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Die Zukunft beginnt in Afrika

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Die ehemalige bayerische Zentralbank neben dem Festspielhaus in Bayreuth heißt seit einiger Zeit Iwalewa-Haus und beherbergt ein Afrika-Kulturzentrum. Dort richtete zum Beispiel die vor zwei Jahren gegründete „Academy of Advanced African Studies“ der Universität Bayreuth ihr jährliches „49°“-Festival aus. Paul D. Miller war dort vor einiger Zeit zu Gast, der unter dem Namen DJ Spooky als der Intellektuelle des Hip-Hop bekannt geworden ist. Und wer anders könnte akademische Erkenntnisse zur Zukunft Afrikas in Musik fassen?

Afro-Futurismus in Bayreuth: „Das ist eine längst fällige Korrektur eines verdrängten Kapitels deutscher Geistesgeschichte“, sagt die Afrika-Dozentin und Mit-Initiatorin des Projekts „Future of Africa – Visions of Time“ Susan Arndt. „Afrika galt lange als Kontinent ohne Geschichte - was impliziert, dass es hier auch keine Vision von Zukunft gibt.“ Sie führt den Rassismus Wagners und Hegels an, oder Kants Rechtfertigung der Sklaverei mit dem mangelnden Zukunftssinn angeblich „tierischer“ schwarzer Menschen. „Deshalb wollen wir Afrika als Ort mit einer Geschichte von Zukunftsvisionen zeigen“. Vor allem afrikanisch inspirierte Kulturtechniken erlangten heute weltweite Bedeutung. Schon mal über die Afro-Wurzeln von Share-Ware, Sample-Technik und laufend modifizierten Apps nachgedacht?



Weltatlas mit Karte des südlichen Afrikas. Neue Formen digitaler Kommunikation hebeln alte Afrika-Klischees aus


Wer DJ Spooky zuhört, wie er im Iwalewa-Haus ein Streichquartett dirigiert, dessen erste Takte im Computer abspeichert, durch seinen Mixer jagt, gegen die Musiker anspielen lässt, dazu ein Drum-Sample eines James-Brown-Stücks spielt, der hat bereits ein wenig vom Afro-Futurismus begriffen. Beziehungsweise von dessen grundlegender Methode: Dem Remix.

„Die Kunst ist ein Ort unbegrenzter Möglichkeiten“, sagt er. „Und der Afro-Futurismus spielt mit diesem Potenzial. Ich möchte den Menschen Werkzeuge an die Hand geben, um über alternative Geschichten nachzudenken. Und alternative Zukunftsentwürfe“. Dann fragt er belustigt: „Kennen Sie das?“ Und lässt Zitate von Sun Ra bis Heidegger, Steve Jobs bis Afrika Bambaataa abspielen, neben Richard Wagner und Ludwig Feuerbach, über die Miller einst seine Doktorarbeit schrieb.

Die Masse an Information kann leicht verwirren. Zumal Spooky jeden Anspruch auf Eindeutigkeit und Endgültigkeit entschieden abwehrt, er sei doch kein Anthropologe, sondern Remix-Künstler und als solcher dem afrikanischen Prinzip des niemals Abgeschlossenen verpflichtet. Der Gegner allerdings ist klar: Die Fiktion der Ethnizität und der Nationalstaaten, „die die Europäer einst nötig hatten, um sich selbst gegen das Andere zu definieren, und die all die Monströsitäten und Ideologien des 20. Jahrhunderts nach sich zogen“.

Da passt es, wenn Susan Arndt die Ideen nationaler Befreiungsbewegungen als eine von vielen afrikanischen Antworten sieht. Die Unabhängigkeitsdenker des Kontinents hätten zwar eine weltweite Ausstrahlung gehabt. Andererseits schaffe die Technologie-Freudigkeit der Afrikaner einen Umbruch von unten: Gerade die Orte in der Diaspora – und dazu gehört in den Advanced African Studies auch Afroamerika – fungierten als Scharniere zwischen politischen und kulturellen Entwicklungen auf dem Kontinent und dem Westen. „Ob Jazz, Surrealismus oder die digitale Alltagskultur von heute, sie sind von der schwarzen Diaspora geprägt, und ihr Wissen wandert wieder zurück nach Afrika“. So würden Nationalgrenzen zunehmend irrelevant, hätten sich etwa die schwul-lesbischen Communities Afrikas dank Internet längst transnational vernetzt. Schlagwort: postethnische Gesellschaft und Postkulturalismus.

Wenn Philosophen wie Kwame Anthony Appiah die dazugehörige Theorie liefern, spielt DJ Spooky mit den Fragmenten, baut er in seinen Multimedia-Installationen selbst an deren Umsetzung mit. Der New Yorker, hatte Arndt geschwärmt, spekuliere entlang derselben großen Zukunftslinien, die insgesamt 50 Forschungsprojekte der Advanced African Studies akademisch aufbereiteten. Nur dass er als Künstler assoziativer arbeiten könne.

„Ich möchte mithilfe elektronischer Musik einen Sinn aus den hyper-beschleunigten Umbrüchen unserer Gegenwart filtern. Die Poesie der Daten erwecken.“ Hatte nicht Marshall McLuhan bereits in den 70er-Jahren eine Zukunft, in der alle ihr Wissen miteinander teilen, vorausgesagt? Er nannte sie „new Africa“. Und weil DJ Spooky mit McLuhan daran glaubt, dass Zukunft erst durch den Rückgriff auf die Vergangenheit entsteht, kommt der Sohn eines einst für Angela Davis engagierten Rechtsanwalts auf die im Netz scheinbar überholten Faktoren Rasse und Klasse zu sprechen.

Sehr weiß und sehr männlich habe die Computertechnik in den Dreißigerjahren begonnen – die kybernetischen Innovationen von heute verdankten sich ursprünglich dem Wettlauf um das Knacken geheimer Codes im Zweiten Weltkrieg, einem Datenkrieg zwischen Deutschen und Alliierten. Lange blieben Computer die Domäne von genialen Spinnern und einsamen Nerds. Selbst Computer-generierte Musik hatte etwas Feierliches und Steifes. Bis ein paar Schwarze kamen und die Technik zweckentfremdeten, Beats auf Computern kreierten und alles Dagewesene remixten: Was zuvor elitär behaftet war, entwickelte sich dank der neuen DJ-Kultur und dem respektlosen „Archiv-Fieber“ des Hip-Hop zu einem Freizeitvergnügen.

Share Ware und Apps taten das Ihre zur Schaffung einer weltweiten digitalen Pop-Kultur. DJ Spooky aber erinnert an die afrikanischen Wurzeln dieser nomadischen Ästhetik: „Die Art und Weise, wie Afroamerikaner Kultur im 19. und 20. Jahrhundert erlebten, ihre Idee von Fragmentierung, Umformulierung und mehrfach besetzten Codes hat die digitale Revolution vorweggenommen“.

Um kulturelle und gesellschaftliche Codierungen geht es auch den rund 80 Post-Doktoranden der Advanced African Studies in Bayreuth, ihre Forschungsergebnisse finden weltweit Beachtung. Das Fach gliedert sich in fünf Teilprojekte: Afrikanische Zukunftsvisionen im 19. und 20.Jahrhundert spielen ebenso eine Rolle wie ökologische und soziale Modelle, die Strategien des Naturschutzes oder des Umgangs mit dem Klimawandel enthalten. Die Mittelschichten werden als Ausdruck des sozialen Aufbruchs untersucht, und – unter dem Stichwort „Revolution 3.0“ – die kulturellen und gesellschaftlichen Ikonografien afrikanischer Revolutionen anthologisiert. Afrika, sagt Arndt, bezeichne hier keinen Kontinent der Opfer. Sondern einen der Akteure.

Ihr Forschungsprojekt „Zukunft Internet und Diasporas“ betrachte die schwarzen Communities in Amerika und Europa als Motoren afrikanischer Zukunftsvisionen. Gerade die neuen Formen digitaler Kommunikation würden alte Afrika-Klischees aushebeln, auch auf dem Kontinent selbst: „Wer glaubt noch an den Mythos vom angeblichen ‚digitalen Graben‘ zwischen dem Westen und Afrika? Selbst wenn sie nicht den neuesten Mac haben: Die Afrikaner haben uns in punkto digitaler Kompetenz längst überholt.“

Arndt zufolge sei „Unterentwicklung“ ein problematischer Begriff: Im Gegenteil bewege sich Europa auf Afrika zu: Viel selbstverständlicher als hierzulande würden sich Afrikaner über ihre Handys in weitläufigen sozialen Netzen bewegen, mit Apps improvisieren, ihr Wissen online teilen und umgekehrt auf akademisches Wissen aus dem Westen zurückgreifen. DJ Spookys postethnische Multimedia-Vision spiegele da bereits mancherorts die Realität. „Die Zukunft ist schon da, sie ist nur ungleichmäßig verteilt“, hatte DJ Spooky behauptet. Susan Arndt ergänzt, dass Afrikaner sehr wohl gezielt in diese Richtung investierten: „In Ruanda hatte ich ein sehr viel schnelleres Internet als hier in Bayreuth“.


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