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Internationale Scheinheiligkeit

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Bei einem Brand in einer pakistanischen Textilfabrik sind vor zwei Jahren 254 Menschen ums Leben gekommen, 55 wurden verletzt. Das European Centre for Constitutional and Human Rights (ECCHR) hat jetzt angekündigt, den Hauptabnehmer der Fabrik, den deutschen Textildiscounter KiK, vor Gericht bringen zu wollen.



Das internationale Wirtschaftsrecht ist gut entwickelt. Wenn es aber um Verantwortung geht, nutzen die Konzerne die jeweiligen Rechtsräume und die Beschäftigten aus - wie hier in Bangladesh..

SZ: Frau Saage-Maaß, Sie waren nach dem Brand insgesamt drei Mal in Pakistan und haben mit den Betroffenen gesprochen. Wie ist Ihr Eindruck?

Miriam Saage-Maaß: Ich war vor allem beeindruckt, wie gut sich die Verletzten und Hinterbliebenen des Unglücks organisiert haben. In anderen Ländern haben wir oft erlebt, dass die Arbeiter in ähnlichen Situationen relativ hilflos reagiert haben. In diesem Fall aber haben sich die Betroffenen zusammengeschlossen, um strategisch agieren zu können: Sie versuchen jetzt die Sicherheit in anderen Fabriken zu verbessern, sie fordern selbstbewusst ihre Rechte ein und wollen vor Gericht ziehen. Dabei geht es ihnen nicht nur um Entschädigungen, sondern auch im politischen Sinne um Gerechtigkeit. Das formulieren sie sehr exakt. Man spürt, dass es in Pakistan eine andere Gewerkschaftstradition gibt als zum Beispiel in Bangladesch.

KiK ist ein dramatischer, aber nicht der erste Fall. Warum bleibt es so schwierig, Konzerne für die Arbeitsbedingungen in ihren Zulieferbetrieben zur Verantwortung zu ziehen?

Rechtlich gesehen handelt es sich um verschiedene Firmen. Aus der nationalen Perspektive des 20. Jahrhunderts, die immer noch das Bürgerliche Gesetzbuch dominiert, haben KiK und seine Zulieferer keinerlei Verantwortung füreinander. In einem nationalen Kontext mag das sinnvoll sein, aber den globalen Wirtschaftsstrukturen wird das nicht mehr gerecht. Die globalen Zulieferstrukturen sind heute so verzweigt, dass Unternehmen ihre Verantwortung problemlos auslagern können. Es herrscht eine „organisierte Verantwortungslosigkeit“. Da muss das Recht der Realität angepasst werden.

Könnte man das Problem so beschreiben: Es gibt einen Wirtschaftsraum, aber verschiedene Rechtsräume, die gegeneinander ausgespielt werden?

Nicht ganz. Das internationale Wirtschaftsrecht ist vergleichsweise gut entwickelt. Wenn es aber um Verantwortung geht, nutzen die Konzerne die jeweiligen Rechtsräume aus: Rechtlich gesehen, ist Nestlé Kolumbien zum Beispiel von der Schweizer Mutter absolut unabhängig, ökonomisch ist es aber ein vollkommen integrierter Konzern. Wenn die Zahlen nicht stimmen, wird die Konzernleitung sofort eingreifen. Wenn es aber um Menschenrechtsverletzungen geht, soll allein die Tochterfirma in Kolumbien zuständig sein.

Könnte man sich nicht auf transnationale Rechte wie die Menschenrechte berufen?

Zum einen können die Menschenrechte nur eingeklagt werden, wenn sie in der nationalen Gesetzgebung Eingang gefunden haben. Zum anderen kommt schnell der Vorwurf des Kulturimperialismus. Dieser Vorwurf ist aber zynisch, wenn er genutzt wird, um lebensgefährliche Arbeitsbedingungen zu legitimieren. Unsere Diskussionen im globalen Süden zeigen, dass die Menschen dort natürlich keine Bevormundung aus Europa wollen, die universellen Menschenrechte aber sehr wohl in ihrem Kontext und ihrem Kampf um soziale Rechte wichtig sind.

Und Gerichtsprozesse in Deutschland können daran etwas ändern?

Wenn wir auf die menschenrechtswidrigen Verhältnisse in Pakistan oder Kolumbien aufmerksam machen, hören wir oft, dass wir doch einfach klagen sollen. Wenn wir das tun und verlieren, ist das schon hilfreich, denn so können wir zeigen, wie ungenügend die Rechtslage in Deutschland ist. Wir sehen auch, dass unsere Arbeit in den Ländern, in denen die Menschenrechte verletzt werden, wahrgenommen wird und dass die Prozesse dort wichtige Debatten anstoßen. Wir nennen das den Pinochet-Effekt: Nach dem Ende der Diktaturen in Argentinien und Chile sind die Zivilgesellschaften dort entscheidend in ihren Bemühungen um Aufarbeitung der Diktaturverbrechen gestärkt worden, als Pinochet mit einem spanischen Haftbefehl in England verhaftet wurde.

Was wäre also der beste denkbare Ausgang dieses Prozesses?

Dass wir mittelfristig einen rechtlichen Rahmen schaffen, in dem Unternehmen juristisch zur Verantwortung gezogen werden können, wenn sie Menschenrechte verletzen, und zwar auch im Ausland und auch durch Tochterfirmen und Zulieferer. Vor Kurzem hat das oberste Gericht Ecuadors den Ölkonzern Chevron zum Beispiel zur Zahlung von fast zehn Milliarden Dollar verurteilt, weil er in Ecuador die Umwelt und viele Ureinwohner großen Risiken ausgesetzt hatte. Ein angemessenes Urteil, das auch ein Signal setzt, selbst wenn das Geld letztlich nicht fließt.

Haben Sie das Gefühl, dass die politische Elite für das Problem der globalen Verantwortung internationaler Konzerne sensibilisiert ist?

Unverbindliche Richtlinien werden von den Parlamenten immer wieder verabschiedet und von den Wirtschaftsverbänden beklatscht. Die Oppositionsparteien interessieren sich für das Thema und arbeiten mit uns zusammen. Wenn sie allerdings Regierungsverantwortung tragen, flaut der Austausch schnell ab.

Aber die Verbraucher sind doch eigentlich gut informiert. Ethischer Konsum ist ein großes Thema.

Die Verbraucher haben aber kaum die Möglichkeit, sich darüber zu informieren, welche Zulieferer an der Herstellung welcher Produkte beteiligt sind. Sie werden gezielt im Dunklen gelassen. Auch hochpreisige Marken arbeiten oft mit denselben Fabriken. Das kann kein Konsument so einfach durchschauen. Solange die Unternehmen ihre Zulieferketten nicht offenlegen, ist es scheinheilig, die Verantwortung auf den Konsumenten abzuwälzen.

Sollte man jetzt nach dem Wirtschaftsrecht also auch die Menschenrechte exportieren?

Wir wollen gar nichts exportieren. Das müssen wir auch nicht, denn es gibt genug Menschen im globalen Süden, die sich selbstbewusst auf die universellen Menschen- und Arbeitsrechte berufen. Es geht uns darum, jene Organisationen zu unterstützen, die sich vor Ort gegen ihre Entrechtung wehren und ihnen Zugang zum Recht zu verschaffen. In Europa haben wir ja nur deshalb ein halbwegs ausgeglichenes Wirtschafts- und Sozialsystem, weil es immer eine starke Opposition wie die Arbeiterbewegung gegeben hat.

Und welche Rolle kann das Recht dabei spielen?

Das Recht kann für diese Gegenbewegungen Freiräume schaffen. Und es kann dafür sorgen, dass Machtunterschiede ausgeglichen werden. Wenn eine pakistanische Frau in Deutschland einen Konzern verklagen könnte, wäre sie juristisch plötzlich gleichgestellt und müsste ernst genommen werden. Dann könnten auch andere Akteure ganz anders agieren. In den USA gibt es schon seit 1789 den Alien Tort Claims Act (ATCA), der genau das ermöglicht. Das ist eine der ganz wenigen Möglichkeiten, sich bei extraterritorialen Menschenrechtsverletzungen auf das Völkerrecht zu berufen.
 

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