Neuerdings ist „Gesindel“ eine soziologische Kategorie am Hamburger Institut für Sozialforschung, wenn es um die Bezeichnung von Menschen geht, die an städtischen Aufständen beteiligt sind. Institutschef Jan Philipp Reemtsma, der ja selbst ein nicht ganz unwichtiges Buch über „Vertrauen und Gewalt“ geschrieben hat, irritierte zur Eröffnung der Tagung „Politische Gewalt im urbanen Raum“ ein wenig das Vertrauen in seine wissenschaftliche Vorurteilsfreiheit, als er Sympathien für diese Denunziationsvokabel bekannte. Und weil Reemtsma offensichtlich eine ernsthafte Zuneigung zu Nicolas Sarkozy gepackt hat, der mit „Gesindel“ all jene bezeichnete, die 2005 an den Unruhen in den französischen Vorstädten beteiligt waren, sprach Reemtsma auch gleich noch über Krawall als Lebensform, über das „Schrebergärtnerhafte“ von Kiez-Aktivismus sowie die „xenophobe Attitüde“, die doch in den meisten Ausbrüchen von kollektiver Gewalt stecke.
Deutsche Polizisten haben ein völlig anderes Selbstverständnis als ihre französischen Kollegen, sagt eine Untersuchung.
Die Verdatterung unter den deutschen und französischen Konfliktforschern über diese Feindbild-Demagogie äußerte sich immerhin in einer langen Reihe von Einwänden, die freilich aus französischer Höflichkeit und deutscher Abhängigkeit von den Fördermitteln des Instituts argumentativ sehr verhalten blieben. Ging es doch in dieser dreitägigen Konferenz genau darum, das Phänomen der „urbanen Gewalt“ aus der Sparte politischer Pauschalverurteilung herauszuführen. Eskalationsrhetorik, so der spürbare Tenor dieser Wissenschaftler-Versammlung, ist da mehr Teil des Problems als der Lösung.
Gegenstand des Symposions – das vom Hamburger Institut mit dem Berliner Zentrum Marc Bloch und dem Pariser Justizforschungszentrum CESDIP organisiert wurde – waren trotz der aktuellen Anlässe weniger terroristische Anschläge als kollektive Gewaltausbrüche, sogenannte Riots. Zentrales Merkmal dieser Auseinandersetzungen ist die Konfrontation mit der Polizei, wobei diese von Scharmützeln nach Ausweiskontrollen über gewalttätige Demonstrationen bis zu mehrtägigen und sich ausbreitenden Krawallen oder gar revolutionären Entwicklungen reichen können. Diese Breite der Phänomene mag erklären, warum eine wirkliche Systematisierung und Schärfung des Begriffs „urbane Gewalt“ auf dieser Tagung nicht gelang. Trotz einiger Versuche, das Verhältnis von Stadtraum, Gewalt und Politik thesenartig zu fassen, lieferten vergleichende Untersuchungen mit pragmatischen Schlüssen die eindeutig fundierteren Erkenntnisse.
Insbesondere die Frage, warum Deutschland so relativ friedlich ist und Frankreich ständig aufgewühlt, erfuhr sehr konkrete Antworten für die potenziellen Konfliktparteien. In Frankreich haben die Nachkommen nordafrikanischer Einwanderer zwar Zugang zu Bildung, aber danach nicht zum Arbeitsmarkt, was die soziale Frustration deutlich verstärkt, während die „ethnischen“ Barrieren zum Berufsleben in Deutschland bei Weitem nicht so hoch sind. Auch die Segregation spielt eine entscheidende Rolle. Während der landesweiten Unruhen 2005 in Frankreich blieben Stadtviertel, die eine gesunde soziale Mischung unterschiedlichster Bevölkerungs- und Einkommensgruppen aufwiesen, von Krawallen verschont.
Und schließlich zeigte eine vergleichende Untersuchung von Selbstverständnis und Methoden der Polizei, dass die deutschen Ordnungshüter sich als Teil der Bevölkerung sehen und daher in der Regel eine kommunikative, integrative Handlungsstrategie befolgen, wogegen die französische Polizei im Verständnis agiert, von der Bevölkerung abgelehnt, ja gehasst zu werden, und dergestalt wesentlich konfrontativer vorgeht.
Diese Häufung von Beiträgen, die deutsche Vernunft gegen französische Disziplinierung setzte, führte schließlich gerade einige deutsche Forscher zu dem Einwand, dass ihr Land und ihre Polizei vielleicht doch ein wenig zu gut wegkämen. Aber der deutsche Zwang zur Selbstkritik gehört ja vielleicht mit zu den Ursachen, warum hierzulande weniger Eskalation stattfindet.
Ein zentraler Begriff dieser Tagung über städtischen Raum und Gewalt war der des „Territoriums“. Die Verletzung von empfundenen Raumgrenzen, sei es bei Demonstrationen oder in Bezug auf das subjektive Gebietsempfinden, das Menschen zu ihrem Viertel entwickeln, kann ein wesentlicher Auslöser für gewalttätige Konfrontation sein. Sei es eine Polizeieinheit, die in einen Demonstrationszug einbricht, Streifen, die Jugendliche auf ihrem Kiez schikanieren, aber auch deutlich spürbare Veränderungen im Sozialgefüge eines Stadtquartiers durch den Zuzug reicherer oder als „fremd“ empfundener Bevölkerungsgruppen – der archaische Instinkt der Territorialverletzung scheint eine bedeutende Komponente für die Bereitschaft zu sein, zur Verteidigung des eigenen Gebiets Gewalt einzusetzen.
Obwohl bei dieser deutsch-französischen Soziologen-Konsultation zahlreiche konkrete Ergebnisse präsentiert wurden, wie friedliches Miteinander in der Stadt entwickelt und gefördert werden kann, wurde der Aspekt der Stadtplanung und die Beziehung von Architektur und Aggression leider kaum thematisiert – wie Tagungsorganisator Ulrich Bielefeld vom HIS in seinem Resümee auch selbstkritisch bemerkte. Und Bielefeld brachte schließlich auch den Mut auf, die einleitenden Aussagen seines Chefs und Geldgebers zu verwerfen. Für die „Komplexität der soziologischen Analyse“ sei „Gesindel“ kein „brauchbarer Begriff“, sagte der Tagungsleiter zum Abschluss.
Damit war zwar nach außen die Institutsehre wiederhergestellt. Aber ob auf dem intellektuellen Territorium diese offene Autoritätsverletzung ohne Eskalation bewältigt werden kann, das erfährt man sicherlich nur im Vertrauen. Auf jeden Fall kann eine solche kleine Konfrontation etwas darüber erzählen, ob Geisteswissenschaftler wirklich weniger „Schrebergärtner“ sind als Hausbesetzer.
Deutsche Polizisten haben ein völlig anderes Selbstverständnis als ihre französischen Kollegen, sagt eine Untersuchung.
Die Verdatterung unter den deutschen und französischen Konfliktforschern über diese Feindbild-Demagogie äußerte sich immerhin in einer langen Reihe von Einwänden, die freilich aus französischer Höflichkeit und deutscher Abhängigkeit von den Fördermitteln des Instituts argumentativ sehr verhalten blieben. Ging es doch in dieser dreitägigen Konferenz genau darum, das Phänomen der „urbanen Gewalt“ aus der Sparte politischer Pauschalverurteilung herauszuführen. Eskalationsrhetorik, so der spürbare Tenor dieser Wissenschaftler-Versammlung, ist da mehr Teil des Problems als der Lösung.
Gegenstand des Symposions – das vom Hamburger Institut mit dem Berliner Zentrum Marc Bloch und dem Pariser Justizforschungszentrum CESDIP organisiert wurde – waren trotz der aktuellen Anlässe weniger terroristische Anschläge als kollektive Gewaltausbrüche, sogenannte Riots. Zentrales Merkmal dieser Auseinandersetzungen ist die Konfrontation mit der Polizei, wobei diese von Scharmützeln nach Ausweiskontrollen über gewalttätige Demonstrationen bis zu mehrtägigen und sich ausbreitenden Krawallen oder gar revolutionären Entwicklungen reichen können. Diese Breite der Phänomene mag erklären, warum eine wirkliche Systematisierung und Schärfung des Begriffs „urbane Gewalt“ auf dieser Tagung nicht gelang. Trotz einiger Versuche, das Verhältnis von Stadtraum, Gewalt und Politik thesenartig zu fassen, lieferten vergleichende Untersuchungen mit pragmatischen Schlüssen die eindeutig fundierteren Erkenntnisse.
Insbesondere die Frage, warum Deutschland so relativ friedlich ist und Frankreich ständig aufgewühlt, erfuhr sehr konkrete Antworten für die potenziellen Konfliktparteien. In Frankreich haben die Nachkommen nordafrikanischer Einwanderer zwar Zugang zu Bildung, aber danach nicht zum Arbeitsmarkt, was die soziale Frustration deutlich verstärkt, während die „ethnischen“ Barrieren zum Berufsleben in Deutschland bei Weitem nicht so hoch sind. Auch die Segregation spielt eine entscheidende Rolle. Während der landesweiten Unruhen 2005 in Frankreich blieben Stadtviertel, die eine gesunde soziale Mischung unterschiedlichster Bevölkerungs- und Einkommensgruppen aufwiesen, von Krawallen verschont.
Und schließlich zeigte eine vergleichende Untersuchung von Selbstverständnis und Methoden der Polizei, dass die deutschen Ordnungshüter sich als Teil der Bevölkerung sehen und daher in der Regel eine kommunikative, integrative Handlungsstrategie befolgen, wogegen die französische Polizei im Verständnis agiert, von der Bevölkerung abgelehnt, ja gehasst zu werden, und dergestalt wesentlich konfrontativer vorgeht.
Diese Häufung von Beiträgen, die deutsche Vernunft gegen französische Disziplinierung setzte, führte schließlich gerade einige deutsche Forscher zu dem Einwand, dass ihr Land und ihre Polizei vielleicht doch ein wenig zu gut wegkämen. Aber der deutsche Zwang zur Selbstkritik gehört ja vielleicht mit zu den Ursachen, warum hierzulande weniger Eskalation stattfindet.
Ein zentraler Begriff dieser Tagung über städtischen Raum und Gewalt war der des „Territoriums“. Die Verletzung von empfundenen Raumgrenzen, sei es bei Demonstrationen oder in Bezug auf das subjektive Gebietsempfinden, das Menschen zu ihrem Viertel entwickeln, kann ein wesentlicher Auslöser für gewalttätige Konfrontation sein. Sei es eine Polizeieinheit, die in einen Demonstrationszug einbricht, Streifen, die Jugendliche auf ihrem Kiez schikanieren, aber auch deutlich spürbare Veränderungen im Sozialgefüge eines Stadtquartiers durch den Zuzug reicherer oder als „fremd“ empfundener Bevölkerungsgruppen – der archaische Instinkt der Territorialverletzung scheint eine bedeutende Komponente für die Bereitschaft zu sein, zur Verteidigung des eigenen Gebiets Gewalt einzusetzen.
Obwohl bei dieser deutsch-französischen Soziologen-Konsultation zahlreiche konkrete Ergebnisse präsentiert wurden, wie friedliches Miteinander in der Stadt entwickelt und gefördert werden kann, wurde der Aspekt der Stadtplanung und die Beziehung von Architektur und Aggression leider kaum thematisiert – wie Tagungsorganisator Ulrich Bielefeld vom HIS in seinem Resümee auch selbstkritisch bemerkte. Und Bielefeld brachte schließlich auch den Mut auf, die einleitenden Aussagen seines Chefs und Geldgebers zu verwerfen. Für die „Komplexität der soziologischen Analyse“ sei „Gesindel“ kein „brauchbarer Begriff“, sagte der Tagungsleiter zum Abschluss.
Damit war zwar nach außen die Institutsehre wiederhergestellt. Aber ob auf dem intellektuellen Territorium diese offene Autoritätsverletzung ohne Eskalation bewältigt werden kann, das erfährt man sicherlich nur im Vertrauen. Auf jeden Fall kann eine solche kleine Konfrontation etwas darüber erzählen, ob Geisteswissenschaftler wirklich weniger „Schrebergärtner“ sind als Hausbesetzer.