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Über Leben und Tod

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Die Aussprache zur Sterbehilfe lief schon gut eineinhalb Stunden, als Hermann Gröhe (CDU) von seinem Platz im Plenum aufstand und nach vorne ging, zur Regierungsbank – und damit quasi zurück in die Regierungsverantwortung. Gröhe hatte zuvor seine Rede gehalten, hatte vor „einer Verklärung der Selbsttötung“ gewarnt und für die Palliativmedizin geworben: „Sterbenden schulden wir zuallererst Zuwendung und Hilfe.“ Das aber sagte er nicht als Bundesgesundheitsminister. Er sagte es als einfacher Abgeordneter.



Die Stimmen nach der Aufhebung eines Verbotes von Sterbehilfe werden immer lauter.

Der Bundestag diskutierte an diesem Donnerstagmorgen über Sterbehilfe, über die Frage also, ob der Staat eingreifen soll, wenn sich Menschen mit Hilfe anderer das Leben nehmen. Es ist eine schwierige Frage; das vielleicht anspruchsvollste Gesetzesvorhaben dieser Legislaturperiode, wie Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) gleich zu Anfang sagte. Solche ethisch heiklen Gesetzesvorhaben werden traditionell nicht von einem Ministerium, sondern im Parlament erarbeitet. Auch Gröhe respektierte das und sprach nicht als Minister. Es passte zu dieser insgesamt von Respekt und Ernst geprägten Debatte.


Im Parlamentssaal und auf den Zuschauerrängen war es still, als der erste Redner zu sprechen begann. Das sei für ihn keine normale Rede und keine normale Debatte, sagte der CDU-Abgeordnete Michael Brand. Dann erzählte er von seinem Vater, der im Jahr seiner Geburt an Krebs erkrankt sei. „Krankheit und Tod saßen bei uns immer mit am Tisch.“ Brand tritt wie Gröhe für ein Verbot von Angeboten durch Vereine und Einzelpersonen ein, anderen beim Suizid zu helfen. Erst am Dienstag veröffentlichte er dazu ein Positionspapier, hinter dem sich weite Teile der Union versammeln dürften. In seiner Rede aber lobt er erst einmal den ehemaligen SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering. Der habe recht mit seinem Satz: „Wir müssen die Schwachen und Alten schützen“, sagt er. Solche parteiübergreifenden Koalitionen sind typisch für die Debatte, in der persönliche Erfahrungen und Einstellungen wichtiger sind als Parteilinien. Und in der alle gleichermaßen mit sich ringen.



Die Union hatte die Debatte angestoßen. Schon in der vergangenen Legislaturperiode trat sie dafür ein, Sterbehilfevereine zu verbieten. Ein Gesetzesvorschlag der damaligen FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ging ihr aber nicht weit genug. Für einen neuen Anlauf wollen sich die Abgeordneten nun bis Ende 2015 Zeit nehmen. Am Donnerstag fand im Parlament nur eine erste Orientierungsdebatte statt. Doch auch die sprengt in ihrer Opulenz fast den Rahmen des parlamentarischen Alltags. Vier Stunden diskutierten die Abgeordneten, knapp 50 Redner kamen zu Wort. Weit mehr hätten reden wollen und gaben ihre Manuskripte zu Protokoll. Und es sollen noch zwei weitere Debatten folgen.



Drei Positionen zeichnen sich bislang ab. So gibt es weit über die Union hinaus eine große Gruppe von Abgeordneten, die wie Gröhe und Brand organisierte Sterbehilfe verbieten wollen. Am Donnerstag warben unter anderem die Grünen-Abgeordnete Elisabeth Scharfenberg sowie Kathrin Vogler von der Linken für ein solches Verbot. Das Gesundheitswesen sei seit Jahren von immer mehr Wettbewerb durchdrungen. „Soll jetzt auch noch dieser letzte Markt erschlossen werden?“, fragte Vogler. Einzelne Sterbehilfeorganisationen würden für ihre Angebote bis zu 7000 Euro verlangen. Rudolf Henke, CDU-Abgeordneter und Vorsitzender der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, stimmte ihr da zu.



Doch nicht alle in der Union sind so eindeutig für ein Verbot. Der CDU-Politiker Peter Hintze will sterbenskranken Menschen durchaus die Möglichkeit schaffen, sich selbst zu töten. Doch nur Ärzte sollten Suizidhilfe durchführen dürfen, fordert er zusammen mit einer Gruppe von Abgeordneten, darunter der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach. Bei einer zum Tode führenden Krankheit gehe es schließlich nicht um das Ob des Sterbens, sondern nur um das Wie. Im Parlament beschrieb er die möglichen Qualen eines Todeskampfes, sprach von der Panik vor dem Erstickungstod, von Krebsarten, die aus dem Kopf wuchern. „Ich halte es für unvereinbar mit dem Gebot der Menschenwürde, wenn aus dem Schutz des Lebens ein Zwang zum Qualtod würde“, sagte er. Hintze hat für seine Position Mitstreiter auch in der Union. Die CDU-Bundestagsabgeordnete Katharina Reiche etwa nannte es gar einen „Verstoß gegen die Nächstenliebe“, wenn Ärzte Kranken diese Hilfe verweigerten. Andere konnten sich dagegen einen Seitenhieb auf die Abweichler nicht verkneifen. Befürworter der Sterbehilfe würden drastische Einzelschicksale instrumentalisieren, kritisierte Minister Gröhe.



Ein sehr persönliches Einzelschicksal erzählte auch die Linken-Abgeordnete Petra Sitte, die sich als Einzige offen zur Sterbehilfe bekannte. Sitte setzt sich in einem Positionspapier gemeinsam mit Renate Künast dafür ein, Sterbehilfevereine unter gewissen Kontrollen zuzulassen. In der Debatte aber ließ sie erkennen, dass sie darüber hinaus auch aktive Sterbehilfe befürworte. Ihr eigener Vater habe sich zu lange mit Schmerzen und Demenz geplagt und schließlich durch den Verzicht auf jedes Essen „den Tod ertrotzt“. „So sollte niemand sterben“, sagte sie. Ihr Vater allerdings – auch das sagte Sitte – habe nicht die bestmögliche Palliativmedizin erhalten.



Das Sterben muss in Deutschland leichter werden. Darin immerhin waren sich alle Abgeordneten einig. Fast keine Rede kam ohne ein Plädoyer für einen Ausbau der Palliativmedizin aus, jener Medizin, die nicht nur Schmerzen lindert, sondern auch die Menschen in ihren Ängsten auffängt. Und so zeichnete sich im Parlament ab, dass die Abgeordneten ganz unabhängig von dem Ausgang der Sterbehilfedebatte hier Großes bewegen könnten. Gesundheitsminister Gröhe etwa sah sich schon vor einigen Tagen genötigt, Vorschläge für einen Ausbau der Palliativmedizin vorzulegen, wofür ihm die Abgeordnete Reiche nun „aufrichtig“ dankte.



Die Grüne Scharfenberg hatte dann mit sicherem Gespür für die Kraft solcher parlamentarischen Aussprachen gleich noch einen eigenen Wunsch: Das Parlament könnte doch auch mal vier Stunden über die Pflege diskutieren, schlug sie vor. Das habe sie in ihren neun Jahren als Abgeordnete noch nicht erlebt.

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