Mit der Zukunft ist das so eine Sache, wenn sie in die Jahre kommt. Nicht etwa weil sie ergraut wie ihre Erfinder. Nein, es sind vielmehr die Bezugspunkte, die unweigerlich durcheinandergeraten, wenn die Musik von Kraftwerk, die vor ziemlich genau 40 Jahren das Aufregendste, Futuristischste, Modernste war, was man sich im Wirtschaftswunder-Deutschland vorstellen konnte, im Museum Einzug in den Kanon hält.
Beim Konzert in Berlin werden legendäre Kraftwerk-Songs medial inszeniert. Zum Song "Roboter" stehen Puppen auf der Bühne in der Neuen Natinoalgalerie.
Unter dem Titel „Der Katalog – 1 2 3 4 5 6 7 8“ spielen die Synthesizer-Pioniere gerade in der Neuen Nationalgalerie an acht aufeinanderfolgenden Abenden ihre acht zentralen Alben. Am Dienstagabend war der Auftakt mit „Autobahn“. Das Album markierte 1974 den Scheitelpunkt zwischen der avantgardistischen Krautrock-orientierten Anfangsphase der Band und dem Aufbruch zu dem, was sie später selbst „Techno Pop“ betitelten. Es waren nicht mehr die improvisierten Jam Sessions, die damals gerade den musikalischen Standard bestimmten, es war kühle, distanzierte Elektro-Musik, abenteuerlustig genug jedoch – und das war die eigentliche Sensation – das Pop-Potenzial dieser künstlich erzeugten Töne freizulegen.
Das Absurde an diesem Abend in Berlin: Damals entlockten sie die flirrenden, auf- und abschwellenden Töne mühevoll den kompliziert verkabelten Geräten, die Synthesizer Anfang der Siebzigerjahre noch waren. Heute können sie von jedermann erzeugt werden, notfalls mit winzigen Mobiltelefonen.
Ralf Hütter, letztes Originalmitglied von Kraftwerk, weiß um die vielen Hundert Smartphones-Displays, über die Fetzen der Show beim Filmen und Knipsen flimmern. Er weiß um die in die Luft gestreckten, leuchtenden Rechtecke, die Teil der Multimediashow werden. Es sind Spiegel – Rückspiegel, um genau zu sein, ähnlich wie die des VW-Käfers, der auf der Leinwand gerade durch eine heile Autobahn-Hügellandschaft braust, Rückspiegel, in denen eben auch 40 Jahre Technologie-Entwicklung sichtbar werden. Und wie durch ein Wunder schimmern die Displays im Blick durch die 3-D-Brillen auch noch wie wunderliche, regenbogenfarbene Wackelbilder.
Überhaupt die Brillen und dieses ganze dreidimensionale Bilderspektakel: Diese Technik ist sogar noch älter, mehr als ein halbes Jahrhundert. Zufall ist das natürlich keiner. Hütter, der Lenker und Planer, schickt das Publikum ganz bewusst durch die Jahrzehnte. Nach einer halben Stunde „Autobahn“ schließt sich ein Best-of-Teil mit allen wichtigen Stücken bis zu „Tour de France“ von 2003 an. Kraftwerk zum Schwelgen. Durch die Brillen blicken die Zuschauer dann auf animierte Bilder der alten Bundesrepublik: Da leuchten etwa die Neon-Schriftzüge „Nachtcafé“, „Klosterfrau Melissengeist“ und „Hölle“ nebeneinander. Und Ralf Hütter säuselt dazu mit seiner ebenso wehmütigen wie sachlich-unterkühlten Stimme die erste Strophe von „Neonlicht“ und lächelt.
Freilich sind solche Ambivalenzen zwischen Fortschrittsglauben, Konsum und Spektakel für Kraftwerk, die schon in den Siebzigern mehr Kunstprojekt als Band waren, nichts Neues. Seltsam mutet es trotzdem an, wie 1700 Zuschauer mit den 3-D-Brillen auf der Nase zur wunderbar gesichtslosen Menschenmenge eines Science-Fiction-Films verschmelzen, ausgerechnet in Ludwig Mies van der Rohes Neuer Nationalgalerie, Berlins Glastempel der Klassischen Moderne, und dass sie dann vier älteren Herren in engen Raumschiff-Anzügen dabei zusehen, wie sie hinter retrofuturistischen Schaltpulten Knöpfe bedienen, von denen man nie weiß, ob sie nur unsichtbar bleiben oder gar nicht existieren. Was sie da eigentlich machen, ob sie überhaupt was machen, bleibt ein großes Geheimnis. Klar, Musik gibt es natürlich auch. Aber woher sie kommen, diese künstlichen Töne und Rhythmen – bei keiner Band ist das wohl so egal wie bei Kraftwerk. Was die Düsseldorfer Elektrogarde um Ralf Hütter hier aufführt, ist ohnehin kein Konzert mehr. Es ist eine Werkschau als Multimedia-Performance.
Um das Live-Erlebnis geht es Hütter wohl nur am Rande. In Berlin treibt er voran, was im Münchner Lenbachhaus 2011 mit einer Ausstellung und ersten 3-D-Konzerten in der Alten Kongresshalle begann und von 2012 an mit der Konzertreihe vom New Yorker Museum of Modern Art nach Düsseldorf, Karlsruhe, London und Tokio reiste: die Kultivierung des eigenen Mythos.
Was das angeht, überließen Kraftwerk schon in den Siebzigern nichts dem Zufall. Die starren Roboterpuppen, das Streben nach absoluter Perfektion, das Zurücktreten des Individuums hinter die Systemstruktur der „Mensch-Maschine“ – das alles war immer Teil des Gesamtkunstwerks, das sich weniger um Fanbindung als um ein penibel geschliffenes Konzept bemühte. Es scheint, als solle die gründlich geplante Überführung in die Unsterblichkeit der Pop- oder besser Kunstgeschichte lieber auch nicht in fremde, unkontrollierbare Hände gegeben werden. Nur eines gibt er den Menschen, die in der Zukunft leben, die er so oder so ähnlich vor vier Jahrzehnten beschwor, am Ende als Mantra mit auf den Weg: „Es wird immer weitergehen / Musik als Träger von Ideen“, singt er in „Music Non Stop“. Die Kunst von Kraftwerk ist nicht mehr als das und nicht weniger.
Kraftwerk, „Der Katalog – 1 2 3 4 5 6 7 8“, Neue Nationalgalerie, Berlin. 8.1. „Trans Europa Express“, 9.1. „Die Mensch-Maschine“, 10.1. „Computerwelt“, 11.1. „Techno Pop“, 12.1. „The Mix“, 13.1. „Tour de France“. Alle Vorstellungen sind ausverkauft.
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Aufbruch ins Gestern
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