines Subunternehmers, der sich weiterer Zulieferer bediene, könne ein deutsches Unternehmen da oft nicht viel tun. Vorigen Freitag sagte der Verband dem Bündnis ab, ebenso der wichtige Handelsverband HDE. Von 60 Unternehmen und Verbänden, die an den Gesprächen beteiligt waren, sind nur gut 30 beigetreten, darunter Firmen wie Vaude, Trigema oder Hess Natur. Firmen wie Adidas oder Puma, Händler wie Kik, Aldi oder C&A – die Großen also – sucht man vergebens.
Für Gerd Müller, den Entwicklungsminister von der CSU, ist das eine klare Niederlage. Im April hatte er ohne großes Vorgeplänkel zur Bildung des Bündnisses aufgerufen. Seitdem ließ er in vier Arbeitsgruppen darüber verhandeln. Die einen befassten sich mit Mindestanforderungen, die anderen mit Kontrollen, wieder andere klopften bestehende Siegel ab. Das Vorhaben, so räumte Müller zwischenzeitlich ein, sei schwieriger als die Maut.
64 Seiten hat der „Aktionsplan“ des Bündnisses, doch zu drei Vierteln besteht er aus haarkleinen Anhängen: über die Zulassung von Chemikalien, die Standards für Spinnen, Weben, Stricken, über „ethische Geschäftspraktiken“ und „Zeitziele“, bis zu denen bestimmte Normen zu erfüllen sind. Der Minister wollte alles ganz genau regeln. Zu genau, ärgern sich viele Unternehmensvertreter.
Die stehen nun selbst in der Kritik. „Ich halte es für überhaupt nicht überzeugend, dass man sich so einem Bündnis nicht anschließt“, sagt Rainer Hoffmann, Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Die Unternehmen seien „keine Frittenbuden, sondern global vernetzt“, findet Hoffmann. „Dann zu sagen, das kriegen wir nicht hin, geht nicht.“ Derweil behelfen sich die Verbände mit einem bemerkenswerten Spagat. Der Handelsverband HDE etwa rang sich noch schnell eine Absichtserklärung ab. Darin heißt er die Ziele des Bündnisses grundsätzlich willkommen. „Die Branche unterstützt daher die Bildung eines Textilbündnisses“, schreiben die Händler. Aber gleich unterschreiben? Das dann doch lieber nicht. Auch die Modeindustrie beeilt sich zu erklären, dass sie „natürlich gegen Kinderarbeit“ sei. Viele andere Vorgaben aber könne man schlicht nicht mittragen.
So gibt es nach einem halben Jahr Vorarbeit eigentlich nur Verlierer. Müller hat ein Bündnis, bei dem kaum einer mitmacht. Für die Textilarbeiter in Bangladesch, Vietnam oder Kambodscha ändert sich nichts. Und jene Unternehmen, die dem Bündnis fernbleiben, müssen sich vorwerfen lassen, aus der Katastrophe in der bangladeschischen Textilfabrik Rana Plaza nichts gelernt zu haben. „Wir reden hier eigentlich über Selbstverständlichkeiten“, sagt Christiane Schnura, Koordinatorin der Clean Clothes Campaign. „Es müsste doch selbstverständlich sein, dass eine Näherin von ihrer Arbeit leben kann.“
Das sieht Gerd Müller genauso. Um kein Jota will er von seinen Plänen ablassen. „Kinderarbeit, Zwangsarbeit, Tod durch Chemikalien, das muss aufhören“, sagt er. „Das ist nicht verhandelbar.“ Im Augsburger Textilmuseum hat er sich kürzlich noch einmal mit dem Schlesischen Weberaufstand von 1844 vertraut gemacht. Für den Minister gleicht die Lage in Schlesien damals der in manchem Herkunftsland hiesiger Klamotten heute. „Und wir akzeptieren das, denn wir sehen das ja nicht: Elend, Hunger, Not.“ An Leidenschaft gebricht es Müller nicht – nur der Erfolg bleibt aus. „Minister Müller erzählt viel“, kritisiert die Grünen-Verbraucherpolitikerin Renate Künast. Doch letztlich drücke sich der Minister vor klaren, europäischen Regelungen für Textilimporte.
Müller selbst dagegen setzt auf die Einsicht der Wirtschaft. „Die Tür ist offen“, sagt er. „Auch in den nächsten Tagen und Wochen.“ Auf dem kommenden G-7-Gipfel werde das Thema eine Rolle spielen, Deutschland ist da Gastgeber. Und noch bis Januar wolle das Ministerium ein Internetportal schaffen, das „Licht in den Dschungel“ der diversen Textilsiegel bringt. Mit einem eigenen „grünen Knopf“ will Müller dann jene Unternehmen auszeichnen, die sich nicht nur zu den Textilstandards des neuen Bündnisses bekennen, sondern sie am Ende sogar einhalten. Fehlen nur noch die Partner: Ohne Knopfloch hält der schönste Knopf nichts.
Am Donnerstag haben die Großen lieber Nein danke gesagt.
Dabei sollten alle dabei sein: die großen Modehersteller, der Einzelhandel, die Textilketten. Sechs Monate lang hatten sie über das vom deutschen Entwicklungsministerium initiierte „Bündnis für nachhaltige Textilien“ verhandelt. Ein „Aktionsplan“ sollte sie auf die Einhaltung hoher Standards verpflichten, zu Mindestlöhnen und Umweltschutz in ihren Produktionsstätten. „Die unterzeichnende Organisation ist sich bewusst, dass der gemeinsame Aktionsplan insbesondere wegen der Komplexität der internationalen Lieferketten und Heterogenität in Handel und Industrie ambitioniert ist“, so lasen Unternehmen und Verbände vorige Woche in der Beitrittserklärung zum Bündnis.
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Entwicklungsminister Müller (r.) bei der Vorstellung des Textilbündnisses
Doch die wenigsten von ihnen unterschrieben, gerade der Komplexität wegen. Denn wie in kaum einer anderen Branche wurden die Werkbänke der Textilindustrie in den vergangenen Jahren immer weiter verlängert. „Das Problem ist, dass der Konfektionär in Bangladesch vielleicht den Stoff in Kambodscha zukauft, und der wieder hat das Garn aus China“, sagt Hartmut Spiesecke, der für den Verband Textil und Mode über das Bündnis verhandelte. Deshalb ließen sich die schönsten Standards nicht so ohne Weiteres umsetzen. „Natürlich hat keiner etwas gegen existenzsichernde Löhne“, sagt Spiesecke. „Die Frage ist aber, wer ist dafür verantwortlich?“ Als Auftraggeber eines Subunternehmers, der sich weiterer Zulieferer bediene, könne ein deutsches Unternehmen da oft nicht viel tun. Vorigen Freitag sagte der Verband dem Bündnis ab, ebenso der wichtige Handelsverband HDE. Von 60 Unternehmen und Verbänden, die an den Gesprächen beteiligt waren, sind nur gut 30 beigetreten, darunter Firmen wie Vaude, Trigema oder Hess Natur. Firmen wie Adidas oder Puma, Händler wie Kik, Aldi oder C&A – die Großen also – sucht man vergebens.
Für Gerd Müller, den Entwicklungsminister von der CSU, ist das eine klare Niederlage. Im April hatte er ohne großes Vorgeplänkel zur Bildung des Bündnisses aufgerufen. Seitdem ließ er in vier Arbeitsgruppen darüber verhandeln. Die einen befassten sich mit Mindestanforderungen, die anderen mit Kontrollen, wieder andere klopften bestehende Siegel ab. Das Vorhaben, so räumte Müller zwischenzeitlich ein, sei schwieriger als die Maut.
64 Seiten hat der „Aktionsplan“ des Bündnisses, doch zu drei Vierteln besteht er aus haarkleinen Anhängen: über die Zulassung von Chemikalien, die Standards für Spinnen, Weben, Stricken, über „ethische Geschäftspraktiken“ und „Zeitziele“, bis zu denen bestimmte Normen zu erfüllen sind. Der Minister wollte alles ganz genau regeln. Zu genau, ärgern sich viele Unternehmensvertreter.
Die stehen nun selbst in der Kritik. „Ich halte es für überhaupt nicht überzeugend, dass man sich so einem Bündnis nicht anschließt“, sagt Rainer Hoffmann, Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Die Unternehmen seien „keine Frittenbuden, sondern global vernetzt“, findet Hoffmann. „Dann zu sagen, das kriegen wir nicht hin, geht nicht.“ Derweil behelfen sich die Verbände mit einem bemerkenswerten Spagat. Der Handelsverband HDE etwa rang sich noch schnell eine Absichtserklärung ab. Darin heißt er die Ziele des Bündnisses grundsätzlich willkommen. „Die Branche unterstützt daher die Bildung eines Textilbündnisses“, schreiben die Händler. Aber gleich unterschreiben? Das dann doch lieber nicht. Auch die Modeindustrie beeilt sich zu erklären, dass sie „natürlich gegen Kinderarbeit“ sei. Viele andere Vorgaben aber könne man schlicht nicht mittragen.
So gibt es nach einem halben Jahr Vorarbeit eigentlich nur Verlierer. Müller hat ein Bündnis, bei dem kaum einer mitmacht. Für die Textilarbeiter in Bangladesch, Vietnam oder Kambodscha ändert sich nichts. Und jene Unternehmen, die dem Bündnis fernbleiben, müssen sich vorwerfen lassen, aus der Katastrophe in der bangladeschischen Textilfabrik Rana Plaza nichts gelernt zu haben. „Wir reden hier eigentlich über Selbstverständlichkeiten“, sagt Christiane Schnura, Koordinatorin der Clean Clothes Campaign. „Es müsste doch selbstverständlich sein, dass eine Näherin von ihrer Arbeit leben kann.“
Das sieht Gerd Müller genauso. Um kein Jota will er von seinen Plänen ablassen. „Kinderarbeit, Zwangsarbeit, Tod durch Chemikalien, das muss aufhören“, sagt er. „Das ist nicht verhandelbar.“ Im Augsburger Textilmuseum hat er sich kürzlich noch einmal mit dem Schlesischen Weberaufstand von 1844 vertraut gemacht. Für den Minister gleicht die Lage in Schlesien damals der in manchem Herkunftsland hiesiger Klamotten heute. „Und wir akzeptieren das, denn wir sehen das ja nicht: Elend, Hunger, Not.“ An Leidenschaft gebricht es Müller nicht – nur der Erfolg bleibt aus. „Minister Müller erzählt viel“, kritisiert die Grünen-Verbraucherpolitikerin Renate Künast. Doch letztlich drücke sich der Minister vor klaren, europäischen Regelungen für Textilimporte.
Müller selbst dagegen setzt auf die Einsicht der Wirtschaft. „Die Tür ist offen“, sagt er. „Auch in den nächsten Tagen und Wochen.“ Auf dem kommenden G-7-Gipfel werde das Thema eine Rolle spielen, Deutschland ist da Gastgeber. Und noch bis Januar wolle das Ministerium ein Internetportal schaffen, das „Licht in den Dschungel“ der diversen Textilsiegel bringt. Mit einem eigenen „grünen Knopf“ will Müller dann jene Unternehmen auszeichnen, die sich nicht nur zu den Textilstandards des neuen Bündnisses bekennen, sondern sie am Ende sogar einhalten. Fehlen nur noch die Partner: Ohne Knopfloch hält der schönste Knopf nichts.