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Motivationskriege

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Daniel Jurgeleit spielt gern mit neuer Technik. Deshalb geht die Musik an, wenn der Englischlehrer mit dem Beamer-Wagen um die Ecke biegt. So laut, dass sich alle um ihn versammeln, als er in die Klasse kommt und das Spiel beginnt. Die ersten fünf bis zehn Minuten des Unterrichts gehören „World of Classcraft“, seit die Schüler der sechsten Klasse am Staufer-Gymnasium im baden-württembergischen Pfullendorf mit dem Fantasy-Spielen begonnen haben. Am Anfang der Stunde begrüßen die Schüler ihren Lehrer auf Elbisch, also mit der Sprache aus „Herr der Ringe“: „Alae, mellon!“ Auf dem Beamer-Bild neben der Tafel schauen sie sich ihre aktuellen Punktestände an. Dann gleich der erste Schrecken: Tom ist tot. Er hat etwas Vergiftetes gegessen. Auf dem Standbild von Toms Online-Spielfigur, das vorne erscheint, steht er noch als stolzer Krieger da. Jetzt hat ihm das Tagesereignis, bei dem heute alle Spieler zehn Lebenspunkte verlieren, den Rest gegeben.




Online-Teamwork statt einsam Vokabeln lernen - das Pilot-Projekt "World of Classcraft".


Der junge Lehrer Jurgeleit sitzt auf einem Tisch in der ersten Reihe und zückt grinsend sein Smartphone. Er verkündet die Strafe: zu Hause zwei Seiten abschreiben. Dann kann Tom wieder mitspielen. Andere hat es schon schlimmer getroffen, nachsitzen zum Beispiel. Bis auf diese lästigen Strafen lieben die Schüler das Spiel.


„World of Classcraft“ ist so etwas wie die 2.0-Version des Bienchen-Stempels. Es ist eine neue Antwort auf die alte Frage: Wie motiviere ich Schüler? Das Rollenspiel soll sie in der Welt abholen, in der sie zu Hause sind: in der virtuellen, im Universum der Online-Spiele, die viele Jugendliche fesseln, oft Stunden pro Tag. Diese Faszination soll nun dem Unterricht zu Gute kommen. „Gerade die schwachen Schüler, die sich wenig für den Unterricht interessieren, holt man mit so einem Angebot wieder zurück in den Unterricht“, sagt Stefan Aufenanger, Professor für Medienpädagogik an der Uni Mainz. „Generell ist das schon ein Trend, der auf die Schulen zukommt.“


Ein Blick ins Klassenzimmer in Pfullendorf: Konkret sammeln Schüler da Punkte über ihre Mitarbeit und Kooperation im Unterricht, sie erwerben neue Fähigkeiten und können in höhere Levels aufsteigen. Sie können Punkte auch wieder verlieren, wenn sie zum Beispiel zu spät zum Unterricht kommen oder stören. Seit diesem Schuljahr gibt es eine deutschsprachige App von „World of Classcraft“, Jurgeleit ist der Erste, der sie mit Schülern ausprobiert.


„Ich habe mit 15 angefangen zu spielen, mit dem ,Schwarzen Auge‘, diesem ganz alten Papier-und-Bleistift-Rollenspiel“, sagt der Lehrer. Der Mittdreißiger in T-Shirt und Sportschuhen hat ein Glänzen in den Augen, wenn er den Spielablauf von Classcraft erklärt: „Am Anfang des Schuljahres bilden die Schüler Gruppen von sechs bis acht Leuten. Dann kann sich jeder einen Charakter aussuchen: Sie können Krieger sein, Magier oder Priester. Jeder dieser Charakter hat eigene Fähigkeiten. Einer kann besser heilen, der andere besser kämpfen.“ Wenn die Schüler im Online-Spiel Erfolg haben, dann bekommen sie dafür Belohnungen im wahren Leben. Sie dürfen im Unterricht essen, über Kopfhörer Musik hören. Man kann sogar für die Klassenarbeit einen Spickzettel bekommen. Bis dahin muss man allerdings viele, viele Punkte sammeln. Für besonders gute Mitarbeit bekommt man nach jeder Stunde 50 Erfahrungspunkte, für richtige Antworten in der Stunde 20. Wer einen Fehler beim Lehrer entdeckt, bekommt 50 extra.


Jurgeleit macht die Eingaben locker nebenbei, auf seinem Smartphone. Als ein Schüler im Unterricht stört, bekommt dieser von ihm zehn Schadenspunkte. Aber die Mitschüler eilen ihm zu Hilfe. Ein „Krieger“ meldet sich und fängt die Schadenspunkte ab. Dann erklärt ein „Priester“, den „Krieger“ heilen zu wollen. Das alles kann schon mal eine Weile dauern. So viel Unterrichtszeit für ein Spiel? Und das auch noch im achtjährigen Gymnasium, bei dem es kaum Zeit für Extras gibt? Ist der ganze Ansatz nicht seltsam?


„Tatsächlich wird die Mitarbeit über das Schuljahr immer weniger wichtig für den Punktestand“, sagt der Lehrer, „Teamwork gewinnt an Bedeutung.“ Die Schüler sollten lernen, sich gegenseitig zu beschützen, Aufgaben gemeinsam zu lösen. Diese sozialen Fähigkeiten könnten sie auch in anderen Fächern anwenden. Mitarbeitsnoten vergibt Jurgeleit sowieso, wie bisher, nach einer separaten Strichliste.


Es geht auch um zusätzliche Motivation, über Goldmünzen. Mitten in der Stunde meldet sich stürmisch ein Mädchen. „Ich hab‘ die Extra-Arbeitsblätter gemacht.“ Wenn alles richtig ist, bekommt sie dafür Goldmünzen gutgeschrieben, mit denen sie sich im Spiel neue Ausrüstung leisten kann. Von seinem „Tod“ hat sich Tom inzwischen erholt. Nach der Stunde gibt er sich wieder selbstbewusst:„Ich finde Classcraft super. Da wissen wir halt genau, ob wir gut mitgemacht haben.“ Auch Jurgeleit ist begeistert: „Ich hatte schon Schüler, die haben sich von einer Vier auf eine Zwei hochgekämpft, mündlich und schriftlich. Viele raufen sich in den Gruppen zusammen und gucken, dass sie diese Abenteuer in Form des Schulalltags bewältigen.“ Das seien ihm die zwei Stunden wert, die er pro Woche dafür investiert.


Professor Aufenanger findet das Spiel „spannend“. Kritisch sieht er aber die Punktelisten: „Das würden wir ja eigentlich gern abschaffen, dass Schüler nach Leistungen eingestuft werden.“ Etwas sehr idealistisch findet das Jurgeleit: „Bei den Noten vergleichen sich die Kinder selbst auch ständig. Und Classcraft kann das sogar etwas entschärfen, weil man ja mit genügend Punkten auch beruhigt mal eine Hausaufgabe vergessen kann.“ Ein anderes Problem sieht Aufenanger darin, dass es begeisterte Lehrer für solche Spiele brauche. „Heutzutage gibt es eher Einzelprojekte, etwa wenn im Geschichtsunterricht ,Siedler‘ gespielt wird.“ Ob das Konzept in der Breite funktioniere, sei fraglich. Viele Lehrer hätten eher große Vorbehalte dagegen. „Die denken bei Computerspielen eben gleich an Killerspiele.“


Natürlich sei das Spiel „kein Allheilmittel für den Unterricht“, sagt Englischlehrer Jurgeleit. „Eher ein Extra obendrauf.“ Aber eines, das funktionieren kann.




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