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Verbotene Bilder

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Jim Chuchu und Njoki Ngumi sitzen im Wohnzimmer in den Räumen des Künstlerkollektivs „The Nest“ in Nairobi. Draußen wird es dunkel. Hinter ihnen steht ein großer Fernseher, auf dem sie jetzt ihren Film „Stories of Our Lives“ zeigen könnten. Jim Chuchu, geboren 1982, arbeitet als Fotograf und Regisseur in Nairobi, Kenia. Er ist Mitbegründer und Kreativdirektor bei „The Nest“. Seine Arbeiten wurden in Frankfurt, Glasgow und Dakar gezeigt, seine Filme unter anderem in Rotterdam, Durban und Seattle. Njoki Ngumi ist Drehbuchautorin. Ihr Film erzählt fünf Episoden von schwulen, lesbischen und bisexuellen Paaren in Kenia. Da ist etwa Patrick, der zufällig mit seinem homophoben Freund in einer Schwulenbar landet und abends heimlich wieder vorbeischaut. Oder Jeff, der in einem Hotelzimmer davon träumt, einmal Sex mit einem weißen Mann zu haben. Oder die rebellische Kate, die sich in den Mitschüler Faith verliebt, aber ein Abenteuer mit einem Nachbarjungen erlebt, ehe sie mit Faith zusammenkommt. Seit einigen Wochen ist der Film in Kenia verboten, und so bleibt der Fernseher an diesem Abend aus. Auf der Berlinale wird „Stories of Our Lives“ im Februar in der Sektion „Panorama“ präsentiert.

Ihr Film „Stories of Our Lives“ ist verboten worden. Wird in Kenia über die Zensur gesprochen?

Jim Chuchu: Oh ja, und jedes Mal, wenn unsere Regierung uns Kenianern einen Film verbietet, will ihn jeder unbedingt sehen. Die Leute suchen dann im Netz. Wir erhalten zurzeit eine Menge Mails von Freunden: Hallo, wir vermissen euch, können wir nicht den Film zusammen gucken?

Njoki Ngumi: Sogar Leute, die für die Zensur arbeiten, teilen auf Facebook mit: Huhu, ich schaue gerade den Film.



Der Film "Stories of Our Lives" erzählt von schwlen, lesbischen und bisexuellen Paaren in Kenia. Die Zensur hat ihn verboten - einer der Gründe: Der Film fördere Homosexualität.

Man könnte denken, dass die Zensoren Ihnen mit dem Verbot einen Gefallen tun wollten. Schließlich wird nun unablässig über den Film gesprochen.


Chuchu: Vielleicht könnte man das denken. Aber spätestens seit der Verhaftung unseres Produzenten George Gachara sind wir gewarnt. Anfang März muss er wieder vor Gericht.

„Stories of Our Lives“ sollte zunächst eine Dokumentation über schwule und lesbische Liebespaare werden. Wie haben Sie Ihre Interviewpartner gefunden?


Chuchu: Über Freunde und die Freunde von Freunden. Nach diesem Schneeball-Effekt haben wir Menschen überall in Kenia kennen gelernt. Die Gespräche wandelten sich dabei regelmäßig in eine Art Therapiesitzung. Immer wieder wurde gesagt: Ich habe noch nie mit jemanden darüber gesprochen. Noch nie hat mich jemand so etwas gefragt. Ich habe darüber seit Langem nicht mehr nachgedacht. Sogar für uns war es psychologisch sehr aufschlussreich: Wir erfuhren, was Coming-out in anderen Städten bedeutet.

Wie kam es dazu, dass Sie schließlich einen fiktionalen Film gedreht haben?


Ngumi: Uns ist schnell klar geworden, dass sich niemand vor der Kamera zu seiner Sexualität äußern wird. Deshalb wurden die Gespräche nur auf Tonband aufgenommen. Und wir mussten versprechen, dass wir die Aufnahmen nicht im Film verwenden. Unsere Gesprächspartner fürchteten, dass man ihre Stimmen erkennt.

Chuchu: Die Berichte dienten uns als Grundlage. Alle Geschichten in „Stories of Our Lives“ fußen auf dem, was wir von unseren Freunden und Bekannten über Coming-out erfahren haben, über die Reaktionen der Eltern, über die Zeit an der Schule und die Beziehungen zu Heterosexuellen.

Ngumi: Ein fiktionaler Film erlaubt zudem mehr Kreativität, mehr Emotionalität.

Wie waren die ersten Reaktionen?

Chuchu: Als „Stories of our Lives“ fertig war, haben wir ihn der schwul-lesbischen Community in Nairobi gezeigt. Die Reaktionen waren, wie soll ich sagen: sehr emotional.

Ngumi: Es wurde geweint und gestritten, richtig laut sogar, vor allem während einer Story, in der es um eine bisexuelle Schülerin ging – darf ich das jetzt erzählen, ich weiß nicht: Sie hatte sich jedenfalls in eine Klassenkameradin verliebt, aber schlief weiterhin mit einem Mann. Einige Zuschauer im Publikum sind ausgeflippt, weil solche Szenen nie zuvor gezeigt oder auch nur angesprochen wurden. Obwohl jeder natürlich genau weiß, dass es bisexuelle Menschen gibt. Erst wir haben dafür ein Forum geschaffen.

Chuchu: Der große Ärger begann nach dem Toronto International Film Festival, auf dem wir „Stories of Our Lives“ im September präsentiert haben. Nach unserer Rückkehr nach Kenia wollten wir den Film unseren Landsleuten zeigen. Dazu braucht man eine Erlaubnis vom Classification Board – die erhielten wir nicht. Wenig später tauchte die Polizei im Haus auf. Wir hatten eine Party, es wurde Musik gespielt, und sie sagten, dass sie George Gachara verhaften müssen, unseren Executive Producer. Es war absurd, aber auch erstaunlich zivil. Wir unterhielten uns freundlich mit den Beamten im Garten und konnten unseren Anwalt anrufen. Nach drei Tagen kam George auf Kaution frei.

Ngumi: Auch vor dem Film Classification Board ging es menschlicher zu, als wir gedacht hatten. Schon im Eingang saßen junge Frauen, die uns herzlich begrüßten: Oh, ihr seid also die Leute, die den Film gemacht haben! Der war schön, wir mochten ihn, aber er fördert leider Homosexualität.

Wurde der Film als Ganzes verboten?

Chuchu: Letztlich ja, es wurden uns drei Gründe genannt: obszöne Sprache, explizite Szenen und eben die Förderung von Homosexualität. All das widerspreche den Normen unseres Landes. Es hieß, der Film sei bizarr. Das war verletzend. Für uns ist der Film eine Sammlung von Liebesgeschichten. Seit der Zensur dürfen wir „Stories of Our Lives“ jedenfalls nicht mehr zeigen oder verkaufen – weder öffentlich noch über private Wege.

Angenommen, jemand lädt den Film im Internet hoch. Fänden Sie das gut?

Chuchu: Nein. Wir müssen unsere Schauspieler schützen. In Toronto wurden Szenen aus dem Film einer breiten Öffentlichkeit gezeigt. Schon das führte in Kenia zu Problemen. Manche der Schauspieler erhielten Anrufe. Einer wurde gleich zwei Mal vor seinem Haus belästigt.

Ngumi: Selbst wenn der Film in Kenia nicht verboten wäre, müssten wir genau überlegen, wo, wann und in welchem Rahmen wir ihn zeigen können, damit es nicht zu Gewalt kommt. Viele Landsleute halten Homosexualität für krankhaft, für etwas, das nicht aus Afrika stammt und um das sich nur westliche Hilfsorganisationen kümmern.

Chuchu: Wie brisant unser Thema ist, war uns schon vor dem Dreh bewusst. Wir haben lange mit jedem Schauspieler gesprochen und mögliche Folgen erörtert – für sie als Individuen und als Schauspieler.

Worin besteht denn die Verfolgung von Schwulen und Lesben in Kenia?

Chuchu: Eine Schwulenparade ist definitiv nicht möglich. Schwulsein ist etwas sehr Privates. In jeder Stadt wird anders damit umgegangen. Es gibt keine Schwulenbars, nur in einigen Bars wird man als Schwuler nicht rausgeworfen. Mehr ist nicht drin. Man muss immer von Tag zu Tag schauen, was möglich ist. Es kann immer sein, dass selbst in toleranten Bars plötzlich ein betrunkener, lauter Mob auftaucht, der keine Schwulen duldet.

Ngumi: Eine der interessantesten Geschichten, die uns im Rahmen des Filmprojektes erzählt worden sind, handelt von einem schwulen Jungen. Eines Tages kamen Kinder aus einer anderen Nachbarschaft an und wollten ihn verprügeln. Plötzlich stellten sich die Jugendlichen aus der eigenen Nachbarschaft schützend vor ihn und sagten: Hey, das ist unser Schwuler, den verprügelt hier niemand.

Chuchu: Richtig heikel leben Transgender. Sie müssen extrem vorsichtig sein, vor allem an der Küste. Männer, die sich dort wie Frauen kleiden, müssen eine perfekte Illusion schaffen. Sonst werden sie massiv angefeindet. In unserer Gesellschaft will die Mehrheit klar wissen, ob sie einen Mann oder eine Frau vor sich hat. Auch in Nairobi wird man in den Shoppingmalls schräg angeschaut, wenn man vom tradierten Rollenbild abweicht. Man sollte immer genau wissen, wohin man gehen kann – und wohin besser nicht. Viele Kenianer haben ohnehin große Probleme mit ihrem Selbstbild, ihrer Nationalität, ihrer Stammeszugehörigkeit. Dass es so etwas wie geteilte Identitäten geben könnte, kommt fast niemanden in den Sinn.

Trotzdem sind auf dem Straßen öfters Männer zu sehen, die sich an der Hand halten?

Chuchu: Das sind Freundschaftsbekundungen. Aber es stimmt schon, dass unsere Gesellschaft heute deutlich offener ist als vor zehn Jahren. Damals hätten wir unseren Film gewiss nicht drehen können. Noch in den Achtzigerjahren sind Menschen, die HIV hatten, aus Kirchen geworfen worden und haben ihre Arbeit verloren. So etwas ist heute undenkbar. Unsere Gesellschaft lernt aus ihren Fehlern. Und das wollen wir weiter vorantreiben.


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