Wer ist Deutscher? Die Antwort darauf macht sich längst nicht mehr an der Abstammung von deutschen Eltern fest, auch wenn dies im Staatsangehörigkeitsrecht immer noch eine Garantie für den Pass mit Bundesadler ist. Doch Deutschsein kann längst auch erlernt und erarbeitet werden. Allein im vergangenen Jahr bürgerte der Staat gut 112000 „Ausländer“ ein, 16,5 Millionen Menschen im Land haben eine Zuwanderungsgeschichte und fast zehn Millionen von ihnen einen deutschen Pass. Deutsch ist auch das Kind iranischer Flüchtlinge, der Aussiedler, der immer noch Russisch spricht, der Deutsch-Türke, der zwei Pässe hat.
85 Prozent der gut 8200 Befragten Neudeutschen und Alteingesessenen stimmten dem Satz „Ich liebe Deutschland“ zu.
Die Linien für die nationale Identität werden neu gezogen, und zwar fortlaufend, wie die Studie „Migrationsausblick“ der OECD diese Woche verdeutlicht hat: Deutschland ist nach den USA das wichtigste Zuwanderungsland geworden. Nach Abzug der Abwanderer sind vergangenes Jahr fast eine halbe Million Menschen ins Land gekommen – und ein Großteil dürfte bleiben, nach einer Definition also vom Zuwanderer zum Einwanderer werden. Zumindest ihre Kinder werden den deutschen Pass erhalten.
Was vereint diese Neudeutschen mit den Alteingesessenen, was stiftet gemeinsame Identität im Zuwanderungsland Deutschland? Das Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) der Berliner Humboldt-Universität hat sich auf die Suche gemacht und am Mittwoch seine Ergebnisse der Studie „Deutschland postmigrantisch“ vorgestellt.
Das überraschendste Ergebnis: Beide Gruppen verbindet eine große Zuneigung zum Land. 85 Prozent der gut 8200 Befragten stimmten dem Satz „Ich liebe Deutschland“ zu, nur Wähler der Grünen und Linken waren deutlich skeptischer. Nicht so aber die Deutschen aus Zuwandererfamilien, die sich dem Land zu 81 Prozent verbunden fühlen und sich im Übrigen auch zu 77 Prozent als Deutsche verstehen (den Pass haben sie ja ohnehin). Das ist ein Stimmungswandel zu früheren Zeiten, am auffälligsten zum Ende der Sechzigerjahre, als Bundespräsident Gustav Heinemann auf die Frage nach der Liebe zu Deutschland punkten konnte mit dem Satz: „Ach was, ich liebe keine Staaten, ich liebe meine Frau; fertig!“
Laut den Berliner Forschern unter Führung der Vizedirektorin Naika Foroutan geht dies einher mit einer weitgehend ungebrochenen Identifikation mit Deutschland. Anders als zu Heinemanns Zeiten, als die Nazi-Verbrechen viel näher waren, prägen inzwischen andere Ereignisse das Selbstbild: vor allem die Wiedervereinigung. „Dass der Nationalsozialismus sich tief in die nationale Identität eingebrannt hätte und bis heute keine positive Identifikation mit der Nation zulasse, ist ein Mythos“, schreiben die Forscher. Vom Grundgesetz ist dabei übrigens nicht die Rede. Der Verfassungspatriotismus scheint nicht sehr weit verbreitet zu sein.
Ein gemeinsames Gefühl ist also da. Doch viel ist das nicht – und es beantwortet auch nicht die Frage, wer Deutscher ist. Die wird laut der Studie immer noch oft in Abgrenzung zu Migranten beantwortet, und zwar vor allem zu muslimischen Zuwanderern. Sie werden aus dem „deutschen Wir“ herausdefiniert. Das heißt: Wer Kopftuch trägt, kann für 38 Prozent keine Deutsche sein. 60 Prozent der Befragten wollen die (religiös begründete) Beschneidung von Jungen verbieten, 42 Prozent den Bau von Moscheen einschränken. Deutlich wird, dass das Bild, das sich die Gesellschaft von sich selbst macht, wenig mit der Einheit der Verschiedenen zu tun hat, die in klassischen Zuwanderungsstaaten wie den USA hochgehalten wird. Es ist eine Einheit gegen die Verschiedenen. Vor allem gegen die vier Millionen Muslime.
Was folgt daraus? Die Wissenschaftler um Foroutan wollen ein neues Narrativ, einen einheitsstiftenden Bezugspunkt, der Vielfalt zulässt. Und sie wollen über Begriffe weiterkommen, zum Beispiel den vom „Menschen mit Migrationshintergrund“. Zehn Jahre nach seiner Einführung sollte die Kategorie aufgelöst werden, empfehlen sie, weil sie die Unterschiede zwischen Deutschen mit und ohne Migrationshintergrund nur künstlich verschärfe.
Doch der Vorschlag ist problematisch: Man würde mit einer solchen Einebnung Unterschiede überdecken, die die Menschen aus Zuwandererfamilien häufig selbst empfinden, etwa eine Identität, die in zwei Kulturen wurzelt. Und die Zuwanderungsgeschichte und die Probleme, die damit einhergehen, würden nicht verschwinden. Es würde Wissenschaftlern und Politikern nur erschwert, sie festzustellen und danach zu handeln.
85 Prozent der gut 8200 Befragten Neudeutschen und Alteingesessenen stimmten dem Satz „Ich liebe Deutschland“ zu.
Die Linien für die nationale Identität werden neu gezogen, und zwar fortlaufend, wie die Studie „Migrationsausblick“ der OECD diese Woche verdeutlicht hat: Deutschland ist nach den USA das wichtigste Zuwanderungsland geworden. Nach Abzug der Abwanderer sind vergangenes Jahr fast eine halbe Million Menschen ins Land gekommen – und ein Großteil dürfte bleiben, nach einer Definition also vom Zuwanderer zum Einwanderer werden. Zumindest ihre Kinder werden den deutschen Pass erhalten.
Was vereint diese Neudeutschen mit den Alteingesessenen, was stiftet gemeinsame Identität im Zuwanderungsland Deutschland? Das Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) der Berliner Humboldt-Universität hat sich auf die Suche gemacht und am Mittwoch seine Ergebnisse der Studie „Deutschland postmigrantisch“ vorgestellt.
Das überraschendste Ergebnis: Beide Gruppen verbindet eine große Zuneigung zum Land. 85 Prozent der gut 8200 Befragten stimmten dem Satz „Ich liebe Deutschland“ zu, nur Wähler der Grünen und Linken waren deutlich skeptischer. Nicht so aber die Deutschen aus Zuwandererfamilien, die sich dem Land zu 81 Prozent verbunden fühlen und sich im Übrigen auch zu 77 Prozent als Deutsche verstehen (den Pass haben sie ja ohnehin). Das ist ein Stimmungswandel zu früheren Zeiten, am auffälligsten zum Ende der Sechzigerjahre, als Bundespräsident Gustav Heinemann auf die Frage nach der Liebe zu Deutschland punkten konnte mit dem Satz: „Ach was, ich liebe keine Staaten, ich liebe meine Frau; fertig!“
Laut den Berliner Forschern unter Führung der Vizedirektorin Naika Foroutan geht dies einher mit einer weitgehend ungebrochenen Identifikation mit Deutschland. Anders als zu Heinemanns Zeiten, als die Nazi-Verbrechen viel näher waren, prägen inzwischen andere Ereignisse das Selbstbild: vor allem die Wiedervereinigung. „Dass der Nationalsozialismus sich tief in die nationale Identität eingebrannt hätte und bis heute keine positive Identifikation mit der Nation zulasse, ist ein Mythos“, schreiben die Forscher. Vom Grundgesetz ist dabei übrigens nicht die Rede. Der Verfassungspatriotismus scheint nicht sehr weit verbreitet zu sein.
Ein gemeinsames Gefühl ist also da. Doch viel ist das nicht – und es beantwortet auch nicht die Frage, wer Deutscher ist. Die wird laut der Studie immer noch oft in Abgrenzung zu Migranten beantwortet, und zwar vor allem zu muslimischen Zuwanderern. Sie werden aus dem „deutschen Wir“ herausdefiniert. Das heißt: Wer Kopftuch trägt, kann für 38 Prozent keine Deutsche sein. 60 Prozent der Befragten wollen die (religiös begründete) Beschneidung von Jungen verbieten, 42 Prozent den Bau von Moscheen einschränken. Deutlich wird, dass das Bild, das sich die Gesellschaft von sich selbst macht, wenig mit der Einheit der Verschiedenen zu tun hat, die in klassischen Zuwanderungsstaaten wie den USA hochgehalten wird. Es ist eine Einheit gegen die Verschiedenen. Vor allem gegen die vier Millionen Muslime.
Was folgt daraus? Die Wissenschaftler um Foroutan wollen ein neues Narrativ, einen einheitsstiftenden Bezugspunkt, der Vielfalt zulässt. Und sie wollen über Begriffe weiterkommen, zum Beispiel den vom „Menschen mit Migrationshintergrund“. Zehn Jahre nach seiner Einführung sollte die Kategorie aufgelöst werden, empfehlen sie, weil sie die Unterschiede zwischen Deutschen mit und ohne Migrationshintergrund nur künstlich verschärfe.
Doch der Vorschlag ist problematisch: Man würde mit einer solchen Einebnung Unterschiede überdecken, die die Menschen aus Zuwandererfamilien häufig selbst empfinden, etwa eine Identität, die in zwei Kulturen wurzelt. Und die Zuwanderungsgeschichte und die Probleme, die damit einhergehen, würden nicht verschwinden. Es würde Wissenschaftlern und Politikern nur erschwert, sie festzustellen und danach zu handeln.