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Geld, mein Gott

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Sie erinnert an eine der Vitrinen, die in Kirchen gelegentlich für wertvolle Reliquien aufgestellt werden: dickes Glas, ein Spot darauf. Darüber ein Schild, 779 Franken, umgerechnet derzeit etwa 743 Euro. Es ist jedoch nicht etwa ein Splitter aus dem Kreuz Jesu, sondern ein iPhone, das hier präsentiert wird, und dazu die Kosten, die normalerweise verborgen bleiben. 185 Franken wurden ins Material investiert, 198 Franken in Marketing und Entwicklung. Der Gewinn, der Apple verbleibt, wird auf 396 Franken geschätzt – Geld, das die meisten Käufer vermutlich für zu viel halten, und trotzdem wurde allein im letzten Quartal des vergangenen Jahres durchschnittlich neun mal pro Sekunde eines der Smartphones erworben.

Geld, woraus es ist, wofür es steht, nichts Geringeres haben sich die Mitarbeiter des Stapferhauses in der Schweizer Stadt Lenzburg nahe Zürich als Thema für eine Ausstellung im örtlichen Zeughaus vorgenommen – und der Raum, in dem Alltagsgegenstände wie das iPhone in ihrem Wert beziffert werden, illustriert nur einen der vielen Zugänge, die sie gefunden haben.



Jenseits von Franken und Euros: Die Ausstellung "Geld. Jenseits von Gut und Böse." findet noch bis November im schweizerischen Lenzburg statt.


Nun gibt es im Haus eine Tradition, abstrakte Themen greifbar zu machen; das digitale Leben, die Lust am Auto etwa, aber Geld ist dann doch größer – jeder hat eine Beziehung dazu, es regiert die Welt und macht sie ungerecht, es ist in aller Hände und doch kriegt niemand genug. Und gerade in der Schweiz ist es Traditionsthema; seit die Nationalbank den Mindestkurs zum Euro am 15. Januar aufgehoben hat, wird in einem Maße darüber diskutiert, wie es die Ausstellungsmacher nicht vorausahnen konnten, als sie sich vor über einem Jahr dem Komplex näherten. Geld, das macht der Titel „Jenseits von gut und böse“ gleich deutlich, lässt sich gut mit Religion vergleichen: Menschen streiten darüber, ihr Umgang damit ist irrational und sie verehren wie verteufeln es zugleich.

Dementsprechend ist der Eingang gestaltet, eine Treppe führt an der Außenwand des provisorischen Zeughauses hinauf, oben lockt ein helles Licht, ringsum sind weiße Wolken vor blauem Hintergrund zu sehen. Ähnlich verheißungsvoll geht es innen weiter: In einem weißen Raum sind Wünsche flüsternde Kinder zu hören, dazwischen stehen Pappbäume, aus denen Geld wächst, und gemalte Bäche zieren den Boden, darin Münzen. Der Besucher absolviert einen Parforceritt durch philosophische Positionen von Aristoteles über Thomas von Aquin bis Milton Friedman, um anschließend zur Selbstbefragung gebeten zu werden. Würde ich für Geld die Katze des Nachbarn füttern? Finde ich, dass ich zu viele Steuern zahle? Glaube ich, mit mehr Geld glücklicher zu sein? Solche Fragen beantworten sie am Bildschirm.

Nach diesem eher idealistisch-optimistischen Einstieg geht es in die Niederungen des Geldes – ein kirchenähnlicher Raum, konstruiert mit Rundbögen aus schlichten Sperrholzplatten und sogar Beichtstühlen bildet das Erdgeschoss. Dort wartet nicht nur das erwähnte Mobiltelefon. Sondern eine Reihe weiterer Gegenstände, die allein durch ihr Nebeneinander zeigen, wie Beträge vergleichsweise hoch oder unbedeutend werden, wie subjektiv Unterschiede sind: Die gefälschte Rolex sieht teuer aus, kostet aber wenig, die Spermaprobe ist quasi umsonst erzeugt, kann aber Lebensträume erfüllen, und der Gegenstand des Monats, eine Frisbeescheibe, dessen Besitzerin sie zum Herumtollen mit ihrem Hund nimmt und das geliebte Stück Plastik sogar schon aus einem Teich gefischt hat, erhält das Prädikat „unbezahlbar“.

Der Ansatz, Geld und Religion zu vergleichen, zieht sich weiter durch die Räume, die dementsprechend „Jenseits“, „Propheten“ oder auch „Glaubenssache“ heißen: Wo in gewöhnlichen Kirchen Buntglasfenster Licht spenden, sind hier, in ähnlich fröhlichen Farben, Infografiken. Sie zeigen etwa das Verhältnis von Arbeitslöhnen zu Burger-Preisen in verschiedenen Ländern, erklären, wie viel Bhutan im Vergleich zu den USA in Bildung investiert oder dass zehn Millionen Franken gestapelt zehn Zentimeter hoch sind und 1,1 Kilogramm wiegen. Zwischendurch werden auf Bildschirmen die Ergebnisse der Umfrage aus dem ersten Stock aktualisiert: Eine Mehrheit der über 400 jugendlichen Ausstellungsbesucher würde zwar nur gegen 10000 Franken einen Regenwurm essen, aber kostenlos die Katze der Nachbarn versorgen.

Wie sehr Geld und Religion sich ähneln – beide erfüllen nur ihre Funktion, so lange an sie geglaubt wird –, beweist ganz plastisch ein anderer Bereich: Dort sind sogenannte Kerbhölzer zu sehen, auf denen früher Schulden verzeichnet wurden, aber auch Zigaretten, die in harten Zeiten immer mal wieder als Währung fungierten. Das Angenehme ist: Auch die Macher nehmen Geld zwar ernst, stellen aber gleichzeitig die gottgleiche Rolle infrage, beispielsweise, indem in den Beichtstühlen Menschen dem Besucher erzählen, was sie schon für Geld getan haben.

Der beliebteste Raum ist allerdings alles andere als ein Heiligtum: Vor schwarzen Wänden liegen auf etwa 20 Quadratmetern 200 000 Franken, bestehend aus golden glänzenden Fünf-Rappen-Stücken, in Szene gesetzt durch einen umgebenden Spiegel und schon deshalb ungewöhnlich, weil man ihn nur für begrenzte Zeit und mit Plastiküberzügen auf den Schuhen betreten darf, dafür aber einmal im Leben die Gelegenheit hat, sich ähnlich wie Dagobert Duck im Geld zu wälzen. Wie beliebt das ist, zeigt sich an all den Selfies, die sich im Web finden. Was die Fotos freilich nicht darstellen: Die Stimme im Hintergrund, die im Stil einer Meditations-CD fragt: „Ist Geld Unabhängigkeit für Sie? Oder gibt Geld Ihnen das Gefühl von Macht?“

Es sind keine angenehmen Fragen, die der Besucher in den 15 Minuten, die er im „Offenbarung“ getauften Raum verweilen darf, hört. Und doch hat man längst – irgendwo zwischen Faust-Zitaten, Schaubildern zum Bruttoinlandsprodukt und Umfragen zur Steuergerechtigkeit – begonnen, sich zu fragen: Was ist Geld für mich?

Dass die Schau auf diese Frage keine Antworten liefert, sondern weiter fragt, auch im exzellenten Begleitband mit Interviews, Grafiken und einem Essay von Wolf Lotter, bewirkt, dass man tatsächlich nachdenkt über Geld, wie es beabsichtigt war: jenseits von Gut und Böse. Zumindest eine der vielen Fragen gilt es an Ort und Stelle zu beantworten: die nach dem subjektiven Wertempfinden. Denn wie viel Eintritt der Besucher zahlt, kann er am Ende wählen. Neben den Vorschlägen steht, was dem Betrag entspricht, ein Croissant etwa. Ob es dieser Trick ist oder ob beispielsweise das iPhone so manchem Besucher bewusst macht, wofür er sonst sein Geld raushaut? Klar ist: Viele Gäste zahlen freiwillig 19 Franken. Und das entspricht dem Betrag, der sonst als Eintritt erhoben wird.

Geld. Jenseits von Gut und Böse. Stapferhaus Lenzburg, im Zeughaus der Stadt bis 29. November 2015. Begleitband unter www.stapferhaus.ch

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