Die Staatsanwältin, die Wilson befragte, sagte: „Sagen Sie es.“ Wilson fuhr fort. Brown habe gesagt: „Fuck what you have to say“ – „Scheiß auf das, was du sagst.“
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Schock, Trauer, Wut: Seit August gehen die Menschen in Amerika für Gerechtigkeit auf die Straße.
Wilson sagt, diese Worte hätten seine ganze Aufmerksamkeit auf Brown gelenkt. „Es war eine sehr ungewöhnliche und nicht erwartete Antwort auf eine einfache Bitte“, sagte der Beamte. Es folgte eine Auseinandersetzung, die sofort eskalierte und außer Kontrolle geriet, die mit dem Tod Browns endete sowie einer neuen Debatte über Polizeigewalt und Rassismus.
Wilson stellte damals seinen Streifenwagen quer auf die Straße, um den beiden Männern den Weg abzuschneiden. Er hatte inzwischen erkannt, dass sie der Beschreibung zweier Verdächtiger entsprachen, die wegen eines Ladendiebstahls gesucht wurden. Brown aber näherte sich – Wilson zufolge – dem Polizeiauto und drückte von außen die Tür zu, weshalb Wilson nicht aussteigen konnte. Der Polizist hat ausgesagt, er habe Brown angeherrscht mit den Worten „get the fuck back“ – tritt verdammt noch mal zurück. Bei der Vernehmung Wilsons fragte die Staatsanwältin hier nach. „Sie sagten, er solle verdammt noch mal zurücktreten?“ Ja, antwortete Wilson.
Als der Zwischenfall vorüber war, hatte Wilson insgesamt zwölf Kugeln abgefeuert, und Brown lag tot auf dem Asphalt. Der Polizist Darren Wilson wurde zum Symbol. Für viele Schwarze und Linke verkörpert er eine weiße Staatsgewalt, die sich in schwarzen Wohngebieten wie eine Besatzungsmacht aufspielt – autoritär, herablassend, schießwütig. Aus der Sicht weißer Konservativer dagegen ist Wilson ein Held, wenn auch ein tragischer: Wie so viele Polizisten in einem Land, das vor Waffen strotzt, setzte er sein Leben aufs Spiel und wurde auch noch von den linken Medien geschmäht. Im Internet wurden Spenden für Wilson gesammelt, es kam etwa eine halbe Million Dollar zusammen.
Seit Montag steht fest, dass Wilson nicht angeklagt wird. Die zwölf Geschworenen in Missouri haben Wilsons Tat als Notwehr eingestuft, entscheidend waren aus ihrer Sicht Zeugenaussagen, wonach Brown den Polizisten angriff, als der die letzten, tödlichen Schüsse abfeuerte.
Wilson hat dem Sender ABC gesagt, er quäle sich in Gedanken nicht mit dem Vorfall: „Ich habe ein reines Gewissen, weil ich weiß, dass ich meine Arbeit richtig gemacht habe.“ Browns Mutter Lesley McSpadden entgegnete in einem Interview mit CBS: „Er hat nicht getan, was er tun musste, er hat getan, was er tun wollte. Ich glaube nicht, dass er meinen Sohn töten wollte, aber er wollte jemanden töten.“
Wilson war, so legen es jedenfalls seine Aussagen vor der Grand Jury nahe, überrascht von Browns Kraft und Aggressivität. Brown soll auf Wilson eingeschlagen haben, während der noch im Auto saß, durch das offene Fenster. Der Polizist trug sichtbare Rötungen im Gesicht davon. Wilson sagt, er habe Browns rechten Arm gepackt und dabei erst gespürt, wie kräftig sein Widersacher war. „Ich fühlte mich wie ein Fünfjähriger, der (den Wrestler) Hulk Hogan festhält“, sagte Wilson. Als er Brown gedroht habe, auf ihn zu schießen, habe Brown geantwortet, Wilson sei ein Schlappschwanz und traue sich nicht.
Seit die Staatsanwaltschaft die Ermittlungsakte veröffentlicht hat, analysieren Sicherheitsexperten die Begegnung zwischen Wilson und Brown. Viele sagen, dass Wilson sich so verteidigen durfte, wie er es tat. Polizeibeamte haben breites Ermessen in der Frage, ob ihnen Gefahr droht und wie sie reagieren. Es soll sie davor schützen, im Einsatz gegen bewaffnete Verdächtige selbst zu Gewaltopfern zu werden.
Wilson feuerte den tödlich Schuss auf Browns Kopf ab, als der in aggressiver Pose auf ihn zuging. Wilson sagt, dass er einen echten Treffer Browns mit der Faust wohl nicht überlebt hätte. Er wäre mindestens bewusstlos gewesen, „und wer weiß, was dann mit mir passiert wäre“. So gesehen stand ihm das Recht zu, auf Brown zu schießen, um sich selbst zu retten. Konservative Kommentatoren haben angemerkt, dass Brown noch leben würde, hätte er den Spruch befolgt, den viele schwarze Demonstranten jetzt ständig wiederholen: „Hände hoch, nicht schießen.“
Allerdings geben Polizeiexperten auch zu bedenken, dass Wilson mehrere Gelegenheiten verpasst habe, die Lage zu entschärfen. Zum Beispiel hätte er den Männern mit Abstand folgen können, bis die Verstärkung eingetroffen wäre, die er über Funk bereits angefordert hatte. Eine harmlosere Waffe, etwa ein Elektroschockgerät, hatte Wilson nicht dabei, weil er es seiner Aussage zufolge für unpraktisch hielt.
Als Brown und Wilson am Autofenster kämpften, gab Wilson zwei Schüsse ab und schlug Brown damit zunächst in die Flucht, der 18-Jährige, der selbst nicht bewaffnet war, lief davon. Wilson hätte in diesem Augenblick auch einfach auf seine Kollegen warten und dann eine Fahndung einleiten können. Stattdessen stieg er aus und lief Brown hinterher. Der drehte sich irgendwann um und kam Wilson entgegen. Wilson hat mehrmals gesagt, dass ihn die Situation völlig überrascht habe. Nie habe er „so schnell so viel Aggressivität“ erlebt nach der schlichten Bitte, auf dem Gehsteig zu laufen. Kritiker Wilsons weisen allerdings darauf hin, dass der Polizist die Aggressivität Browns selbst geschürt haben könnte, indem er von seinem Auto aus Befehle erteilte, noch dazu in aggressivem Ton. Diese Haltung drücke die Überheblichkeit einer Polizei aus, die immer auf Abstand bleibe zu den Menschen, die sie eigentlich schützen solle.
Wilson wird ein freier Mann bleiben, aber die Frage ist, wie frei. Er wird ein Symbol bleiben, als Polizist wird er zumindest in Ferguson nicht mehr arbeiten. Er hat kürzlich geheiratet und sagt, er wünsche sich jetzt ein normales Leben. Die Mutter Browns wundert sich über sein reines Gewissen: „Wie kann man ein reines Gewissen haben, wenn man jemand getötet hat, selbst wenn es unabsichtlich war?“