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Ein Markt der Mächtigen

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Im Kern geht es dabei um ein Verbot von Gratiszeitungen. Doch weil dieses Verbot ganz unmittelbar und ungeniert auf das Massenblatt Israel Hayom („Israel heute“) abzielt, das im Eilmarsch zur größten Tageszeitung des Landes geworden ist, tobt nun ein Glaubenskrieg um den Gesetzentwurf: Soll er tatsächlich die Presse schützen, oder ist er in Wahrheit ein Frontalangriff auf die Pressefreiheit?
Tatsächlich trifft beides zu – und deshalb ist dieser Fall auch so hochbrisant.



Eine Ausgabe des kostenlosen Israel Hayom von 2010. Das Blatt ist konservativ ausgerichtet und das Sprachrohr von Premier Netanjahu.

Man kann den Aufstieg von Israel Hayom als Medienmärchen oder auch als Horrorgeschichte darüber beschreiben, wie Zeitungen zum Propaganda-Instrument und Spielball politischer Interessen werden. Märchenhaft sind die steil steigenden Auflagenzahlen: 320000 Exemplare werden mittlerweile jeden Tag von Israel Hayom verteilt. Im ersten Halbjahr2014 stieg der Marktanteil auf nunmehr 39,8 Prozent. Die Konkurrenz ist abgeschlagen, ratlos und bald wohl auch pleite.

Hinter diesem Aufstieg steckt allerdings kein wirtschaftliches oder publizistisches Kalkül, sondern ein politisches: Israel Hayom ist das Sprachrohr von Premierminister Benjamin Netanjahu, der nicht zuletzt dank dieser medialen Schützenhilfe die beiden Wahlen in den Jahren 2009 und 2013 gewinnen konnte. Finanziert wird das Gratisblatt von einer Art reichem Onkel aus Amerika – von Sheldon Adelson, der mit seinen in Las Vegas erwirtschafteten Milliarden auch zu den großzügigsten Förderern der amerikanischen Republikaner zählt.

Israel Hayom aber hilft nicht nur Netanjahu, sondern es pflügt auch die gesamte israelische Medienlandschaft um – und wird damit zu einer Bedrohung der Meinungsvielfalt. Denn den anderen Zeitungen des Landes nimmt das Blatt nicht nur die Leser weg, sondern durch Dumpingpreise auch die Anzeigen. Die früher größte Zeitung Yedioth Ahronoth versucht sich bei einem Marktanteil von nur noch 36 Prozent gesundzuschrumpfen. Die linksliberale Haaretz ist auf sechs Prozent abgerutscht und hat darauf mit Entlassungen und Einschränkungen im Umfang reagieren müssen. Und Maariv mit zehn Prozent Marktanteil hat ohnehin schon Konkurs angemeldet und wurde vom rechtsgerichteten Verleger Eli Azor übernommen. Aus der Konkursmasse sicherte sich Adelson als zweites Standbein noch schnell das Wochenblatt Makor Rischon.

Diesem Verdrängungswettbewerb soll nun per Gesetz ein Riegel vorgeschoben werden. Eine Mehrheit gilt als sicher, obwohl der Initiator Eitan Cabel aus der oppositionellen Arbeitspartei stammt. Unterstützung aber hat er schnell von sämtlichen Koalitionspartnern Netanjahus erhalten, die in der Medienmacht des Regierungschefs auch eine Bedrohung für ihre jeweils eigenen Parteien erkennen. Wirtschaftsminister Naftali Bennett hat Israel Hayom deshalb mit der Prawda verglichen, Justizministerin Tzipi Livni sieht darin „keine Zeitung, sondern Wahlpropaganda“.

Bei einer Diskussion im Kabinett am Sonntag warnte allein Strategieminister Juval Steinitz aus Netanjahus Likud-Partei vor einer Zustimmung zum Gesetz. „Es sei ein Spiel mit dem Feuer“, erklärte er, „in einer Demokratie kann niemals das Parlament ein Medium schließen, sondern nur der Markt.“ Der Oppositionsmann Cabel hält dagegen, dass er Israel Hayom ja gar nicht verbieten, sondern nur dazu zwingen wolle, einen Preis für die Zeitung zu verlangen. Dieser Preis darf dem Entwurf zufolge nicht mehr als 70 Prozent unter der zweitbilligsten Zeitung liegen.

Das letzte Wort dürfte in diesem Fall aber ohnehin nicht das Parlament haben, sondern das Oberste Gericht. Vorsorglich aber hat Israel Hayom am Dienstag noch einmal mächtig Stimmung gegen das Gesetz gemacht: 79 Prozent aller Israelis seien dagegen, wird gemeldet. Das Ergebnis ist eindeutig – und entstammt einer eigenen Umfrage.

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