Am kommenden Wochenende, am 30. November, wird das „Volk“ in der Schweiz über eine Initiative namens „Ecopop“ abstimmen. Der Name ist Programm: „Écologie“ und „population“ verbinden sich zu einem Kofferwort, weil der Ökologie wegen in Zukunft nicht mehr Menschen in der Schweiz leben sollen, als das heute der Fall ist. Auf 0,2 Prozent der vorhandenen Bevölkerung will eine gleichnamige Organisation, die sich der „Sicherung der natürlichen Grundlagen“ verschrieben hat, die jährliche Zuwanderung beschränken. Zugleich soll, mit Mitteln, die dann von der Entwicklungshilfe abgezogen werden dürften, die Familienplanung gefördert werden (SZ vom 14. November). Darüber hinaus sorgt sich die Initiative um die Zersiedlung der Landschaft, die Überfischung der Weltmeere und das Bevölkerungswachstum in der ganzen Welt. Praktisch wird sie aber nun an diesem Punkt: Nicht einmal ein Jahr, nachdem eine von Rechtspopulisten initiierte Volksabstimmung dazu führte, dass der Schweizer Staat zu einer nicht weiter bezifferten Verminderung der Einwanderung verpflichtet wurde, geht es nun um schlichten Bestandsschutz: Die acht Millionen Einwohner sollen acht Millionen bleiben – nur, dass das Argument dafür frei von allem Rassismus sein soll, weil die Ökologie an dessen Stelle getreten ist.
Widerstand gegen "Ecopop" regt sich auch in der Schweiz.
Aber wie viel ist zu viel? Ökologisch wie ästhetisch betrachtet, war die Schweiz sicherlich erträglicher, als sie, wie noch im späten neunzehnten Jahrhundert, hauptsächlich ein Agrarstaat war. Damals gab es Novartis noch nicht. Die Firma Ciba widmete sich der Seidenfärberei und kippte ihre Abwässer ungefiltert in den Rhein. Die Crédit Suisse war eine Kreditanstalt zur Finanzierung des Eisenbahnbaus. Aber das sind längst vergangene Zeiten, zu denen keiner mehr zurückkehren will. Warum eigentlich? In Monaco leben fast zwanzigtausend Menschen auf einem Quadratkilometer Boden, während es in der Schweiz zweihundert sind, und es geht ihnen gewiss nicht schlechter. Südlich der Sahara gibt es gerade einmal dreißig Menschen auf einem Quadratkilometer. Aber was bedeutet das? Warum acht Millionen – und nicht sieben oder neun? Ein erhebliches Maß von Willkür verbirgt sich in der Behauptung, ausgerechnet mit den heutigen Verhältnissen komme man so gerade noch zurecht.
Die Willkür ist so groß, weil solche Rechnereien von allen Gründen absehen, warum sich an einigen Orten sehr viele Menschen einfinden und es an anderen weniger sind. Die Schweiz etwa ist nicht nur deshalb so wohlhabend – und damit auch: so freundlich anzusehen –, weil dort so fleißige, ordentliche und ästhetisch gesonnene Bürger leben. Ein großer Teil des dort angehäuften Reichtums wird in ganzen anderen Gegenden der Welt erwirtschaftet, in kolumbianischen Bergwerken zum Beispiel, deren Erträge im Kanton Zug eingesammelt werden. Oder an irgendeinem anderen Ort der Welt, wo es Unternehmer, Spekulanten oder Politiker gibt, die ihr Geld lieber von einer sicheren, diskreten Bank verwaltet haben möchten als von heimischen Kreditinstituten. Selbstverständlich führt dieser Reichtum dazu, dass Menschen aus anderen Ländern an ihm partizipieren wollen, sei es dadurch, dass sie gut ausgebildet sind und, aus durchaus eigennützigen Motiven, beim Anhäufen helfen wollen (solche Einwanderer waren auch in der Schweiz bislang eher willkommen), sei es dadurch, dass sie sich bislang durchs Leben eher haben kämpfen müssen und nun hoffen, dass beim Ausgeben etwas für sie abfällt.
Das aussichtsreichste Mittel, mit den Mitteln des „social engineering“ zur „Sicherung der natürlichen Grundlagen der Schweiz“ beizutragen, bestünde also vermutlich darin, sie ein wenig ärmer zu machen – aber an diese Option hat die Initiative Ecopop bislang nicht gedacht, jedenfalls nicht öffentlich. Das legt nicht nur den Verdacht nahe, in den ökologischen Argumenten verberge sich womöglich eine Heuchelei, sondern erklärt auch die Sympathien, die diese Initiative mittlerweile von Wählern der SVP, der rechtspopulistischen Partei der Schweiz, erfährt. Weil sich dieser Verdacht aber so aufdrängt und weil, von den Wirtschaftsverbänden bis zu den alten Parteien, gegen Ecopop immer wieder eingewandt wird, dieses Vorhaben beschädige die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz, werden Umweltbewegte zu strengen Nationalisten – und Vaterlandsliebende zu Fundamentalisten der Ökologie. Und so verwandelt sich dieser kleine Staat in der Mitte Europas in ein höheres, gleichsam selbständiges Wesen, das aus sich heraus eigene Notwendigkeiten und Forderungen gebiert, worauf man sagen kann: „Unser Land verträgt das nicht!“
Der ökologische Fundamentalismus hat einen rationalen Kern: Die Natur tritt dem Menschen tatsächlich als etwas Selbständiges gegenüber. Sie ist, erklärt der Münchner Philosoph Elmar Treptow in seinem „Entwurf einer ökologischen Ästhetik“ (Berlin 2006), „die Voraussetzung, von der wir leben, ohne sie hervorbringen zu können“. Indessen ist die Natur nicht identisch mit der Schweiz. Auch sonst vermischen sich in der Argumentation der Initiative Ecopop beständig Politisches und Ökonomisches mit Natürlichem. Kinderreichtum etwa geht in den meisten Ländern der Dritten Welt keineswegs nur auf Religion und Verblendung zurück, sondern stellt einen Versuch von Lebensversicherung dar, das Wissen um eine hohe Sterblichkeit eingeschlossen. Und dass es so etwas wie einen Kapitalismus gibt, der die natürlichen Ressourcen auch des letzten Erdenwinkels dem Gedanken an Verwertung unterwirft, bleibt der Initiative gleich ganz verschlossen. Stattdessen erscheint die „Natur“ unter gleichsam ästhetischen Voraussetzungen: als eine Instanz, die um ihrer selbst willen geschützt werden muss und daher strenge Ignoranz erfordert.
Daher nimmt der Versuch der Initiative Ecopop, mit einer ökologischen Ästhetik ein autonomes Gebilde zu erzeugen, dessen Grenzen aus angeblich pragmatischen Gründen mit den Staatsgrenzen identisch sind, ausgesprochen bösartige Züge an. Das Programm enthält etwa einen Passus, in der sich die Initiative mit dem Argument auseinandersetzt, jeder Mensch sei mehr oder minder der Umwelt nicht zuträglich, gleichgültig, ob er nun im Senegal oder in Lausanne wohne – man könne also deshalb aus ökologischen Motiven nicht gegen Migration sein. Die Antwort lautet: „Mit der Migration in die Schweiz erhöht ...sich im Allgemeinen die reale Kaufkraft der Betroffenen stark, was sich in einem höheren Konsum und einer entsprechend höheren ökologischen Belastung äußert.“ Der arme Ausländer, lautet also der Gedankengang, möge bitte arm und Ausländer bleiben, damit der Schweizer sich weiter an der guten Luft, den grünen Wiesen und dem sauberen Wasser erfreuen kann – aus keinem anderen Grund, als dass der Schweizer eben ein Schweizer ist oder doch zumindest einer, der schon in der Schweiz wohnt und damit unter den Bestandsschutz fällt.
So sei das ja nicht gemeint, erklärt die Initiative, wenn sie auf solche Kritik stößt. Denn es sei ja allgemein bekannt, dass es auf der Welt zu viele Menschen gebe und die natürlichen Grundlagen des menschlichen Lebens zerstört würden. Irgendwo müsse man ja anfangen, doch sprächen selbst die Vereinten Nationen davon, dass in der Dritten Welt zu viele Kinder geboren würden. Paul Rechsteiner, sozialdemokratischer Abgeordneter im Ständerat, sagte deshalb zu Recht, solche Ideen klängen nach „Herrenvolk“.
Der Vorwurf ist richtig, weil die Initiative Ecopop in ihrem Versuch, die Schweiz vor der vermeintlichen Zerstörung zu retten, von den Gründen der Armut und den daraus resultierenden Wanderungen nichts wissen will – und den Armen als geborene (oder manchmal auch zugezogene) Elite gegenübertritt, die fremden Reichtum gern entgegennimmt, aber nicht im Traum daran denken will, wie er entstanden ist. Dabei könnte man das Problem, wenn es denn wirklich nur um die Rettung der natürlichen Ressourcen der Schweiz ginge, auch ganz anders lösen: dadurch nämlich, dass eine angemessen große Zahl von Schweizern in den Senegal zöge. Ihr ökologischer „Fußabdruck“ würde auf der Stelle schrumpfen.